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Der mutmaßliche Rädelsführer Leon R. bei dem Prozessauftakt gegen die Mitglieder von „Knockout 51“ im August 2023.

© dpa/Bodo Schackow

„Knockout 51“ vor Gericht: „Die Rechten haben nach dem Rechten gesehen“

In Thüringen stehen vier Mitglieder der rechtsextremen Kampfsportgruppe „Knockout 51“ vor Gericht. Ihr Ziel soll gewesen sein, politische Gegner zu töten.

Von Hannah Sommer

Nacheinander werden die vier Männer in den Saal 8 des Oberlandesgerichts Thüringen geführt. Sie kommen aus der Untersuchungshaft, tragen Handschellen. Die Beamten von Polizei und Justiz gehen auf Position. Sie teilen den Saal in zwei Hälften: Acht Polizisten sind den Angeklagten zugewandt, acht weitere dem Zuschauerraum.

Während ganz Deutschland über eine Bedrohung durch die AfD diskutiert, stehen im Rahmen eines Staatsschutzverfahrens vier Rechtsextremisten vor Gericht. Leon R. (25), Bastian A. (23), Maximilian A. (22) und Eric K. (21) sind Mitglieder der Kampfsportgruppe „Knockout 51“, deren Ziel die Tötung von Personen aus der linken Szene gewesen sein soll. Sie sind Teil eines deutschlandweiten Netzwerks, das sich durch seine Gewaltbereitschaft und seine Organisiertheit auszeichnet.

„Wir müssen die politischen Lager trennen“, sagte eine Polizeibeamtin dem Tagesspiegel am Rande der Verhandlung. „Es kommt hier immer wieder zu verbalen Auseinandersetzung.“ Erst gestern hatte eine Zuschauerin aus der linken Szene der Anklage- und Richterbank den Mittelfinger gezeigt. Dafür soll sie 300 Euro Ordnungsgeld zahlen.

Auch heute sitzt eine Reihe von Personen im Publikum. Weitgehend leer bleiben dagegen die Stühle für Pressevertreter. Dabei hat es die Anklage des Generalbundesanwalts in sich. Sie umfasst die Gründung oder Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung, mehrfache gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstöße gegen das Waffenrecht.

Der 3. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts ließ die Klage zu – allerdings in abgeänderter Form. Das Gericht ordnet „Knockout 51“ zwar als kriminelle Vereinigung ein, nicht aber als terroristisch. Seit August 2023 läuft der Prozess. Die Beweisaufnahme ist mühsam, der Rechtsstaat arbeitet kleinteilig.

Richter lässt zwei Stunden lang Tonaufnahmen abspielen

An diesem Verhandlungstag lässt der vorsitzende Richter zwei Stunden lang Tonaufnahmen abspielen. Sie stammen aus dem Januar 2021 und sind das Ergebnis einer Innenraumüberwachung, die Ermittler in dem Auto eines der Mitglieder von „Knockout 51“ durchführten. Zwei der vier Insassen sitzen jetzt auf der Anklagebank.

„Die Route wird berechnet“, schnarrt es aus einem Navigationsgerät. Es wird die Gruppe von Thüringen nach Tschechien leiten. Dort wollen sie auf einem Schießplatz den Umgang mit Repetier- und Sturmgewehren trainieren.

Die Audioqualität ist schlecht, es rauscht und knackt. Nacheinander holen der Fahrer und seine Partnerin die anderen Männer ab. Das „Heil Hitler“ zur Begrüßung ist deutlich zu vernehmen. Die Gruppe fährt an einem Graffiti vorbei: „Nazi-Kiez“ steht da an einer Mauer.

Konflikt um Graffiti und Gruppenmacht

„Das wurde um 22 Uhr gesprüht und um 2 Uhr nachts hatten die Zecken das gecrasht“, erzählt ein Mitfahrer und meint, dass linke Aktivisten den Slogan übermalt hätten. Das sei Mitgliedern von „Knockout 51“ bei einer örtlichen Kontrollfahrt aufgefallen. „Ein Anruf in der Hauptzentrale und fünf Minuten später stand da wieder Nazi-Kiez. Richtig deutsch, wie schnell das ging.“

Die sind hier durch die Straßen gezogen, auf der Suche nach Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen.

Philipp Pommer, Mitglied der Links-Partei und arbeitet in dem Jugend- und Wahlkreisbüro „RosaLuxx.“ in Eisenach.

Die Ziffern 5 und 1 stehen für die Buchstaben E und A, ein Symbol für die Stadt Eisenach. Laut Anklage wollten die Mitglieder der Kampfsportgruppe sich dort als Ordnungsmacht etablieren.

