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Lisa Paus auf dem grünen Sofa: Die einsame Ministerin

© Felix Zahn/photothek.net

Lisa Paus und der Eklat im Kabinett: Am Tag danach wirken die Grünen wieder einmal unsortiert

Die Familienministerin der Grünen hat die Kindergrundsicherung an das Wachstumschancengesetz gekoppelt. Das öffentliche Echo ist verheerend. Die prominenten Köpfe in ihrer Partei schweigen.

Lisa Paus sitzt auf einem Sofa mitten auf der Berliner Friedrichstraße, zwischen hellgrünen Kissen. Sie ist hier, um Menschen, die zufällig vorbeikommen, in Gespräche zu verwickeln. Juni 2023, das Familienministerium fördert eine Aktionswoche mit dem Slogan „Gemeinsam aus der Einsamkeit“.

„Man kann in einer Riesengruppe von Menschen sein, man kann auch mit denen reden. Aber wenn man den Eindruck hat, man wird nicht wirklich angenommen, dann ist das genau der Moment, wo man sich einsam fühlt“, sagt Paus. Sie meint die private Einsamkeit, die jede und jeden treffen kann. Doch ihre Worte passen auch zu ihrer politischen Lage.

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Ist Paus politisch einsam? Wer stützt die Ministerin in ihrem Kampf für die Kindergrundsicherung, auch aus der eigenen Partei – und wer nicht? Seit es am Mittwoch vor der Kabinettssitzung krachte, weil Paus dem Wachstumschancengesetz ohne einer Zusicherung für mehr Geld für die Kindergrundsicherung nicht zustimmen wollte, stellt sich die Frage noch einmal verschärft.

Ein verheerendes Echo

Eigentlich ist die Kindergrundsicherung das sozialpolitische Lieblingsprojekt der Grünen in dieser Legislaturperiode. Paus soll sich vor ihrem Vorstoß im Kabinett mit Teilen der Parteiführung abgestimmt haben, doch das öffentliche Echo auf ihr Veto ist verheerend. Sie hat sich damit gegen Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck gestellt, der das Wachstumschancengesetz am Mittwoch beschließen wollte, sie hat Teile des Realo-Flügels gegen sich aufgebracht und die Ampel-Koalition in einen neuen, öffentlichen Streit gestürzt.

Am Tag nach dem Eklat wirken die Grünen seltsam unsortiert. Es ist auffällig, dass keiner der prominenten Köpfe sich hinter Paus’ Strategie stellt. Außenministerin Annalena Baerbock, deren Lieblingsprojekt die Kindergrundsicherung während des Wahlkampfs 2021 war, schweigt, genau wie Grünen-Chefin Ricarda Lang, die sonst gern das soziale Profil ihrer Partei betont.

Fraktionschefin Katharina Dröge erklärte dem Tagesspiegel auf Anfrage: „Die Kindergrundsicherung ist ein zentrales Vorhaben für die gesamte Ampel-Koalition.“ Es sei „wichtig, dass wir hier zügig vorankommen“. Eine Billigung des Vorgehens der Ministerin liest sich anders. Die Grünen, vor allem der linke Flügel, dem sowohl Dröge als auch Lang angehören, sind in einem Dilemma: Sie hatten ihre sozialpolitische Flanke schärfen wollen, besonders nach den Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz im vergangenen Frühjahr.

Weil zunächst keine soziale Flankierung ausformuliert war, wurde ihnen vorgeworfen, Politik vor allem für ihre besserverdienenden Wählerinnen und Wähler zu machen. Das sollte sich nicht wiederholen. Doch in Zeiten konjunktureller Schwäche die Entlastung von Unternehmen an die Kindergrundsicherung zu koppeln, kommt nicht gut an.

