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Die Preise für Nahrungsmittel kennen derzeit nur eine Richtung: nach oben.

© picture alliance/dpa/Fabian Sommer

Vorwurf der „Gierflation“: Treiben Unternehmen die Preise bei Lebensmitteln künstlich an?

Die Energie- und Rohstoffpreise sind wieder gesunken, doch Nahrungsmittel bleiben die größten Preistreiber. Die SPD fordert, dass Markenhersteller das an Kundinnen und Kunden weitergeben.

Nahrungsmittel bleiben in Deutschland der stärkste Preistreiber. Das hat das Statistische Bundesamt in dieser Woche noch einmal mit Blick auf die Inflationsrate vom Juni bestätigt. Zunehmend gerät dabei die Frage in den Blick, ob es bei Handels- und Supermarktketten zu Gewinnmitnahmen kommt. Der Vorwurf der „Gierflation“ steht im Raum.

Fachpolitiker wie Alexander Bartz halten Hinweise auf die „Gierflation“ für begründet. „Trotz der sinkenden Energie- und Rohstoffpreise sehen wir jedoch in den Supermärkten, dass die in der Krise angehobenen Preise für Markenartikel jetzt nicht wieder herabgesetzt werden“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete dem Tagesspiegel. „Wir erwarten daher, dass Markenhersteller die geringeren Herstellungskosten an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben“, forderte er.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stiegen die Preise für Brot und Getreideerzeugnisse im Juni gegenüber dem Vorjahresmonat um 18,3 Prozent. Bei Zucker waren es sogar 19,4 Prozent. „Die dafür benötigten Rohstoffe sind immer noch deutlich teurer als 2020“, erläuterte Oliver Holtemöller, Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), den anhaltenden Aufwärtstrend.

Eine Anpassung der Regelsätze, etwa beim Bürgergeld, wäre sinnvoll.

Oliver Holtemöller, Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

„Vermutlich versuchen die Unternehmen, die Preise stärker zu erhöhen, als die Kosten gestiegen sind“, sagte Holtemöller weiter. Das Bundeskartellamt müsse die Entwicklung nach seinen Worten weiter aufmerksam verfolgen. Dass aber Handelskonzerne und Supermarktketten überhaupt mit den hohen Preisen durchkommen, hängt nach seiner Einschätzung vor allem mit der angesichts der Krisen kräftigen Entwicklung der privaten Einkommen in den vergangenen Jahren in Deutschland zusammen. Die umlaufende Geldmenge im Euro-Raum, so Holtemöller, sei zwischen 2020 und 2022 um ein Viertel gestiegen, was Ausdruck der expansiven Geldpolitik der vergangenen Jahre ist.

Während in den Corona-Jahren vielerorts Geld auf die hohe Kante gelegt wurde, hatten ärmere Haushalte keine vergleichbaren Möglichkeiten zum Sparen. Wie kann man also den unteren Einkommensschichten angesichts der Inflation helfen? „Eine Anpassung der Regelsätze, etwa beim Bürgergeld, wäre sinnvoll“, so Holtemöller. Flächendeckende Hilfen mit der Gießkanne – wie bei der Gas- und Strompreisbremse – hält der Experte hingegen nicht für zielgenau genug. 

Christiane Seidel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen kennt die Folgen der Inflation bei Lebensmitteln gerade für die ärmsten Haushalte. In den vergangenen Monaten hätten sich zunehmend Menschen an die Verbraucherzentralen gewandt, weil die steigenden Lebensmittelpreise sie vor existentielle Probleme stellen. „Wir haben als Zivilgesellschaft keine Handhabe, um die Preisbildung im Supermarkt nachzuvollziehen“, kritisierte sie.

Wir brauchen Transparenz über die Preisbildung.

Christiane Seidel, Leiterin des Teams Lebensmittel im Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Nach den Worten von Seidel gibt es Anhaltspunkte, dass auch in Deutschland sowohl die Handelskonzerne als auch die Supermarktketten die Inflation über Gebühr ausnutzen. Die Hilfsorganisation Oxfam hatte für global agierende Unternehmen übermäßige Preissteigerungen nachgewiesen, auch für Supermarktketten hatte eine britische Gewerkschaftsstudie eine ähnliche Preistreiberei ergeben. „Es ist anzunehmen, dass dies auch für Deutschland gilt, weil die Preise an der Supermarktkasse stärker steigen als die Produktionskosten“, so Seidel.

„Wir brauchen Transparenz über die Preisbildung“, forderte die Verbraucherschützerin. Auswüchse bei der Preisbildung könnten dann überwachende Behörden wie dem Kartellamt, das im Bereich des Verbraucherschutzes zunehmend Kompetenzen erhält, einen Anlass zum Einschreiten bieten, regte sie an.

Allerdings wiegelte der Chef des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, jüngst ab: „Inflationsbekämpfung ist nicht unbedingt die erste Aufgabe der Kartellbehörden.“ Nach seinen Worten führt das Kartellamt angesichts der hohen Inflation derzeit keine Verfahren gegen Unternehmen. Die Behörde habe aber in vielen Branchen Fragen an Unternehmen gestellt, weil die Preise in zahlreichen Bereichen stark in die Höhe gegangen seien. Dabei hätten sich keine Anhaltspunkte für ein Eingreifen ergeben. „Wir sind eine Wettbewerbsbehörde und keine Preisbehörde“, begründete Mundt die Zurückhaltung des Kartellamtes.

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