„Die sind hier durch die Straßen gezogen, auf der Suche nach Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen“, sagte Philipp Pommer dem Tagesspiegel. Und fügt hinzu: „Die Rechten haben nach dem Rechten gesehen.“

Pommer ist Mitglied der Links-Partei und arbeitet in dem Jugend- und Wahlkreisbüro „RosaLuxx.“ in Eisenach. Innerhalb von zwei Jahren wurde dort viermal die Scheibe eingeworfen, zuletzt am 26. März 2022. „Wir sind froh, dass zumindest diese Tat aufgeklärt wurde“, sagte Pommer. Sie konnte Leon R. nachgewiesen werden und ist Teil der Anklage.

Gezielte Angriffe auf Polizisten

Im Kern soll „Knockout 51“ aus zehn aktiven Mitgliedern bestanden haben, die donnerstags und sonntags Kampftechniken trainierten. Ihr Treffpunkt war das „Flieder Volkshaus“, die Landesgeschäftsstelle der ehemaligen NPD.

Die Gruppe war in Eisenach gefürchtet. Ihre Mitglieder sollen Menschen vor der Sporthalle und in einem Nachtclub attackiert haben. Laut Anklage gingen sie uneingeladen auf private Partys und schlugen dort Gäste zusammen. Außerdem sollen sie zu diversen Demonstrationen gegen die Coronaschutzmaßnahmen gereist sein, um gezielt Angriffe auf Polizisten zu verüben.

Während der Fahrt nach Tschechien drehen sich die Gespräche um Waffen. Feststehende Messer seien besser als Klappmesser, weil sie direkt einsatzbereit und zudem stabiler sind. Um an Schusswaffen zu kommen, könne man vielleicht Kontakte in die Armee spielen lassen. Einen Panzer würde man wohl kaum bekommen, aber eine Panzerfaust sei kein Ding der Unmöglichkeit.

Immer wieder müssen die Angeklagten sich das Lachen verkneifen, während die Tonaufnahmen abgespielt werden. Nur, wenn sie darin über andere Mitglieder ihrer Gruppierung herziehen, erröten sie.

Es gibt auch Videomaterial

Dann passiert das Auto die tschechische Grenze. „Ab hier ist der Hitlergruß erlaubt, meine Freunde!“, ruft ein Mitfahrer und sorgt für schallendes Gelächter. Ab hier möchte Arndt Hohnstädter, der Rechtsanwalt von Bastian A., außerdem die Verwertung der Audioaufnahmen verbieten lassen. Außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets seien sie ohne Rechtsgrundlage angefertigt worden.

Doch es gibt auch Videomaterial. Im Sekundentakt feuern die Männer darin Kugeln auf eine Pappfigur. Stolz verschicken sie die Aufnahmen in Chatgruppen, aus denen während der Verhandlung vorgelesen wird. „Kennt jemand einen gemeinnützigen Verein für Sozialstunden, ohne was zu machen?“, schreibt ein Mitglied der Kampfsportgruppe. „Warum hat die NPD noch keinen?“, lautet die Antwort.

Vor Mai 2024 ist nicht mit einem Urteil zu rechnen.

 Gerichtssprecher

Die Auswertung des Materials brauche Zeit. Vor Mai 2024 sei nicht mit einem Urteil zu rechnen, sagte ein Gerichtssprecher dem Tagesspiegel. Die Verteidigung habe bereits angekündigt, noch weitere Beweisanträge zu stellen. Bisher sind 48 Sitzungstage terminiert – ein Mammut-Prozess.

Staatsschutzverfahren in Jena: Die Presseplätze bleiben leer

Zu Beginn des Verfahrens hat das Oberlandesgericht in Jena einen Arbeitsraum für Medienvertreter eingerichtet. Es wurde von einem großen öffentlichen Interesse ausgegangen. Doch trotz der Schwere der Vorwürfe blieb der Ansturm aus.

Im Herbst wurde der Raum schließlich wieder geschlossen. „Da an den zurückliegenden Sitzungstagen die für Medienvertreter reservierten Plätze im Verhandlungssaal überwiegend leer geblieben sind und auch der Medienarbeitsraum selbst von nur einem oder allenfalls zwei Journalisten genutzt wurde, kann der für die dienstinternen Zwecke (wie Schulungen) benötigte Raum nicht länger freigehalten werden“, hieß es in einer Pressemitteilung des OLG.  

Anders als der Prozess, zieht die Kolonne aus Mannschaftswagen von Polizei und Justiz vor dem Gericht durchaus Aufmerksamkeit auf sich. Die Beamten rücken ab, die Angeklagten werden zurück in die Justizvollzugsanstalt transportiert. Zwei Jugendliche an der Tram-Station Felsenkeller beobachten, wie die Fahrzeuge in die Kahlaische Straße einbiegen. „Boah, krass“, sagt der eine zum anderen. „Meinst du, da sitzen Mörder drin?“

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