Paus erklärte ihr Konzept monatelang nicht

Lisa Paus ist Ministerin geworden, um aus der Idee einer Kindergrundsicherung praktische Politik zu machen. Als ihre Vorgängerin Anne Spiegel aus dem Amt stolperte, wurde Ersatz gesucht im linken Flügel der Grünen. Paus, bis dahin Finanzpolitikerin, kam überraschend zum Zuge. Auch weil sie am Konzept einer Kindergrundsicherung mitgearbeitet hatte.

Doch das Projekt ist für sie mehr als eine Verpflichtung. Es ist ihr ein echtes Anliegen. Und so schaltete sie in den Kampfmodus, als Finanzminister Christian Lindner im Februar die Kindergrundsicherung öffentlich infrage stellte und monierte, es gebe kein Konzept. Paus geriet in die Defensive. Seitdem ist sie nicht wieder in die Offensive gekommen. In den vergangenen Monaten waren es der Finanzminister und seine Partei, die den Takt der Debatte vorgaben.

Den Vorwurf der Konzeptlosigkeit der FDP erklärte Paus zur Unwahrheit. Doch bis heute weiß die Öffentlichkeit nicht im Detail, wie genau die Kindergrundsicherung aussehen soll. Es sind enorm komplizierte Einzelfragen zu klären, hinter den Kulissen war monatelang vor allem zu hören, es gehe nur zäh voran.

Christian Lindner und Lisa Paus: Selten einer Meinung
Christian Lindner und Lisa Paus: Selten einer Meinung

© dpa/Kay Nietfeld

Nichts sei durchgerechnet, sagte die FDP. Ihr Ministerium habe sehr wohl Varianten kalkuliert, sagte Paus. Für die Öffentlichkeit darlegen wollte sie diese aber nicht. Was für die verschiedenen Milliardensummen, von denen die Rede ist, eigentlich zu bekommen wäre, bleibt unklar. Und wie hoch künftig die Geldleistungen sein könnten, bleibt auch ein Geheimnis.

Das Geld wäre besser in Bildung und Berufsförderung investiert, als wenn es direkt auf dem Konto armer Familien lande, schlug die FDP vor. Das sieht die Ministerin anders. Denn darum geht der Streit im Kern: Sollen arme Familien mehr Geld bekommen als heute? Paus blieb in vielem vage und machte es so ihren Gegnern leicht.

Schließlich schaltete sich der Kanzler ein, mit einem Schreiben, das beide Seiten als Unterstützung werteten. Ja, die Kindergrundsicherung solle kommen, hieß es von Scholz. Aber er mahnte auch seine Familienministerin, nun endlich konkret zu werden. Bis Ende August solle Paus einen Gesetzentwurf und verschiedene durchgerechnete Varianten vorlegen.

Am Donnerstag meldete die Nachrichtenagentur Reuters, Gesetzentwurf und Varianten seien dem Kanzleramt und dem Finanzministerium nun zugeschickt worden. Das habe man aus dem Ministerium erfahren. Doch ein Sprecher des Familienministeriums sagt nur, er könne das nicht bestätigen. Es passt zur bisherigen Kommunikationsstrategie: einen Schritt nach vorn, zwei zur Seite, und dann zurück. Das Finanzministerium wollte eine Anfrage, ob der Gesetzentwurf eingetroffen sei, nicht kommentieren.

Vor wenigen Tagen, am Montag, kam die Bundestagsfraktion der Grünen zu einer Sommerschalte zusammen. Die Stimmung sei nicht gut gewesen, berichten Teilnehmer, viele sollen sich über die Kompromisslosigkeit der FDP beschwert haben. Es wirkt, als habe Paus nun zeigen wollen, wie hart sie sein kann.

Aus ihrem Flügel bekommt sie dafür Unterstüzung. „In der Fraktion unterstützen wir Lisa Paus’ Kurs ganz überwiegend“, sagt Canan Bayram, direkt gewählte Abgeordnete aus Kreuzberg. Doch die Grünen sind in der Frage gespalten. Schon wieder ein so schwerer Kommunikationsfehler, kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, stöhnen einige. Ihre Hoffnung bleibt die Urlaubszeit – und eine schnelle Einigung.

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