zum Hauptinhalt
Parken geht in Hannovers Innenstadt wahrscheinlich bald nur noch in Parkhäusern.

© dpa/Jan Woitas

Wählerschreck Verkehrsberuhigung: Wie ein Grüner Oberbürgermeister Hannover autofrei machen will

Belit Onay will Autos von der Innenstadt in Parkhäuser leiten, Parkplätze sollen wegfallen. Dass die Grünen anderenorts mit dem Thema Wahlen verloren haben, schreckt ihn nicht.

Oberbürgermeister Belit Onay möchte das „Wunder von Hannover“ wiederholen. 1959 betitelte der „Spiegel“ so die Pläne von Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, der Niedersachsens Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg zur autogerechten Stadt wiederaufbaute. Aus dem mittelalterlichen sternförmigen Straßensystem formte Hillebrecht ein Rad, umschlossen vom Cityring, auf dem bis heute sechsspurig der Verkehr braust.

Als Radspeichen wurden Schneisen („Tangenten“) quer durch die Stadt geschlagen. Bagger und Planierraupen frästen sich auch durch unzerstörte Wohnblocks und errichteten aufgeständerte Hochstraßen. Der Spiegel jubelte, dass man „mit unbeschränkter Geschwindigkeit bis zum Stadtkern preschen“ könne. Hannover wurde damit zum Modell für viele weitere deutsche Städte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Das war damals der Zeitgeist“, resümiert Grünen-Oberbürgermeister Onay. Heute sei das in vielerlei Hinsicht eine Belastung für die Stadt. Onay glaubt, dass Hannover – nun, da Städte weltweit die autogerechte Stadt zurückbauen – noch mal zum Vorbild werden kann, indem es zeigt, wie die Verkehrswende auch im Heimatland des Autos gelingt.


Der 42-jährige Belit Onay regiert Hannover seit 2019 gemeinsam mit der SPD.
Der 42-jährige Belit Onay regiert Hannover seit 2019 gemeinsam mit der SPD.

© Sven Brauers

Die Pläne haben Sprengkraft: Die Hannoversche Innenstadt soll nahezu autofrei werden. Oder „zukunfts- und menschengerecht“, wie Onay sagt. Der 42-jährige Jurist mit türkischen Wurzel regiert die 500.000-Einwohnerstadt seit 2019 gemeinsam mit der SPD. Hannover zählt neben Freiburg (bis 2018), Darmstadt und Stuttgart zu den Großstädten, die von einem Grünen-OB geführt werden. 

Im Wahlkampf trat Onay mit der Vision einer autofreien Innenstadt an. Das sorgte für Diskussionen – auch nach dem Urnengang, bei dem sich der Grüne in der Stichwahl gegen den CDU-Gegenkandidaten durchsetzen konnte. Zuvor wurde das Rathaus mehr als 70 Jahre von Sozialdemokraten regiert. 

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Autofrei bedeutet für Onay, dass „kein Auto mehr zu viel“ in der Stadt ist. Wenn der Rat seinen Plänen zustimmt, die er diesen Dienstag vorstellen will, dürfen bis 2030 in der hannoverschen Innenstadt nur noch Wirtschaftsverkehr, der ÖPNV, Taxis, Anwohner und Menschen mit Handicap fahren. Durchgangs- und Parksuchverkehr soll es nicht mehr geben, Autos werden vom Cityring über Stichstraßen in bestehende Parkhäuser geführt. Autoparkplätze sollen weitgehend wegfallen.

10.000
Stellplätze gibt es in Hannovers Parkhäusern, sie sind aber meistens nur zur Hälfte ausgelastet.

Hannovers Parkhäuser haben knapp 10.000 Stellplätze und sind im Schnitt nur gut zur Hälfte ausgelastet – sie könnten also noch viele weitere Fahrzeuge aufnehmen, erläutert Baustadtrat Thomas Vielhaber. Das wird auch nötig sein: Die Anwohner:innen – derzeit leben in der Innenstadt 4000 Menschen – dürfen ihre Autos nur noch auf privaten Stellflächen parken. 

Ansonsten werden auch sie ihr Gefährt in einem der Parkhäuser abstellen müssen – die werden teilweise zur Quartiersgarage, gegen Entgelt. Das Ziel ist jedoch klar: Onay hofft, dass sich einige Menschen von ihren Autos trennen werden: „Verkehrs- und Mobilitätswende heißt ja nicht, genauso viele Autos, nur im Parkhaus, sondern insgesamt eine Reduktion des Autoverkehrs.“

Wir wollen im Grunde den Verkehr auf den Kopf stellen, indem wir den Fußverkehr als Basismobilität fördern.

Thomas Vielhaber, Baustadtrat von Hannover.

Vorrang in der Innenstadt haben sollen vor allem Fußgänger- aber auch Radfahrer:innen. „Wir wollen im Grunde den Verkehr auf den Kopf stellen, indem wir den Fußverkehr als Basismobilität fördern“, sagt Vielhaber. Ampeln sollen abgebaut und einzelne Fahrspuren, wo möglich, herausgenommen werden. Überall dort, wo sich Verkehre begegnen, soll Tempo 20 oder maximal 30 gelten.

Zur Stärkung des Radverkehrs arbeitet die Stadt mit Hochdruck daran, die zwölf geplanten Velorouten fertigzustellen, die ausgehend vom zentralen City-Rad-Ring radial in die Stadtbezirke führen und diese miteinander verbinden sollen. In der Stadt und im Umland werden zusätzliche 3300 Park & Ride-Plätze sowie knapp 5000 Bike & Ride-Plätze gebaut.

