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Joffe

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Vier Fragen an Josef Joffe: Was macht die Welt?

Warum sich Kiew mit dem hungrigen Bären arrangieren muss, der Papst ein neues Geschäftsmodell sucht und ein Blick in die Glaskugel nützlich sein kann.

Kiew nähert sich der Nato an. Wie soll die reagieren?
Zurückhaltend. Um die Ukraine glaubhaft verteidigen zu können, müsste die Nato massenweise Soldaten an der vordersten Front platzieren. Wie einst in Westdeutschland im Rahmen der "Vorneverteidigung". Da stand eine Million alliierter Soldaten westlich vom "Eisernen Vorhang". Solche Truppen besitzt das Bündnis nicht mehr – und erst recht nicht die Risikobereitschaft. Das traurige Fazit für Kiew: Es wird sich strategisch mit dem hungrigen Bären vor seiner Tür arrangieren müssen, um wirtschaftlich Anlehnung – Modernisierung und Investitionen – an die EU herausschlagen zu können.

Der Papst als Politiker: Was sollte sich Franziskus nach Kuba noch vornehmen?
Die Enteisung geht auf das Konto von Raul Castro, Barack Obama und des Niedergangs der Havanna-Freunde Russland und Venezuela. Franziskus probt aber in der Tat ein neues "Geschäftsmodell": Welten-, statt Seelenheil. Es ist nicht gottgegeben, dass ein Pontifex seine Autorität dauerhaft vom spirituellen in den profanen Raum übertragen kann. In der bösen Realwelt braucht man nicht nur "soft power", sondern auch "hard power". Je sparsamer man Ansehen einsetzt, desto wirksamer wird dieser Vorteil sein.

1914–2014: Welche Erkenntnis hat das Gedenken an den Ersten Weltkrieg geliefert?

Dass Staatsführer nicht in Automatismen wie den Schlieffen-Plan tappen sollten. Der sah vor, dass das Reich im Westen als Erster zuschlagen müsse, bevor die russische Mobilisierungsmaschine voll angelaufen wäre. Wenn sie damals hätten in eine Glaskugel blicken können, wären Kaiser und Potentaten nicht so leichtsinnig gewesen. Vier Reiche sind von WKI zertrümmert worden; es folgten die Geißeln des Bolschewismus und Nazismus. Heute haben wir diese "Glaskugel": Wir wissen genau, wie die Welt nach einem großen (Atom-)Krieg aussehen würde. Deshalb hat seit 1953, als die Chinesen gegen die Amerikaner in Korea eingriffen, keine Großmacht gegen eine andere gekämpft. Sechzig Jahre ohne großen Krieg ist ein Menschheitsfortschritt.

Ein Wort zur "Frau des Jahres" (die Londoner "Times" über Angela Merkel) …

Eine große Ehre, die ähnlichen Ritterschlägen durch "Forbes", "Financial Times" oder "Newsweek" folgt. Begonnen mit dem "Person of the Year"-Spiel hatte das amerikanische "Time Magazine" 1927. Damals war der Solo-Atlantik-Flieger Charles Lindbergh dran; nur zwei Deutsche haben es seitdem geschafft: Konrad Adenauer 1953 und Willy Brandt 1970. Für Merkel wie für Deutschland gilt: Wer denn sonst im Westen? Hollande, Cameron, ja selbst Obama sind kein Man-of-the-Year-Material. In dieser Welt ist das einzige Schwergewicht Angela Merkel. Die Schwäche der anderen ist ihre Stärke.

Josef Joffe ist Herausgeber der "Zeit". Die Fragen stellte Moritz Schuller.

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