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Geflüchtete westlich von Tripolis in internationalen Gewässern.

© Imago/Hotspot-Foto/Rene Traut/Johannes Moths

„Eine Veräppelung der Bürger“: Das sagen Experten zum Asyl-Vorschlag von CDU-Politiker Frei

Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, will das individuelle Recht auf Asyl abschaffen. Die politische Empörung ist groß. Doch was sagen Expertinnen und Experten?

Mit einem Gastbeitrag hatte Thorsten Frei einen Stein ins Wasser geworfen – und die Empörung war groß. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag hatte in einem Text für die „FAZ“ eine Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl vorgeschlagen.

Als „brandgefährlich und geschichtsvergessen“ bezeichnete etwa die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), den Vorstoß. Doch was genau würden Freis Ideen überhaupt bedeuten – juristisch und praktisch? Verfassungsrechtler:innen und Migrationsexperten melden erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit an.

Was genau fordert Frei?

Frei schlägt vor, das Recht einzelner Migranten, auf europäischem Boden Asyl zu beantragen, abzuschaffen und durch Aufnahme-Kontingente zu ersetzen. Diese 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge pro Jahr sollten direkt im Ausland ausgewählt und dann in Europa verteilt werden.

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„Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen“, schrieb der CDU-Politiker in der „FAZ“. Die Konsequenz aus Freis Vorschlag: Wären die Kontingente aufgebraucht, würden keine Menschen mehr aufgenommen.

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Wer bekommt überhaupt in Deutschland Schutz?

In Artikel 16a des Grundgesetzes steht: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Diesen Schutz bekommen nur Menschen, die nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist sind. Im Jahr 2022 wurden nur in 0,8 Prozent aller Entscheidungen Menschen als asylberechtigt nach dem Grundgesetz anerkannt.

Schutz in Deutschland bekommen aber auch Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt sind oder die subsidiären Schutz bekommen. Dazu kommen Menschen, bei denen zwar keine Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt werden konnte, denen jedoch im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden drohen würde. Außerdem gelten Abschiebeverbote für Menschen, die beispielsweise schwer krank sind. Diese Unterscheidung macht Frei in seinem Text nicht.

Welche juristischen Folgen hätte Freis Vorschlag?

„Wenn man den gesamten Zugang zum Schutzsystem abschaffen will, wäre das sehr weitreichend“, sagt Constantin Hruschka, Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht. „Man müsste aus der Genfer Flüchtlingskonvention austreten, das Umsetzungsgesetz zur Flüchtlingskonvention und viele andere Gesetze ändern.“ Der Bezug zur Flüchtlingskonvention sei so tief in unserer Rechtsordnung verankert, dass man ihn quasi nicht kappen könne.

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Die Verfassungsrechtlerin Nora Markard kritisiert Freis Vorstoß scharf. „Es ärgert mich als Wissenschaftlerin, dass es der CDU gelingt, mit diesem unsinnigen Vorschlag die politische Debatte zu kapern. Man muss es so klar sagen: Der Vorstoß von Frei ist eine Veräppelung der Bürger.“

Ein grundlegendes Problem, das Markard und andere Experten an Freis Vorstoß sehen: Er würde dazu führen, dass man ankommende Menschen an der Grenze abweisen müsste, ohne dass sie die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Es gilt aber das sogenannte Refoulement-Verbot, das auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Es besagt, dass niemand zurückgewiesen oder abgeschoben werden darf, wenn im Zielland Menschenrechtsverletzungen oder unmenschliche Behandlung drohen.

Man muss es so klar sagen: Der Vorstoß von Frei ist eine Veräppelung der Bürger.

Nora Markard, Verfassungsrechtlerin

„Selbst wenn man das Asylgrundrecht abschaffte: Nicht abschaffen kann man das Refoulement-Verbot. Was soll dann also mit den Menschen passieren, die nach der Asylrechtsabschaffung in Deutschland und Europa ankommen?“, fragt der Migrationsexperte Daniel Thym. „Dann hätte man hier Leute ohne gesicherten Rechtsstatus, die nicht arbeiten können und kaum Sozialleistungen bekommen.“

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Auch Markard kritisiert das. „Man würde haarsträubende Zustände an deutschen Grenzen herbeiführen, wenn man Menschen einfach zurückweist“, sagt sie. Man habe das an der Grenze zu Belarus gesehen. „Sie würden dann womöglich in Wäldern leben und wüssten nicht, wohin.“

Hat Frei in bestimmten Punkten dennoch recht?