In den Randbereichen der City weitet die Stadtverwaltung Anwohnerparkzonen aus, um zu verhindern, dass Autofahrer:innen dort alternative Routen suchen und wild parken. Außerdem lässt Onay derzeit nach drei Quartieren suchen, in denen autofreie „Superblocks“ nach dem Vorbild Barcelonas entstehen könnten.   

Rechtsstreits nach Sperrung der Berliner Friedrichstraße

Wer den Autoverkehr eindämmen will, hat es nicht leicht. In Berlin haben die Grünen mit verkehrsberuhigenden Maßnahmen die jüngste Wahl verloren: Die temporäre Sperrung der Friedrichstraße in Berlin-Mitte wurde zum politischen Zankapfel und provozierte Rechtsstreits. Die CDU gewann die Wahl mit einem Pro-Auto-Wahlkampf, die neue CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner gab als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Friedrichstraße wieder für den Kfz-Verkehr frei.      

Zuletzt kündigte die Union an, das Mobilitätsgesetz so ändern zu wollen, dass Radwege schmaler gebaut werden können, die Rechte von Fußgängern geschwächt und Spielstraßen ihre Priorität verlieren. Die Änderungen könnten bereits in der heutigen Sitzung der CDU-Fraktion beschlossen werden.  

Onay sieht Fehler bei Berliner Verkehrsverwaltung

Belit Onay hat den Streit um die Berliner Friedrichstraße verfolgt. Er sieht Fehler seitens der Berliner Verkehrsverwaltung und des Bezirksamts Mitte. Die hätten die Straße einfach für den Kfz-Verkehr dicht gemacht und geglaubt, damit wäre das Thema erledigt. „Die Sperrung für Autos war sinnvoll, aber das reicht nicht.“ Die Stadtverwaltung habe versäumt, die Initiative zu ergreifen und die Straße attraktiver zu machen. 

Er ist überzeugt, es besser gemacht zu haben in Hannover. 2021 entwarf Onay ein Mobilitätskonzept und ging in die Offensive: Mit einem einjährigen Innenstadt-Dialog und sogenannten Experimentierräumen, bei denen Straßenabschnitte temporär vom Straßenverkehr befreit und mit mehr Grün ausgestattet wurden. Bodenbilder zeigten, wie Orte der Stadt anders genutzt werden könnten. Auch Sport- und Spielangebote, ein Pop-up-Jugendzentrum und eine Fragebogenaktion gehörten dazu. 

Als Reaktion kam nicht wenig Kritik, aber auch einiges an Lob. „In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns eine Akzeptanz für diese Herangehensweise erstritten und trotz der kritischen Stimmen viel Zuspruch bekommen“, sagt Onay selbstbewusst. Ihm ist klar, dass Proteste gegen die Pläne nicht ausbleiben werden – jetzt, wo er Ernst macht. Dennoch strahlt er eine stoische Überzeugtheit aus: „Wir fangen nicht bei null an.“  

Handel soll wiederbelebt werden

Weitere Bürgerversammlungen sind geplant, um die Menschen zu beteiligen, zum Beispiel am 29. Oktober im leerstehenden Gebäude von Galeria Kaufhof. Alle Haushalte in der Innenstadt werden dazu eingeladen und die Veranstaltung online gestreamt. Für größtmögliche Transparenz werden Antworten für jede einzelne betroffene Straße im Internet bereitgestellt – mit dem Ziel, Debatten und Unzufriedenheit zu kanalisieren, wie Onay erklärt. 

Inzwischen hat die Verwaltung jene positive Kommunikation verinnerlicht, die Experten bei jeglichen Maßnahmen gegen Autoverkehr empfehlen. „Wir sperren keine Straßen, sondern öffnen sie für andere Nutzungen“, sagt Onay beispielsweise. Es werde zwar weniger Verkehr geben, aber es würden künftig mehr Menschen in der Innenstadt unterwegs sein, verspricht er.

Wie viele Städte leidet auch Hannovers City an der Konkurrenz durch den E-Commerce. „In den Randbereichen funktioniert der Einzelhandel nicht mehr, es gibt enorme Leerstände“, sagt Baustadtrat Vielhaber. Die Wiederbelebung hat bereits begonnen, etwa mit der Stärkung des „Kulturdreiecks“ zwischen Schauspiel, Künstlerhaus und Staatsoper. Die Oper erweitert ihr Foyer auf die Plätze aus, um mit den Bürger:innen in Kontakt zu kommen. 

Die Mobilitätswende ist eine Riesenchance für die Städte.

Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover.

„Die Mobilitätswende ist eine Riesenchance für eine Stadt wie Hannover und viele andere Städte“, glaubt Onay. Der Umbau des zentralen Steintorplatzes habe bereits eine große Bekleidungskette als neuen Mieter für eine Immobilie angezogen. Auch für die Gegend um den Hauptbahnhof, die von Sucht und Obdachlosigkeit geprägt ist, gibt es Pläne: mehr Einrichtungen für Suchtkranke, aber auch Sport- und Feierangebote, um die gesamte Stadtgesellschaft anzulocken. 

Obwohl das Innenstadt-Konzept noch vom Stadtrat abgesegnet werden muss, ist sich Onay der Zustimmung seines Koalitionspartners SPD gewiss. Er rechnet eher mit kleineren Ergänzungen und Anpassungen. Ende November könnte der Beschluss durch sein, Mitte 2024 soll es losgehen mit den ersten Veränderungen. Onay rät Städten, die Ähnliches vorhaben, sofort auch mit den Skeptikern ins Gespräch zu kommen, denn: „Viele Ängste sind im Grunde Phantomschmerzen und nicht real.“ 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false