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Ein russischer Soldat steht vor einer selbstfahrenden Haubitze in der Region Charkiw. (Symbolbild)

© Imago Images/Viktor Antnyuk/Sputnik

Russische Soldaten berichten von ihren Verbrechen: „Ich gestehe, dass ich Zivilisten exekutiert und Bürger bestohlen habe“

Immer mehr Berichte russischer Soldaten über Gräueltaten in der Ukraine werden öffentlich. Die Unzufriedenheit bei Moskaus Truppen scheint groß.

„Ich, Daniil Andrejewitsch Frolkin, gestehe alle Verbrechen, die ich in Andrijwka begangen habe: dass ich Zivilisten exekutiert habe, dass ich Bürger bestohlen habe, dass ich deren Telefone beschlagnahmte.“ Diese Worte sagt ein russischer Soldat der berüchtigten 64. Motor-Schützenbrigade gegenüber der russischen Investigativplattform „iStories“.

Kämpfer der Brigade werden neben anderen Einheiten für die Massaker im Kiewer Vorort Butscha verantwortlich gemacht. Für ihren Einsatz nahe Kiew erhielten die Soldaten vom russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Ehrentitel.

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Über 26.000 Kriegsverbrechen russischer Soldaten wurden seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine offiziell registriert. Nach fast einem halben Jahr melden sich nun einige der Täter, wie Daniil Frolkin, öffentlich zu Wort.

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Die russische Investigativplattform „iStories“ und das russische Exilmedium „Meduza“ veröffentlichten in den vergangenen Tagen Recherchen über und Berichte von Russen, die von ihrem Einsatz in der Ukraine berichten.

Noch sind es nur wenige, und doch bestätigen ihre Berichte Anschuldigungen, die bereits seit Kriegsbeginn gegen die russische Armee erhoben werden: Dass sie grundlos Zivilisten foltert, tötet, entführt und deren Häuser plündert. Dass sie Angehörige daran hindern, die Toten zu begraben.

Die Berichte bestätigen auch, dass viele der russischen Soldaten wohl vor dem 24. Februar nicht wussten, dass sie ihr Nachbarland angreifen sollten.

Russischer Soldat gesteht Mord – will jedoch keine Verantwortung übernehmen

Den Journalisten von „iStories“ gelang es mithilfe von Augenzeugenberichten aus Adrijwka und Fotos in sozialen Netzwerken Frolkin und drei seiner Kameraden – Dmitri Danilow, Ruslan Flotow und Iwan Scheplenko von der 64. Motor-Schützenbrigade - zu identifizieren. Sie waren in dem Dorf Andrijwka in der Region Kiew stationiert.

Frolkin räumte zunächst nur ein, mit einem gestohlenen Motorrad durch Andrijwka gefahren zu sein und dass er und andere Soldaten ukrainische Läden plünderten. Anwohner hatten „iStories“ unter anderem erzählt, dass sie den Soldaten auf dem Motorrad sahen. Doch sie berichteten auch von Gräueltaten: Am 2. März sollen russische Soldaten den Anwohner Igor Jermakow entführt haben. Zwei Tage später soll er mit Schussverletzungen und anderen Anzeichen von körperlicher Gewalt tot aufgefunden worden sein.

Am 12. März sollen russische Soldaten drei weitere Männer getötet haben. Sie sollen von den Russen verdächtigt worden sein, Informationen über russische Truppenbewegungen an die ukrainische Armee weitergegeben zu haben.

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Letztendlich räumte auch Frolkin ein, einen Anwohner getötet zu haben. Er berichtet, dass er mit anderen Soldaten drei Bewohner aufgriff. Er erzählt, dass sie sie zwangen, sie zu ihren Häusern zu führen. „In ihren Häusern sahen wir aber Fotos von anderen Leuten. Das bedeutete, dass sie uns nicht zu ihren tatsächlichen Wohnungen geführt hatten“, sagt Frolkin.

„Sie hatten ein Bündel Bargeld: Hrywnia, Dollar, alles Mögliche. Der Oberstleutnant, der bei uns war, Alexander Prokurat, nahm das Geld für sich und gab uns den Rest - ihre Dokumente und Telefone - und sagte: ‚Erschießt sie.‘ Und das war's - ich ging hin und erschoss einen der Leute.“

Frolkin sagte gegenüber „iStories“ er habe seit Kriegsbeginn „86 Menschen gerettet und einen getötet.“ Frolkin hofft, dass seine Kameraden infolge seines Geständnisses aus der Ukraine abgezogen werden. Seine „Jungs“ sollen, wie Frolkin sagt, bald an die Front nach Cherson geschickt werden.

Dort plant die Ukraine bereits seit längerer Zeit eine Gegenoffensive, um die südukrainische Stadt zurückzuerobern. Seit die Ukraine ihre Pläne zur Gegenoffensive öffentlich machte, zieht Russland Bataillone aus dem Donbass in die Südukraine ab.

„Es ist besser, ein Leben zu zerstören, als 200-300 Leben zu vernichten. Ich kenne alle diese Leute. Die 50 Leute, die von unserem Bataillon übrig geblieben sind, sind gute Jungs, und ich will nicht, dass ihr Leben ruiniert wird", sagte Frolkin weiter.

