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Wie groß wird der nächste Bundestag?

© imago images/Political-Moments

Grün verdrängt Schwarz: Was die Bewegung in den Wahlkreisen für den Bundestag bedeutet

Die Union könnte viele Direktmandate verlieren bei der Wahl im Herbst. Das beeinflusst die Größe des Bundestags – eine große Rolle spielt dabei Bayern.

Christian von Stetten gehört nicht zur ersten Reihe in der Unions-Fraktion im Bundestag. Aber als Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand ist er ein einflussreicher Abgeordneter. Stetten ist direkt gewählt im Wahlkreis 268. Schwäbisch Hall/Hohenlohe war immer eine sichere Sache für die Christdemokraten. 40 Prozent der Erststimmen holte er 2017, vier Jahre zuvor waren es 52 Prozent. 

Auf der Landesliste hat von Stetten sich 2017 erst gar nicht abgesichert. Das ist nicht ungewöhnlich in der Südwest-CDU. Wozu beim Listenparteitag auflaufen und unnötige Bewerbungsreden halten, wenn man auch direkt in den Bundestag kommen kann? Aber das könnte sich nun ändern.

Harald Ebner ist auch Kandidat im Wahlkreis 268. Er sitzt für die Grünen im Bundestag, ist Sprecher für Waldpolitik. Seine 12,6 Prozent der Erststimmen 2017 waren ein überdurchschnittliches Ergebnis in seiner Partei.

Aber natürlich musste Ebner sich einen guten Platz auf der Landesliste ergattern, um ins Parlament zu kommen. Für die Bundestagswahl am 26. September steht er da jetzt auf Platz sieben. Das sollte reichen. Aber vielleicht kommt er auch direkt in den Bundestag.

Denn nach der aktuellen Prognose des Wahlinformationsdienstes „election.de“ kippt der Wahlkreis Schwäbisch Hall/Hohenlohe von der CDU an die Grünen. Die sind im Hoch, für die CDU gilt das Gegenteil. Zumal in Baden-Württemberg, wie man schon im März bei der Landtagswahl gesehen hat. Was bedeuten kann, dass Ebner den Kollegen von Stetten aus dem Bundestag verdrängt, wenn der sich Anfang Juni nicht auf die CDU-Liste wählen lässt.

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Die Konkurrenz  könnte allerdings stark sein auf den vorderen Plätzen. Denn 20 der 38 Wahlkreise in Baden-Württemberg könnten nach der Prognose im Herbst an die Grünen fallen – mindestens so viele CDU-Direktbewerber werden also auf aussichtsreiche Plätze auf der Liste drängen. Vor vier Jahren holten die Christdemokraten alle Direktmandate, eine bequeme Sache für alle Wahlkreiskandidaten. Nun ist wohl eher „Reise nach Jerusalem“ angesagt.

Quer durch die Republik

Aber nicht nur in Baden-Württemberg könnten die Grünen bisherige CDU-Wahlkreise erobern oder auch welche, die zuletzt an die SPD gingen. Quer durch die Republik haben sie Chancen auf Direktmandate – 2017 gelang es nur einmal in Berlin. In Brandenburg gibt es im Wahlkreis Potsdamer das Spitzenkandidatenduell zwischen Annalena Baerbock und Olaf Scholz – laut „election.de“ hat derzeit die Grüne die besseren Chancen. 

In Schleswig-Holstein sind es Kiel, Lübeck und Flensburg, die sich auf der Wahlkreiskarte grün färben, in Niedersachsen Lüchow-Dannenberg, Oldenburg, Hannover II und Göttingen (hier wäre Partei-Oldie Jürgen Trittin als direkt gewählter Abgeordneter der Nachfolger des verstorbenen Bundestagsvizepräsidenten Thomas Oppermann von der SPD).

Armin Laschets Heimatstadt - grün

In Nordrhein-Westfalen haben die Grünen gute Chancen auf mehrere Wahlkreise – in Köln, Bonn, Münster, Bielefeld und Aachen, also Städten mit großen Universitäten. Würde Kanzlerkandidat Armin Laschet in seiner Heimatstadt Aachen antreten, was er offenbar nicht vorhat, dann hätte er dort möglicherweise das Nachsehen. 

