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Brandenburg will Lauterbachs Großprojekt kippen: Die Bundesrats-Abstimmung zur Krankenhausreform wird zum Krimi
Eine Mehrheit für die Reform ist ungewiss. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Woidke dringt auf den Vermittlungsausschuss. Seine Gesundheitsministerin ist für die Reform, Woidke hat sie vom Amt entbunden.
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Karl Lauterbach lässt nichts unversucht. Im ARD-Frühstücksfernsehen warb der Gesundheitsminister vor der Abstimmung im Bundesrat an diesem Freitag mit dramatischen Worten für seine Krankenhausreform.
„Wir verlieren jeden Tag Leben, weil wir nicht genug spezialisiert sind“, sagte der SPD-Politiker. Daher seien Investitionen und auch Schließungen einzelner Kliniken nötig. Es gehe in erster Linie nicht um Geld, „sondern um Lebensrettung“. Gleichzeitig müssten die kleinen Krankenhäuser auf dem Land geschützt werden, sagte Lauterbach. „Die Reform leistet beides.“ Man könne es sich nicht leisten, sie im Bundesrat scheitern zu lassen.
Lauterbach lockt und droht
Lauterbach droht damit widerspenstigen Ländern. Der SPD-Politiker wird ihnen vorwerfen, die Gesundheit der Deutschen zu gefährden, falls der Bundesrat wirklich Einspruch gegen sein wichtigstes Projekt erhebt. Zugleich warb Lauterbach dem Vernehmen nach in Einzelgesprächen bis zuletzt bei skeptischen Landesgesundheitsministern um Zustimmung.
Mit Zuckerbrot und Peitsche versucht Lauterbach so vor der Bundestagswahl noch eines der wichtigsten Reformprojekte der zerbrochenen Ampelkoalition durchzudrücken. Seine Ausgangslage ist eigentlich gut: Der Bundesrat muss der Krankenhausreform nicht zustimmen.
Mit 35 Stimmen – der absoluten Mehrheit – kann die Länderkammer allerdings Einspruch einlegen und einen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag anrufen. Vor der Wahl im Februar wird dieser wohl kaum noch zu einem Ergebnis kommen. Lauterbachs Reform wäre damit hinfällig.
Drama in Brandenburger Kenia-Koalition
Die SPD könnte diesen Vermittlungsausschuss leicht verhindern. Sie sitzt in zwölf Landesregierungen und könnte dort eine Enthaltung durchsetzen. Das würde Lauterbach genügen. Doch auch vielen Sozialdemokraten in den Ländern gefällt seine Krankenhausreform nicht. Der Gesundheitsminister muss zittern.
Auch das SPD-geführte Brandenburg will den Vermittlungsausschuss. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist fest entschlossen, für die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stimmen, obwohl die Grünen und ihre Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher für die Reform sind und deshalb eine Enthaltung gefordert haben. Woidke hat seine Ministerin deshalb vor Beginn des Bundesrates von ihren Amtsgeschäften entbunden.
Nach Informationen von Tagesspiegel Background soll Woidke zuvor seine Ministerin angewiesen haben, der Abstimmung im Bundesrat fernzubleiben, Nonnemacher soll dies abgelehnt haben. Am Freitag saß Nonnemacher entsprechend noch auf der Regierungsbank, von Woidke entmachtet. Vom künftigem Koalitionspartner BSW soll es erheblichen Druck auf Woidke – dessen Distanz zur SPD-geführten Bundesregierung ihm kürzlich den Wahlsieg in Brandenburg sicherte – geben, gegen die Krankenhausreform zu stimmen.
Stimmt Brandenburg wirklich für den Vermittlungsausschuss, wird es knapp für Lauterbach. Der Großteil der sogenannten A-Länder mit SPD-Ministerpräsident steht allerdings hinter dem Bundesgesundheitsminister. So wird Niedersachsen wohl für die Reform stimmen. „Wir brauchen eine Krankenhausreform und wir brauchen sie schnell – so wie es jetzt ist, kann und darf es nicht weitergehen“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).
Wir brauchen eine Krankenhausreform und wir brauchen sie schnell.
Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen
Auf die Anrufung eines Vermittlungsausschusses wollen auch Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern verzichten.
Die Grünen sind nicht nur in Brandenburg, sondern auch in den meisten anderen Bundesländern gegen einen Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern. Zwar wünschen sie sich wie die Union Änderungen an Lauterbachs Gesetz. Aber ein Scheitern der Reform wollen sie nicht riskieren. Denn dann würden die Krankenhäuser die zugesagte finanzielle Sofortunterstützung wie höhere Fallpauschalen und einen Ausgleich für gestiegene Personalkosten nicht erhalten.
Die schwarz-grünen Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und das grün-schwarze Baden-Württemberg wollen wohl dennoch für einen Vermittlungsausschuss stimmen. Ebenso Bayern und Sachsen-Anhalt.
Unklar ist noch, ob die SPD in der CDU-geführten Großen Koalition in Hessen ein Ja zum Vermittlungsausschuss verhindern wird. Im schwarz-roten Berlin zeichnet sich dem Vernehmen nach eine Enthaltung ab.
Auch in Thüringen will die SPD nach Tagesspiegel-Informationen gegen den Widerstand der Linken von Ministerpräsident Bodo Ramelow eine Enthaltung durchsetzen. Das Abstimmungsergebnis in Sachsen galt am Donnerstagabend noch als offen. Es könnte am Ende den Ausschlag geben.
Reformbedarf ist unstrittig
Dabei ist auch unter den Ländern unstrittig, dass Deutschlands Krankenhauslandschaft dringend verändert werden muss. Derzeit schreiben rund 30 Prozent der 1900 deutschen Kliniken Verluste, viele von ihnen sind akut von der Insolvenz bedroht. Durch den medizinischen Fortschritt werden immer mehr Operationen ambulant erledigt, rund 30 Prozent der deutschen Krankenhaus-Betten stehen leer. Notgedrungen bieten viele Krankenhäuser komplizierte, finanziell lukrative Operationen an, obwohl ihre Ärzte dafür nicht ausreichend spezialisiert sind.
All diese Probleme wollte Lauterbach zunächst zusammen mit den Ländern beheben. Doch er gewann schnell den Eindruck, dass die Länder zu schmerzhaften Schritten nicht bereit sind. Also entschied er sich zum Alleingang. Damit hat er die Länder nachhaltig vergrätzt.
Reform gefährdet Land- und Stadtteilkliniken
Lauterbach will nun vor allem die Finanzierung der Kliniken neu regeln. Künftig sollen sie neben den umstrittenen Fallpauschalen für jeden Patienten auch Geld dafür erhalten, dass sie medizinisches Personal und Equipment für die Behandlung komplizierter Krankheiten vorhalten. Diese sogenannten Vorhaltepauschalen bekommen allerdings nur spezialisierte Häuser. Kleinere Stadtteil- und Landkrankenhäusern droht die Schließung. Viele Länder fürchten deshalb den Unmut der Bevölkerung.
Welche Häuser durch Lauterbachs Finanzreform gefährdet sind, war für die Landesregierungen lange unklar. Erst vor wenigen Wochen präsentierte der Bundesgesundheitsminister ihnen ein Computerprogramm, mit denen sie die Auswirkungen simulieren können. Vielen Ländern reicht das nicht. Auch deshalb wird die Abstimmung zum Krimi.
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