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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.

© AFP/John MacDougall

Update

Gedenkfeier zu Reichspogromnacht vor 85 Jahren: Bundeskanzler Scholz nennt Ausgrenzung von Juden „eine Schande“

„Jede Form von Antisemitimus vergiftet unsere Gesellschaft“, sagte Scholz bei der zentralen Gedenkveranstaltun in der Berliner Synagoge Beth Zion. Auch zahlreiche andere Politiker nahmen teil.

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Am 85. Jahrestag der Pogromnacht der Nationalsozialisten hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, sich aktiv gegen die Ausgrenzung von Juden zu stellen. Ausgrenzung treffe Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten besonders und trotz des Zivilisationsbruchs des Holocausts auch heute noch, sagte Scholz am Donnerstag bei einer Gedenkfeier des Zentralrats der Juden in der Berliner Synagoge Beth Zion. „Das ist eine Schande. Mich empört und beschämt das zutiefst.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, würdigte zwar, dass heute anders als vor 85 Jahren jüdisches Leben in Deutschland geschützt werde. Er betonte aber auch, dass man nicht hinter „Schutzschildern“ leben wolle. „Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land, frei leben in dieser offenen Gesellschaft“.

1938 hatten die Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden begonnen, die schließlich im Holocaust mündete, der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden in ganz Europa. Der 85. Jahrestag stand im Zeichen einer neuen Welle antisemitischer Vorfälle in Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas in Israel.

Auf die Synagoge Beth Zion im Zentrum Berlins wurde wenige Tage danach ein Brandanschlag versucht. Zwei Unbekannte warfen Mitte Oktober Brandsätze in Richtung des Gebäudes. Die Gedenkfeier in der Synagoge fand daher auch unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Straßen wurden abgesperrt, die Polizei war mit Scharfschützen und gepanzerten Wagen an der Synagoge.

Zu den Teilnehmern gehörten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, mehrere Ministerinnen und Minister sowie Israels Botschafter Ron Prosor, außerdem Angehörige von Geiseln der Hamas im Gazastreifen.

Scholz: „Antisemitismus vergiftet unserer Gesellschaft“

Sowohl Schuster als auch Scholz sagten mit Blick auf die jüngsten Anfeindungen gegen Juden, dass „etwas aus den Fugen geraten“ sei. Der Kanzler betonte, es komme nicht darauf an, ob Antisemitismus politisch oder religiös motiviert sei, ob er von links oder rechts komme, ob er hier gewachsen sei oder von außen ins Land getragen werde. „Jede Form von Antisemitismus vergiftet unsere Gesellschaft. So wie jetzt islamistische Demonstrationen und Kundgebungen. Wir dulden Antisemitismus nicht. Nirgendwo.“

Migranten, die sich antisemitisch verhalten, drohte Scholz mit Ausweisung. Es komme darauf an, an dieser Stelle konsequent zu sein, sagte er. „Und deshalb muss auch jeder wissen: Antisemitismus, wer das macht, riskiert auch aufenthaltsrechtlichen Status.“

Der Kanzler trug bei seiner Rede eine Kippa, die bei Synagogenbesuchen übliche Kopfbedeckung. Er betonte wie zuvor schon Bundespräsident Steinmeier, dass der Schutz von jüdischen Einrichtungen Staatsaufgabe und Bürgerpflicht zugleich sei. Das allein reiche aber nicht aus. „Wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland hinter immer größeren Schutzschildern leben müssen, dann ist das unerträglich“, sagte er und nahm damit auf Schusters Rede Bezug.

Scholz versprach erneut, dass Polizei und Justiz konsequent gegen jede Form des Antisemitismus vorgehen würden. Er versicherte Israel erneut die Solidarität Deutschlands im Kampf gegen den Terror der islamistischen Hamas. „Deutschlands Platz ist an der Seite Israels. Israel hat das Recht sich gegen den barbarischen Terror der Hamas zur Wehr zu setzen.“

09.11.2023, Berlin: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth (l-r), Bundeskanzler Olaf Scholz und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sprechen mit einem Mitglied der jüdischen Gemeinde (r), bevor sie an einer Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Beth Zion teilnehmen. Foto: John Macdougall/AFP POOL/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/JOHN MACDOUGALL

Der Kanzler dankte allen, die bei Kundgebungen, Mahnwachen oder in sozialen Netzwerken Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors gezeigt haben: „Das gibt Zuversicht und stärkt unser Gemeinwesen.“

Wer verstehen will, warum der Terroranschlag auf Israel tiefe Traumata, Ängste und Verunsicherungen hervorruft, der muss sich bewusst sein, was in den jüdischen Seelen vorgeht, wenn wieder Davidsterne an Häuser von Juden gemalt werden.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden

Schuster äußerte sich entsetzt über antijüdische Anfeindungen und antiisraelische Demonstrationen in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas: „Wer verstehen will, warum der Terroranschlag auf Israel in der jüdischen Gemeinschaft auch in Deutschland tiefe Traumata, Ängste und Verunsicherungen hervorruft, der muss sich bewusst sein, was auch 85 Jahre nach der Reichspogromnacht in den jüdischen Seelen vorgeht, wenn wieder Davidsterne an Häuser von Juden gemalt werden, wenn wieder jüdische Geschäfte attackiert werden.“

Er verwies auf „eine Parallele in der Geisteshaltung“ bei radikalen Islamisten und Rechtsextremen und geißelte auch die Verachtung für Lehren aus der Geschichte, die er bei linksextremen und linken Kreisen spüre. Hinter vorgehaltener Hand sei Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Was aus den Fugen geraten sei, könne noch repariert werden, sagte Schuster. „Doch dafür muss man sich auch eingestehen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, was man nicht hat sehen können oder wollen.“

Auch Merkel meldet sich zu Wort

1938 hatten Schlägertrupps der Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden begonnen. In der Folge wurden nach Angaben des Deutschen Historischen Museums mehr als 1300 Menschen getötet, 1400 Synagogen zerstört und beschädigt, 7000 Geschäfte überfallen und 30 000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Viele Bürger machten bei den Pogromen mit oder stellten sich ihnen zumindest nicht entgegen.

1400
Synagogen wurden bei der Reichspogromnacht 1938 in Deutschland zerstört oder beschädigt

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der neben Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig ebenfalls an der Berliner Gedenkfeier teilnimmt, hatte am Mittwoch Juden den Schutz durch Staat und Gesellschaft ausdrücklich zugesagt. Scholz hat sich bereits ähnlich geäußert: „Wer Juden in Deutschland angreift, greift uns alle an“, sagte der Kanzler vor einigen Tagen dem „Mannheimer Morgen“.

Vor der Gedenkfeier debattiert am Donnerstag auch der Bundestag über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die beiden Linken-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan mahnten vorab, Antisemitismus in allen Formen zu bekämpfen. „Diese Lehre aus der Geschichte darf niemals vergessen werden und muss uns Auftrag zum Handeln sein“, erklärten sie zum 9. November.

Auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort und erklärte, der Kampf gegen jede Form von Judenfeindlichkeit sei staatliche und bürgerschaftliche Pflicht: „Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen können.“ (dpa)

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