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Das Wohnhaus in Niederlehme. In der untersten Wohnung wohnte Vitali N.

© Anna Bückmann/TSP

Bulgare nach Polizeieinsatz gestorben : Obduktion ergibt vorerst keinen Hinweis auf Gewalttat

Vitali N. starb nach dem Einsatz der Brandenburger Polizei. Er sei an Erde erstickt, sagen Berliner Ärzte. Rechtsmediziner fanden dafür keine Spuren – bislang.

Nach dem Tod eines Bulgaren infolge eines Polizeieinsatzes in Brandenburg hat die Obduktion der Leiche bislang keine klaren Erkenntnisse zur Schuldfrage gebracht. Die Staatsanwaltschaft Berlin lässt nun weitere Untersuchungen vornehmen.

Nach dem vorläufigen Ergebnis der Obduktion gebe es bislang keine Anzeichen für eine äußere Gewalteinwirkung und Fremdverschulden als Todesursache. Das sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem Tagesspiegel am Dienstag. Es seien bisher auch keine Spuren von Erde und Schlamm in den Atemwegen und in der Lunge gefunden worden.

Doch damit sei die Obduktion noch nicht abgeschlossen, sie würde noch einige Wochen dauern, sagte der Sprecher. Jetzt würden noch feingewebliche und toxikologische Untersuchungen vorgenommen, etwa um möglicherweise doch Erdspuren zu finden. Dabei gehe es auch um die Frage, wie es zu den Hirnschäden bei dem Mann gekommen ist. Bei der Leiche sei zwar eine Einblutung am Rücken gefunden worden, diese sei aber nicht tödlich gewesen.

Nach dem Befund des Neuköllner Klinikums hatte der 45-jährige Vitali N. einen hypoxischen Hirnschaden erlitten – als Folge von Sauerstoffmangel. Jetzt müsse die genaue Ursache für den Hirnschaden herausgefunden werden. Sollte die Berliner Staatsanwaltschaft doch Hinweise für eine Straftat finden, werde sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Cottbus und die dortige Kriminalpolizei abgeben.

Der Bulgare war bereits hirntot, als er im Klinikum ankam

Wie der Tagesspiegel am Freitag exklusiv berichtete, war der Mann vergangenen Mittwoch im Neuköllner Klinikum verstorben. Grund sind nach Einschätzung von Medizinern dort schwerste Schäden, die der 45-jährige Bulgare bei dem Einsatz Brandenburger Polizisten erlitten haben soll. Mit dem Fall betraute Mediziner sprechen davon, dass der Bulgare an Erde erstickt sei, die sich in Lunge und Atemwegen befand. Er war bereits hirntot, als er im Klinikum ankam.

Im Klinikum wird davon ausgegangen, dass der Mann bei seiner Festnahme mit dem Gesicht längere Zeit in die Erde gedrückt worden sein muss. Das Gesicht sei mit Erde beschmiert gewesen. Die Brandenburger Polizei äußerte sich nicht dazu, wie die Erde in die Atemwege kam.

Nach Tagesspiegel-Informationen wurden Lunge und Atemwege – wie üblich bei solchen Fällen – von den Medizinern abgesaugt und dabei auch Erde entfernt. Ob sich nach dem sogenannten Intubieren, um die Atemwege freizuhalten, überhaupt noch Spuren von Erde finden lassen, ist fraglich.

Zur Erde in den Atemwegen äußert sich die Polizei nicht

Nach offizieller Darstellung der Polizei hatte sich der Bulgare am Dienstag in Niederlehme, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, „unberechtigt auf einem Grundstück aufgehalten“ und auf ein Auto eingeschlagen. Dann heißt es im Polizeibericht: „Der Mann war nach der Aufforderung von Polizeibeamten nicht bereit, von seinem Handeln zu lassen. Er verhielt sich aggressiv, biss und war psychisch auffällig. Durch die Polizisten kam Pfefferspray zum Einsatz.“

Der Mann sei dann mithilfe von Anwohnern gefesselt worden. „Unmittelbar danach wurde er ohnmächtig, die Handfesseln wurden gelöst, Erste Hilfe geleistet und ein Notarzt hinzugerufen“, schilderte die Polizeidirektion Süd den Vorgang. Am Mittwochabend um 17.57 Uhr war Vitali N. dann im Klinikum Neukölln verstorben. Bei ihm fand das Personal eine Meldebescheinigung für die Anschrift in Niederlehme. Zu den dramatischen Umständen und der Erde in den Atemwegen des Mannes äußerte sich die Polizei bislang nicht.

