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Robert Habeck wurde Zielscheibe wütender Bauernproteste.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Update

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft: Stürmung von Habecks Fähre wurde offenbar nur knapp verhindert

Der Wirtschaftsminister kehrte am Donnerstag auf einer Fähre aus dem Urlaub zurück. Am Anleger warteten wütende Landwirte auf ihn. Nun gibt es neue Details zur versuchten Erstürmung.

| Update:

Gerangel, Schreie, Pfiffe: In Schlüttsiel in Schleswig-Holstein hat am Donnerstag eine Gruppe Landwirte versucht, eine anlegende Fähre mit dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an Bord zu stürmen. Der hatte dort gerade seinen Urlaub beendet, wie die schleswig-holsteinische Lokalzeitung „SHZ“ berichtete.

Inzwischen ermittelt deswegen die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Nötigung gegen unbekannt. Darüber hinaus werde geprüft, ob weitere Straftaten wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch vorliegen.

Der Minister war privat auf der Hallig Hooge gewesen. Am Fähranleger Schlüttsiel bei Dagebüll hatte er dann wegen der Blockade nicht an Land gehen können.

Wie dramatisch die Situation offenbar war, zeigen Angaben der Wyker Dampfschiffs-Reederei. Die Fähre ist demnach am Donnerstagabend um ein Haar von Demonstranten erstürmt worden.

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Dies habe der Kapitän im letzten Moment verhindert, indem er wieder ablegte, sagte der Geschäftsführer der Reederei, Axel Meynköhn, der dpa am Freitag.

Ein Beamter der Einsatzstelle der Polizei in Schleswig-Holstein bestätigte dem Tagesspiegel am Donnerstag einen Einsatz am Fähranleger Schlüttsiel. Gegen 16 Uhr hätten rund 100 Bauern mit ihren Traktoren und Fahrzeugen den Anleger blockiert. „Das ist ein bisschen eskaliert“, sagte der Polizist.

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Rund 30 Beamte seien im Einsatz gewesen. Sie hätten auch Pfefferspray eingesetzt, sagte ein Polizeisprecher der „Deutschen Presseagentur“. Es habe aber keine Verletzte und keine Anzeigen gegeben. Der Minister sei nicht zu Schaden gekommen. „Landfriedensbruch steht schon im Raum“, sagte ein Polizeisprecher auf die Frage, ob trotzdem ermittelt werde. 

„Das ist ein schlimmer Vorgang“

Alle etwa 30 Fahrgäste, die von den Halligen kamen, seien am Verlassen der Fähre gehindert worden. Ein Lastwagenfahrer sei genötigt worden, von der Rampe rückwärts wieder auf die Fähre zu fahren. „Das ist aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang“, sagte Meynköhn.

Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können. Der Kapitän habe mit den Personenschützern an Bord und nach Rücksprache mit der Polizei an Land entschieden, wieder abzulegen.

Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen.“ Er wisse von der Besatzung, dass Leute noch rübergesprungen wären, wenn das Schiff nicht bereits zu weit weg gewesen wäre, sagte der Geschäftsführer.

Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.“ Die Fähre sei dann mit allen Passagieren an Bord zunächst zur Hallig Hooge zurückgefahren. Es gehe hier nicht mehr nur um Robert Habeck, der privat auf Hooge war, es gehe um die Gesamtheit des Schiffes, seiner Passagiere und seiner Besatzung, betonte Meynköhn.

„Hier ist ganz klar genötigt worden. So einen Vorfall hat es nach unserem Kenntnisstand es in der fast 140-jährigen Geschichte der Reederei noch nicht gegeben.“

Habeck besorgt über gesellschaftliches Klima

Am Freitag zeigte sich Habeck besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland. „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, erklärte der Vizekanzler. Protestieren in Deutschland sei „ein hohes Gut“. Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. „In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten“, forderte Habeck.

„Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen“, erklärte Habeck seinem Ministerium zufolge weiter. Sie seien „die Helden und Heldinnen der Demokratie“.

Die Bundesregierung hatte bereits am Freitagmorgen den Vorfall kritisiert: „Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein“, schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Plattform X. Die Blockade von Habecks „ist beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“, hieß es weiter.