In Hessen sind es Frankfurt und Darmstadt, die an die Grünen gingen, in Rheinland-Pfalz wäre es Mainz. Selbst in Sachsen und Thüringen könnte die Partei Direktmandate in Dresden, Leipzig und Erfurt erringen. Und auch der CSU könnte sie einige Wahlkreise wegschnappen, in München, Augsburg, Nürnberg, Würzburg.

Nah bei den Menschen, hier im Bergwerk: das ist ein Markenzeichen von Armin Laschet. Dennoch will er sich nicht um den Wahlkreis seiner Heimatstadt Aachen bewerben.

© picture alliance/dpa

Aber ist das alles so wichtig? Schließlich zählen im deutschen Wahlrecht vor allem die Zweitstimmen. Für den Parteienproporz im Parlament ist das richtig. Aber nicht für die Gesamtgröße des Bundestags. Hier spielen die Direktmandate eine große Rolle – und dabei nicht zuletzt die Verteilung in Baden-Württemberg. 

Denn dass vor vier Jahren alle 38 Direktmandate dort an die CDU gingen, hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Bundestag von 598 (die Ausgangsgröße) auf 709 Sitze wuchs. Nach dem Zweitstimmenergebnis war der Anspruch der CDU deutlich geringer als 38 Sitze. Das führte zu Überhängen, nicht zuletzt das Südwest-Ergebnis löste so den hohen Ausgleichsbedarf aus.

Union immer noch stark in Wahlkreisen

Helfen also viele Direktmandate der Grünen und auch anderer Parteien, den Bundestag wieder Richtung Normalgröße zu bugsieren? Nach der Prognose von „election.de“ kann die Union aktuell bundesweit mit 180 Direktmandaten rechnen (gut 50 weniger als 2017), die Grünen kämen auf 63 (vor vier Jahren gelang das nur einmal in Berlin), die Sozialdemokraten auf 45. Die AfD hätte acht Direktmandate, die Linken drei. Dass die Grünen nicht näher an die Union herankommen, hängt damit zusammen, dass sie vor allem in Städten stark sind - die Basis von CDU und CSU ist noch immer regional breiter.  

In Baden-Württemberg entstehen bei 20 für die Grünen und 18 für die CDU laut Matthias Moehl von „election.de“ keine Überhänge. Allerdings passiert das in einigen anderen Ländern, so dass der Bundestag 692 Sitze hätte – weniger als 2017, aber immer noch deutlich über der Normalgröße. Immerhin sind die „Horrorszenarien“ mit mehr als 800 Abgeordneten so nicht zu fürchten.

CSU-Schwäche produziert Überhänge

Aber gebannt sind sie nicht. Das hängt mit Bayern zusammen. Dort käme die CSU unter Markus Söder derzeit trotz magerer 33 Prozent auf 38 Direktmandate, acht gingen an die Grünen. Damit trägt die CSU mit sieben Überhängen (von denen dank einer Sonderklausel im Wahlgesetz drei nicht auszugleichen sind) zum größeren Bundestag bei. Schon zwei Wahlkreissieger mehr würden jedoch zu 718 Mandaten führen, bei vier wären es sogar 756 Abgeordnete. 

„Die CSU hat einen Hebel von etwa 19“, erklärt Moehl – jeder Überhang der Regionalpartei zieht einen entsprechenden bundesweiten Ausgleichsbedarf nach sich. Holt die CSU wieder alle 46 Direktmandate, läge man über 800.

In den vier Monaten bis zur Wahl ist allerdings noch Bewegung zu erwarten. Einen Sprung wie den der Grünen - von 8,9 Prozent 2017 auf die derzeit gemessenen Werte um die 25 Prozent – hat es noch nie vor einer Wahl gegeben. Das Abschneiden der Partei in den einzelnen Wahlkreisen ist so nicht leicht einzuschätzen. Ebenso ist das Splitting-Verhalten zwischen Erst- und Zweitstimme bei dieser Wahl schwerer vorauszusagen als früher.

„Geringfügige Änderungen an diesen Stellen können zu völlig anderen Bundestagsgrößen führen“, gibt Moehl zu bedenken. In Hohenlohe ist also noch nichts entschieden. Stetten hat noch nicht verloren, Ebner noch nicht gewonnen.

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