zum Hauptinhalt
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Betrugsverdacht bei privaten Teststellen: „Unbegreiflich, dass Spahn Lücken für Betrüger zugelassen hat“

Testzentren-Betreiber sollen bei Abrechnungen betrogen haben. Die SPD wirft dem Gesundheitsminister vor, versagt zu haben. Der kündigt stärkere Kontrollen an.

Angesichts des Verdachts von Abrechnungsbetrug in privaten Coronavirus-Teststellen hat die SPD Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) attackiert. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Es ist mir unbegreiflich, dass Jens Spahn trotz der Warnungen solche Lücken für Betrüger zugelassen hat. Er muss dafür sorgen, dass in der Corona-Bekämpfung mit Steuergeldern verantwortungsvoll umgegangen wird.“

Es sei „tief unanständig“, sich in der Pandemie auf Kosten der Allgemeinheit persönlich zu bereichern, meint der SPD-Politiker. Dabei sei es „egal ob es die Millionen-Deals mit überteuerten Masken sind oder nun der Betrug bei den Bürgertests“. Das Gesundheitsministerium müsse nun „dem offensichtlichen Missbrauch umgehend ein Ende setzen und das Geschäft mit den kostenlosen Bürgertests strenger kontrollieren“.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag: „Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.“

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. „Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden.“

Zuvor war bekannt geworden, dass die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum Ermittlungen aufgenommen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs bei Bürgertests. Das bestätigte am Samstag ein Sprecher der Behörde in Düsseldorf. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe. Anlass der Ermittlungen waren demnach Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ).

Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurden im Ruhrgebiet bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden. Den Namen des verdächtigen Unternehmens wollte die Behörde nicht nennen.

Zentren erhalten 18 Euro pro Test

Seit März sieht die Testverordnung der Bundesregierung Bürgertests vor. Im April hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erstmals die Kosten beim Bundesamt für Soziale Sicherung abgerechnet. Die Teststellen erhalten 18 Euro pro Test. In den Monaten April und Mai wurden insgesamt 660 Millionen Euro überwiesen.

[Als T+-Abbonnent lesen Sie hier: „Jede Dönerbude kriegt ein Zertifikat“. Millionengewinne für Betreiber – so leicht macht Deutschland es Test-Betrügern]

Nach Recherchen von WDR, NDR und SZ lädt das System zum Abrechnungsbetrug ein, da eine Kontrolle fehle. Stichproben hätten etwa an einer einzigen Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1000 abgerechnet worden seien. Ähnliches hätten Stichproben unter anderem in Essen und in Münster zutage gefördert.

Die Betreiber von Testzentren müssen für die Kostenerstattung nicht einmal nachweisen, dass sie überhaupt Antigen-Schnelltests gekauft haben, heißt es in den Berichten. Es genüge, wenn sie der jeweiligen KV die Zahl der Getesteten ohne jeglichen Beleg übermittelten.

Die Zahl der Teststellen ist stark gestiegen.
Die Zahl der Teststellen ist stark gestiegen.

© Christophe Gateau/dpa

Hintergrund des Problems ist dem Bericht zufolge die Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Dort heiße es ausdrücklich, dass die zu übermittelnden Angaben „keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen“ dürfen.

Onlinekurs über Abstrich reicht für Zertifikat

In dem Bericht von WDR, NDR und SZ hieß es weiter, wer kostenlose Bürgertests anbieten wolle, brauche dazu meist kaum Voraussetzungen. Ein Onlinekurs über die Abstrich-Entnahme reiche vielerorts aus, dann könne beim Gesundheitsamt einen Antrag auf Eröffnung eines Testzentrums gestellt werden. Dies werde meist ohne Schwierigkeiten genehmigt.

Dem Bericht zufolge verzeichnete allein Nordrhein-Westfalen Mitte März noch 1862 Teststellen, Mitte April waren es dann 5776 und Mitte Mai 8735.