Bauernverband nennt Blockaden dieser Art ein „No-Go“

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, distanzierte sich am Freitag von den Vorkommnissen: „Blockaden dieser Art sind ein No-Go. Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern.“

Auf Bildern, die auf X kursieren, ist zu sehen, dass mehrere Demonstranten versuchten, die Fähre zu stürmen. Es wurden Feuerwerkskörper, Raketen und Böller gezündet. Sicherheitskräfte entschieden sich daraufhin, die Fähre an einen anderen Ort zu bringen, wo der Minister an Land gehen konnte.

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums sagte dem Tagesspiegel am Abend: „Der Bundesminister war gerne bereit, mit den Landwirten zu sprechen. Er kennt und versteht ihre Sorgen.“

Innenministerin Faeser erinnert an Mordfall Lübcke

Habeck, der Kanzler und Finanzminister Lindner hätten daher ja auch eine Lösung gefunden, um den Landwirtinnen und Landwirten entgegenzukommen und einen Teil der Subventionskürzungen zurückzunehmen, so die Sprecherin weiter. „Leider ließ die Sicherheitslage ein Gespräch mit allen Landwirten nicht zu, das von Minister Habeck gemachte Gesprächsangebot mit einzelnen Landwirten wurde leider nicht angenommen.“

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte vor wachsender politischer Aggression in Deutschland. „Wenn Politiker von einem aufgepeitschten Mob zu Hause aufgesucht und als ‚Volksverräter‘ beschimpft werden, wenn sie symbolisch an Galgen aufgehängt werden oder wie jetzt Vizekanzler Robert Habeck in seinem Privatleben bedroht und bedrängt werden, dann sind das massive und inakzeptable Grenzüberschreitungen“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

„Wir sollten nie vergessen, wo politische Aggression hinführen kann. Das rechtsextremistische Mordattentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, wie brandgefährlich Hetze sein kann.“

Faeser rief die demokratischen Kräfte dazu auf, der Radikalisierung früher entgegenzutreten. „Der Rechtsstaat greift durch, wenn die roten Linien des Strafrechts überschritten werden und verbales Aufhetzen in Radikalisierung und Gewalt mündet. Aber dem schon viel früher Einhalt zu gebieten, ist die Verantwortung aller demokratischen Kräfte“, sagte sie. „Diese Verantwortung muss viel ernster genommen werden.“ Dazu gehöre eine klare Abgrenzung von radikalen Kräften.

Scharfe Kritik an Bauern auch von Grünen und FDP

Diese Abgrenzung zeige sich zuerst in der Sprache. „Die zunehmende Vergiftung von Debatten muss ein Ende haben“, forderte Faeser. „Wir erleben eine oftmals vernichtende Sprache, die immer härter gegen politisch verantwortliche Personen gerichtet wird, statt sich mit den zugrundeliegenden Themen zu beschäftigen. Dem muss man deutlich entgegentreten, laut widersprechen – und man darf sich keinesfalls sprachlich oder politisch an Radikale und Populisten anbiedern.“

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte sich auf „X“ zu dem versuchten Angriff auf Habeck: „Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen“, schrieb er. Dabei messe Özdemir „immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen“.

Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) verurteilte den versuchten Angriff auf den Wirtschaftsminister: „Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren“, schrieb Buschmann auf „X“. Das diskreditiere das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrierten, so der Minister.

Ampel will geplante Kürzungen für Landwirte teilweise zurücknehmen

Britta Haßelmann, die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, bezeichnete den Vorfall auf „X“ als „erschreckend“, sowie „eine völlige Grenzüberschreitung und ein Angriff auf die Privatsphäre von Robert Habeck“. Vom Bauernverband erwarte Haßelmann, „dass er sich in aller Klarheit von solchen Aktionen distanziert“.

Am Donnerstag hatte die Ampelkoalition beschlossen, geplante Kürzungen von Subventionen für Landwirte teilweise zurückzunehmen. Damit reagierte die Bundesregierung auf Proteste von Bauern und Landwirten in ganz Deutschland.

Auch am Donnerstag hatten Landwirte auf Treckern für ihre Interessen demonstriert. Der Deutsche Bauernverband hält die Maßnahmen aber für unzureichend – und hält an einer ab Montag geplanten Aktionswoche fest.

„Wir stehen bei dieser Aktionswoche nicht für irgendwelche Kapitolerstürmungen und für Reichsbürger und für Aluhüte, sondern ganz klar für die Anliegen der Landwirtschaft.“ Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken, am Freitag im „Morgenecho“ der Radiowelle WDR5 auf die Frage, inwieweit sich auch Rechtsextremisten und Querdenker an den Bauernprotesten beteiligten. (mit lem)

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