Dort, wo Vitali N. mutmaßlich erstickt ist, sind mehrere Mehrfamilienhäuser. Wenige Autos stehen in der Karl-Marx-Straße auf dem Parkplatz rechts neben dem Haus, es ist eine ruhige Gegend, der Rasen grün, darum ein kleiner Gartenzaun und vor dem Haus zwei Büsche. Hier, auf dem Rasen, direkt vor der Haustür, ist Vitali N. aus Bulgarien von zwei Polizisten und zwei Anwohnern zu Boden gedrückt und fixiert worden.

Nachbarn schildern den Vorfall

Der Mann habe zuvor randaliert, heißt es. Er habe Klingeln gedrückt und auf Motorhauben getrommelt, wie Nachbarn berichten. Demnach sei der Mann bereits am Nachmittag verwirrt und „apathisch“ herumgelaufen. „Ich habe ihn angesprochen. Aber er verstand kein Deutsch“, berichtet ein Nachbar, der im Nebenhaus wohnt. „Er ist immer über den Hof gegangen, hin und her.“ Er habe zudem gehört, dass sich der Mann selbst Erde in den Mund gestopft haben soll.

Der Nachbar berichtet, der Mann sei gerade erst eingezogen, vermutlich noch am selben Tag. Die Wohnung – das Wohnhaus besteht aus Eigentumswohnungen – gehöre einer Russin, die die rund 40 Quadratmeter große Bleibe immer an Bauarbeiter, meist aus Osteuropa, vermiete. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen.

Plötzlich war er ruhig.

Ein Anwohner und Augenzeuge aus Niederlehme

Ein weiterer Nachbar, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte, erzählt, dass der 45-Jährige alle Klingeln gedrückt habe, immer wieder. Als er vor die Tür ging und den Mann ansprach, habe dieser ihn „nur angelächelt“ und weiter die Klingeln gedrückt. „Der hat uns gar nicht wahrgenommen.“

Immer wieder sei der Bulgare ums Haus gegangen, später auch gerannt. „Ich dachte nur: unglaublich, wie viel Energie der hat. Der war voll von der Rolle.“ Betrunken gewesen sei der Mann nicht. „Ich vermute, er war auf Drogen oder Medikamenten“, sagt der Nachbar, der schließlich, als der 45-Jährige nicht aufhörte, die Polizei rief.

Sie kamen zu zweit. Recht junge Polizisten. Ich glaube, einer kam frisch von der Polizeischule.

Ein Anwohner und Augenzeuge aus Niederlehme.

„Sie kamen zu zweit. Recht junge Polizisten. Ich glaube, einer kam frisch von der Polizeischule“, berichtet der Anwohner. Sie hätten versucht, den Mann dazu zu bringen, stehenzubleiben. Ein Polizist habe ihn rechts am Arm, der andere links gepackt. „Ich habe gestaunt, was einer für Kräfte haben kann“, sagt der Nachbar weiter.

Mit dem Oberkörper nach unten habe man ihn auf den Rasen vor dem Haus gedrückt. „Das war direkt hier, da unten“, sagt der Rentner, und zeigt von seinem Fenster aus auf die Stelle links vor dem Hauseingang. Zwei weitere Anwohner hätten den auf dem Boden liegenden 45-Jährigen an den Beinen festgehalten. Dann hätten die Polizisten ihm Handschellen angelegt. „Plötzlich war er ruhig.“

Ein Polizist habe die Finger an den Hals gelegt und den Puls gefühlt. Dann hätten sie den Mann umgedreht und begonnen, ihn zu reanimieren. Der Notarzt wurde gerufen. „Ich weiß nicht, wie lange er mit dem Gesicht nach unten lag. Aber sie haben ihn nicht mit dem Kopf nach unten gedrückt. Er hatte auch keine Erde im Gesicht“, erzählt der Mann weiter – er habe unmittelbar daneben gestanden.

Die Beamten hätten versucht, den Mann, der eine kräftige Statur und „einen kleinen Bierbauch“ gehabt habe, zu besänftigen. Der Anwohner ist aufgeregt, als er das alles erzählt. Er finde es schrecklich, was passiert ist. „Hätte er doch bloß auf sie gehört und aufgehört, sich zu wehren.“

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