In der Analyse geben Experten dem Unionsmann in mehreren Punkten trotzdem recht. So kritisiert er, dass dienigen, die zu alt, zu schwach oder zu arm seien, es oft nicht nach Europa schaffen, weil sie sich nicht auf den Weg über das Mittelmeer machen könnten.

Tatsächlich tut die EU gegenwärtig alles, um zu verhindern, dass Geflüchtete ihr Hoheitsgebiet erreichen. Das führt zu irregulärer Migration, riskanten Fluchtrouten und vielen Todesfällen.

Herbert Brücker, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung

„Der Zugang zu Asyl in Europa ist schwieriger geworden“, sagt etwa der Migrationsrechtsexperte Hruschka. „Die Zusammensetzung derer, die in Europa ankommen, unterscheidet sich von den Flüchtlingen weltweit: Es sind deutlich mehr Männer. Das hat aber auch viel damit zu tun, wie in den Herkunftsländern ausgewählt wird, wen eine Familie nach Europa schickt.“

Die Zusammensetzung derer, die in Europa ankommen, unterscheidet sich von den Flüchtlingen weltweit: Es sind deutlich mehr Männer.

Constantin Hruschka, Migrationsrechtsexperte

Auch der Migrationsexperte Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sieht einen Punkt, in dem Frei recht hat: „Tatsächlich tut die EU gegenwärtig alles, um zu verhindern, dass Geflüchtete ihr Hoheitsgebiet erreichen. Das führt zu irregulärer Migration, riskanten Fluchtrouten und vielen Todesfällen.“

50
Prozent der Antragstellenden erhalten in erster Instanz einen Schutzanspruch.

Die Aufnahme von Schutzbedürftigen über Kontingente, wie Frei sie vorschlägt, und das sogenannte Resettlement gibt es allerdings bereits. „Man kann natürlich die Resettlement-Programme ausweiten“, sagt Verfassungsrechtlerin Markard. Dann könnten mehr Menschen, die nicht die Mittel hätten, sich vor Verfolgung zu retten, aus ihren Herkunftsländern direkt nach Deutschland und in die EU kommen. „Aber solche Kontingente können immer nur ein Zusatz sein und kein Ersatz für das Recht auf Asyl.“

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Was ihm fehle, sei die Debatte, wie man handhabbare Lösungen hinbekomme, sagt Migrationsexperte Hruschka. Die Antragszahlen der Asylbewerber seien wieder stark gestiegen, dadurch hätten sich die Bearbeitungszeiten erheblich verlängert und es gebe Probleme, Unterkünfte zu finden. „Man sollte das erst mal lösen, bevor man unrealistische Überlegungen anstellt, wie man es schafft, dass keiner mehr kommt.“

Bekannt ist auch, dass es bei der Abschiebung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern Probleme gibt – etwa weil diese keine Papiere haben oder weil ihre Herkunftsstaaten sie nicht zurücknehmen. Brücker hält es für empirisch aber für nicht haltbar, zu behaupten, dass Deutschland im großen Umfang durch Schutzsuchende belastet werde, die gar keine legitimen Schutzansprüche hätten.

Laut Statistik erhielten in erster Instanz rund 50 Prozent der Antragsteller einen Schutzanspruch. Unter den hier lebenden Schutzsuchenden, über deren Anträge bereits entschieden wurde, liege die Schutzquote bei gut 85 Prozent. Das liege an zwei Dingen, sagt Brücker: „Erstens werden auf dem Instanzenweg durch Gerichte und außergerichtliche Einigungen noch viele Anträge anerkannt. Zweitens reisen viele Personen, deren Anträge abgelehnt wurden, freiwillig wieder aus.“

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