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Olaf Scholz beim Bürgerdialog in Erfurt – es war der neunte dieser Art.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Rente, Post-Covid und Jobs: Der Kanzler zeigt sich in Thüringen als Kümmerer

Nach der Rückkehr aus dem Urlaub verteidigt Olaf Scholz beim Bürgerdialog in Erfurt seine Politik – und macht versteckte Ansagen zur Renten-, Bildungs- und Gesundheitspolitik.

Er ist zurück: Drei Wochen lang war Olaf Scholz aus der Öffentlichkeit verschwunden, er hat Urlaub gemacht in der Provence – so gut das in seiner Position eben geht. Weil einiges passiert ist in dieser Zeit, worauf der Bundeskanzler nicht reagierte – höhere Asyl- und niedrigere Wirtschaftszahlen – waren die Erwartungen groß vor seinem ersten offiziellen Kanzlertermin nach der Rückkehr und einem Wahlkreisbesuch.

Der Bürgerdialog hat noch dazu in Erfurt stattgefunden, der Landeshauptstadt Thüringens, wo die AfD in Umfragen noch viel stärker als im Bund dasteht und deren Landesparteichef Björn Höcke gerade sagte, dass die EU für das Wohlergehen Deutschlands „sterben“ müsse. Eine Höhle des Löwen also?

Plädoyer für Europa

Eine indirekte Antwort auf Höcke gibt es gleich zu Beginn. Scholz erinnert im Osten der Republik an die einstigen Bedenken gegenüber einem großen, wiedervereinten Deutschland und daran, dass „die deutsche Einheit ohne die EU nie zustande gekommen wäre“. Man dürfe „nie vergessen, dass es diesen Zusammenhang gibt“. Und auch jenseits der Geschichte betont Scholz, wie wertvoll der EU-Binnenmarkt mit seinen 400 Millionen Verbrauchern für die deutsche Wirtschaft sei.

Wir leben in Zeiten großer Umbrüche, und Umbrüche machen immer Sorgen und Angst.

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Die gesellschaftliche Verunsicherung, die der AfD zu neuen Umfragehöhen verholfen hat, ist auch an diesem Abend in Erfurt zu spüren. „Die Menschen verlieren immer mehr Vertrauen in die Politik“, stellt eine Frau fest. Eine andere kritisiert, dass in aller Welt „Geld rausgeworfen“ werde, während in Deutschland Jugendclubs geschlossen würden sowie Lehr- und Pflegekräfte fehlten. Eine dritte mit 900 Euro Rente sagt, sie komme „nicht mehr mit“, wenn sie sehe, dass viele im Land ohne Arbeit gut vom Bürgergeld lebten.

Der Kanzler äußert Verständnis: „Wir leben in Zeiten großer Umbrüche, und Umbrüche machen immer Sorgen und Angst.“ Bei der Rente verspricht er, dass es auf lange Zeit kein höheres Renteneintrittsalter geben werde. Er berichtet, dass seine Regierung dafür gesorgt habe, dass die Rentenbeiträge seit Jahresbeginn ganz vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden: Das seien „jetzt 100 Prozent“.

Er präsentiert sich als Kümmerer, der immer wieder darum bittet, ihm einzelne Probleme nach der Veranstaltung noch einmal genau zu schildern, etwa warum die ehemals Selbstständige nicht mehr für das Alter vorsorgen konnte oder in welche finanziellen Probleme die an Post-Covid Erkrankte nun konkret geraten sei. Er berichtet in diesem Zusammenhang, dass seine Regierung den Zugang zu noch nicht abschließend getesteten Medikamenten ermöglichen will, wenn der Patient das ausdrücklich will.

Er verteidigt die Sicherheitsausgaben

Zum fehlenden Geld für heimische Probleme sagt der Kanzler erst kühl, dass nie alles Wünschenswerte finanziert werden könne. Auch die Demokratieförderung hänge nicht an Bundesprogrammen, jeder Einzelne müsse sie stärken. Er kommt dann aber schnell auf den Grund zu sprechen – aus seiner Sicht ist dies nicht die Schuldenbremse, sondern der Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Wir müssen das tun“, sagt er zu den vielen Milliarden Euro, die nun in die Bundeswehr, die Sicherheit und Partnerschaften in aller Welt fließen. Und dass die Fleißigen „verärgert“ sind, könne er verstehen, „wenn andere nicht schauen, wo sie anpacken können“.

Den Atomausstieg verteidigt er. „Wir haben uns für die billigste Lösung entschieden“, sagt er und rechnet vor, dass der Neubau von Kernkraftwerken den Strompreis auf 20 Cent pro Kilowattstunde treiben würde, während die Erneuerbaren für „unter zehn Cent“ zu haben sein würden. Bei der insgesamt schwächelnden Konjunktur verweist er auf die jüngsten Milliardeninvestitionen der Halbleiterindustrie in Ostdeutschland – „die größten in der Geschichte“.

Zuversicht lautet also die Parole. Bei seiner eigenen Regierung sieht er keine Verantwortung für die Schwächephase: „Als Exportnation können wir nicht verhindern, dass andere Länder einmal schwächeln.“

Eine klare politische Ansage in Richtung der Bundesländer gibt es am Ende des Abends. Eine Schülerin fragt, warum es immer noch kein Zentralabitur gebe – am selben Tag mit den gleichen Fragen. Die notwendige Grundgesetzänderung, um dem Bund die Bildungshoheit zu übertragen, „kommt nie zustande“, erklärt Scholz, um dann aber zu berichten, dass zumindest die Angleichung der Abiturstandards bei den Kultusministern in Arbeit und nur noch die Zahl der Leistungskurse strittig sei: „Würfelt es aus!“, ruft der Kanzler den Ländern unter großem Applaus zu: „Es ist voll egal, ob es zwei oder drei sind, Hauptsache, es ist einheitlich.“

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