Allein in Berlin 1400 Teststellen

Bundesweite Zahlen zu Testzentren in Deutschland gibt es keine – zumindest liegen dazu dem Gesundheitsministerium eigenen Angaben zufolge keine Erkenntnisse vor, wie eine Sprecherin am Freitag mitteilte. Für die Einrichtungen seien die Länder zuständig. Allein in Berlin gebe es derzeit rund 1400 Teststellen, sagte der Berliner Amtsarzt Patrick Larscheid am Freitag. „Sie wachsen schneller aus dem Boden, als wir informiert werden, wo überhaupt eine ist.“

Dabei beschwerten sich immer mehr Bürger über zweifelhafte Tests und Ergebnisse. Das Reinickendorfer Gesundheitsamt gehe Beschwerden nach und prüfe pro Tag 10 bis 15 Schnelltest-Stellen, sagte Larscheid. „Unsere Befürchtung ist eher, dass es eine ideale Möglichkeit ist, ohne jeden Nachweis vom Staat Geld in relevanten Größenordnungen abzukassieren.“

Spahn pochte am Samstag auf ein korrektes Vorgehen und prüft schärfere Kontrollregeln. Er sehe, dass die allermeisten Anbieter „das mit großen Engagement, sehr professionell und auch sehr ordentlich machen“, sagte der CDU-Politiker in Pretoria am Rande eines Südafrika-Besuchs. „Wir werden jetzt auch schauen, ob wir die Kontrollmechanismen noch mal verschärfen.“

Spahn prüft schärfere Kontrollen

Spahn sagte, die „Bürgertests“ seien sehr pragmatisch in einer Situation möglich gemacht worden, in der ein schneller Aufbau gewollt gewesen sei. Dabei entschieden die Behörden am Ort über Betreiber von Teststellen wie Ärzte, Apotheker, Rotes Kreuz oder auch private Anbieter. Es sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Gesundheitsbehörden entscheiden, wer die Bedingungen erfülle, das auch gut zu machen.

Spahn verwies zudem darauf, dass eine nachträgliche Kontrolle bereits vorgesehen sei. „In der Pandemie muss es manchmal schnell gehen.“ Anbieter müssten aber damit rechnen, dass Unterlagen bis Ende 2024 überprüft werden können. Ohnehin geplant gewesen sei, die Vergütung angesichts des größeren Angebots auf dem Markt demnächst zu senken.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die drei Medien berichteten über Recherchen in mehreren nordrhein-westfälischen Testzentren. Sie glichen die dortigen Abläufe mit einer internen Datenbank des Landes ab, in der die Meldungen der vorgenommenen Tests verzeichnet sind. Demnach zählten die Journalisten jeweils deutlich weniger Besucherinnen und Besucher in den Testzentren, als anschließend an das Land gemeldet wurden.

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Grünen forderten eine Nachbesserung der Testverordnung. Der niedrigschwellige Zugang zu Schnelltests sei ein Baustein einer sinnvollen Teststrategie, erklärten die Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink und Kordula Schulz-Asche.

Grüne kritisieren Spahn

Durch „zu lasche Regelungen und Vorgaben“ werde allerdings massiv das Vertrauen in die Abläufe der Testzentren und auch das Pandemie-Management im Allgemeinen eingebüßt. Spahn müsse „unverzüglich“ die Testverordnung nachbessern und die Lücken schließen, „um einen vertrauensvollen Ablauf möglich zu machen und unlautere Geschäfte zu verhindern“.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, sagte der dpa: „Kriminelle Energie kann man wohl nirgends ausschließen. Allerdings sind bei mir bislang noch keine belastbaren Zahlen aufgetaucht.“ Da die Zentren die Unterlagen aufbewahren müssten, gehe sie davon aus, dass die Länder zumindest stichprobenartig die Anzahl der abgerechneten Fälle und die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingegangenen Abrechnungsunterlagen überprüfen. „Sollten sich daraus Unregelmäßigkeiten ergeben, muss natürlich konkreten Fällen nachgegangen werden.“ (Tsp/dpa/ AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false