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Brunson war im Juli aus dem Gefängnis entlassen und in den Hausarrest überstellt worden.

© Reuters

Streit zwischen Ankara und Washington: Türkisches Gericht lässt Pastor Brunson frei

Gericht hebt Gewahrsam nach politischem Deal zwischen Ankara und Washington auf. Konflikte bleiben.

Was haben sie ihm nicht alles vorgeworfen: Zusammenarbeit mit Terroristen, Spionage, Untergrabung der staatlichen Einheit der Türkei. Bis zu 35 Jahre Haft forderte die türkische Staatsanwaltschaft für den US-Missionar Andrew Brunson. Doch am Freitag war vor Gericht in Aliaga bei Izmir plötzlich alles anders. Reihenweise widerriefen die Zeugen der Anklage ihre Aussagen gegen den Geistlichen, der seit zwei Jahren in Haft saß. Am Ende entschied der Richter, dass Brunson nach Hause heimkehren darf. Die Freilassung ist ein dringend benötigter Impuls für die krisengeplagte Wirtschaft – und ein besonders krasses Beispiel dafür, wie die türkische Justiz von der Regierung gelenkt wird.

Der Sinneswandel der türkischen Seite hatte sich schon vorher angedeutet. Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Brunson mehrmals öffentlich attackiert hatte, betonte diesmal, er könne sich nicht in die Entscheidungen der Justiz einmischen. Gleichzeitig berichteten US-Medien über eine Abmachung zwischen der Türkei und Washington, mit der Brunson die Freiheit erhalten solle.

Bizarre Zeugen

Brunson, der seit mehr als 20 Jahren eine kleine protestantische Kirche in Izmir leitet, war im Oktober 2016 festgenommen worden. Die Anklage warf dem Priester vor, mit der Bewegung des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen kooperiert zu haben, der für den Putschversuch im Juli desselben Jahres verantwortlich gemacht wird. Auch für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) soll der 50-jährige Brunson gewirkt haben – obwohl die PKK zu den Feinden Gülens zählt.

Erdogan schlug öffentlich einen Tausch von Brunson gegen Gülen vor, der in den USA lebt, doch Washington lehnte ab. Trotzdem versuchte Ankara, sich die Freilassung des Pastors teuer abkaufen zu lassen. Als das Gericht in Aliaga im August entgegen den amerikanischen Erwartungen den Geistlichen nicht nach Hause entließ, verfügte US-Präsident Donald Trump wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei, die den Sturzflug der Türkischen Lira beschleunigten. Laut Medienberichten hatte Trump neue Sanktionen für den Fall vorbereitet, dass Brunson auch am Freitag nicht nach Hause entlassen werden sollte. Doch dann kamen die Berichte über eine Einigung hinter den Kulissen – und die plötzliche Wende beim Gerichtstermin.

Der Kronzeuge der Anklage, Levent Kalkan, hatte bisher behauptet, Brunson habe Gülen-Anhänger beherbergt. Jetzt widerrief er diese Aussage plötzlich. Ein weiterer Zeuge hatte zu Protokoll gegeben, Brunson habe mit einem PKK-Mitglied kooperiert. Nun sagte der Mann, er habe das auch nur vom Kronzeugen Kalkan gehört. Ein weiterer Belastungszeuge sagte, er habe von den Vorwürfen gegen Brunson nur in der Zeitung gelesen.

Hoffen auf Ende der Sanktionen

Am Ende stand eine Entscheidung des Gerichts, die sehr nach Gesichtswahrung aussah. Die Richter verurteilten Brunson zu drei Jahren Haft, rechneten aber seine bereits abgesessene Haftzeit an und setzten ihn auf freien Fuß. Selbst gemessen an den Maßstäben der auf Regierungslinie gebrachten türkischen Justiz war die Vorstellung äußerst merkwürdig.

Auch nach Brunsons Freilassung bleiben viele Streitpunkte zwischen der Türkei und den USA. Besonders schwer wiegen die Interessenskonflikte in Syrien. Dort unterstützen die USA die Kurdenmiliz YPG, die von der Türkei als Terrorgruppe bekämpft wird.

Dennoch brachte das Urteil vom Freitag für die Türkei eine wichtige Erleichterung. In Erwartung der Freilassung des Pastors hatte der Kurs der Lira bereits vor der Entscheidung zugelegt. Noch am Freitag wurde mit der Aufhebung der US-Sanktionen gerechnet. Über weitere Gegenleistungen der USA war zunächst nichts bekannt.

Dass nach Brunson andere westliche Bürger oder türkische Regierungsgegner nun ebenfalls hoffen können, ist nicht sicher. Während Brunson am Freitag freikam wurde, lehnte ein Gericht im südtürkischen Adana die Freilassung eines inhaftierten türkischen Mitarbeiters des US-Konsulats ab.

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