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Gegenüber „iStories“ weigerte sich Frolkin Verantwortung für den Mord, den er begangen hat, zu übernehmen. Seinem Geständnis fügte er nämlich hinzu: „Und ich gestehe, dass unser Kommandeur sich kein bisschen für die Soldaten oder für irgendeinen Kämpfer der Infanterie interessiert."

Und weiter: „Ich möchte dazu aufrufen, unsere Befehlshaber zu bestrafen: Oberst Asatbek Asanbekowitsch Omurbekow, Oberstleutnant Sergej Dmitrenko, der stellvertretende Kommandeur für Versorgung und Logistik [Wjatscheslaw] Klobukow und der Chef des Nachrichtendienstes Oberstleutnant Denis Romanenko.“

Fallschirmjäger schreibt Buch über seine Erfahrungen im Krieg

Auch der 33-Jährige Fallschirmjäger Pawel Filatiew war einer von tausenden Russen, die am 24. Februar die Ukraine überfallen haben. Zwei Monate später trat er aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee aus. Jetzt hat Filatiew ein Buch veröffentlicht, in dem er den Krieg als solchen bezeichnet – obwohl dies in Russland verboten ist – und den Krieg verurteilt.

Ausschnitte aus seinem Buch wurden zuerst von "iStories" veröffentlicht, anschließend übersetzte das russische Online-Medium „Meduza“ Passagen des Buches ins Englische.

Filatiew war vor der Invasion auf der Krim stationiert, wie er selbst schreibt, und merkte Mitte Februar, „dass sich definitiv etwas zusammenbraut“. Das will er daran gemerkt haben, dass selbst die Ausgemusterten und Kranken wieder auf den Trainingsplatz geschickt worden sein sollen.

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Am 20. Februar musste Filatiews Einheit losmarschieren, wie er schreibt, wohin, soll unklar gewesen sein. Am 23. Februar soll der Divisionskommandeur verkündet haben, dass ab dem kommenden Tag – dem 24. Februar – das tägliche Gehalt 69 US-Dollar betragen sollte, eine deutliche Erhöhung. „Das war ein klares Zeichen, dass etwas Ernstes passieren würde.“

Zu Beginn des Angriffskrieges, am 24. Februar um 2 Uhr, soll Filatiew sich auf einem Panzer „irgendwo in der Wildnis“ befunden haben, links und rechts feuerte seine Brigade Artillerie ab. „Ich konnte nicht verstehen: Schießen wir auf vorrückende Ukrainer? Oder vielleicht auf NATO-[Truppen]? Oder greifen wir an? Auf wen zielt dieser höllische Beschuss?“, schreibt Filatiew.

Nach einer Weile, als er und seine Kameraden den Befehl erhielten, nach Cherson vorzurücken, verstand Filatiew, dass Russland die Ukraine attackiert hatte.

Ein russischer Panzer mit der Aufschrift "Z" patrouilliert durch die okkupierte Stadt Cherson.

© Foto: Imago/Itar-Tass

In Cherson angekommen hätten er und andere russische Soldaten „in Gebäuden nach Essen, Wasser, Duschen und einem Schlafplatz gesucht“. Einige hätten begonnen, Computer und andere Wertgegenstände zu stehlen. „Ich war keine Ausnahme: Ich fand einen Hut in einem zerstörten Panzer und nahm ihn“, schreib er.

Filatiev zufolge war die Technik „hoffnungslos veraltet“, die Kampftaktiken, die die russische Armee anwandte, seien dieselben, die ihre Großväter angewandt hatten.

Unzufriedenheit russischer Soldaten mit dem Verteidigungsministerium

Seiner Meinung nach ist der größte Teil der Armee unzufrieden mit den Geschehnissen, mit Putin und seiner Politik. „Wir hatten kein moralisches Recht, ein anderes Land anzugreifen, vor allem nicht das Volk, das uns am nächsten steht. Als das alles begann, kannte ich nur wenige Menschen, die an die Nazis glaubten und außerdem gegen die Ukraine kämpfen wollten. Wir hegten keinen Hass und betrachteten die Ukrainer nicht als Feinde.“

Ein Großteil der russischen Armee sei unzufrieden mit der russischen Regierung, mit Putin und seiner Politik und mit dem Verteidigungsminister Sergej Shoigu.

Dieser Bericht deckt sich mit Recherchen der Investigativmedien „Bellingcat“ und „The Insider“. Sie erhielten vergangene Woche Zugriff auf ein Archiv mit Beschwerden russischer Soldaten bei Russlands Militärstaatsanwalt. Darin beschuldigen sie das Verteidigungsministerium, ihre Einheiten getäuscht und zu Kampfhandlungen in der Ukraine gezwungen zu haben.

Ein Soldat, der keinen Vertrag unterschreiben wollte, soll von Kommandeuren geschlagen worden sein. Ein weiterer Soldat soll geglaubt haben, nach Syrien auf ein Kampfschiff geschickt zu werden. Stattdessen soll er „unter einem Vorwand in die Ukraine gebracht“ worden sein.

„Ich bin 21 Jahre alt und möchte leben. Mein Kommandeur weigert sich, mein Kündigungsschreiben zu akzeptieren“, soll dieser Soldat geschrieben haben. Angehörige russischer Soldaten beschwerten sich außerdem, dass das Verteidigungsministerium ihnen nicht helfe, die Überreste gefallener Soldaten für Beerdigungen nach Russland zu transportieren.

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