zum Hauptinhalt
07.11.2023, Brandenburg, Potsdam: Philip Zeschmann (l), ehemals Fraktionsmitglied von BVB/Freie Wähler, spricht während einer Pressekonferenz der AfD im Brandenburger Landtag neben Hans-Christoph Berndt, Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzender. Foto: Soeren Stache/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Soeren Stache

Tabubruch im Brandenburger Landtag: Scharfe Kritik an Philip Zeschmann nach Wechsel zur AfD-Fraktion

Rechtsextremistische Tendenzen könne er nicht erkennen, sagt der 56-Jährige. Seine ehemaligen Fraktionskollegen von den Freien Wählern werfen ihm reines Karrierestreben vor.

Erstmals in Deutschland ist ein Abgeordneter einer anderen Landtagsfraktion zur AfD gewechselt: Am Dienstag nahm die AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag einstimmig den Abgeordneten Philip Zeschmann in ihre Reihen auf. Er war am Tag zuvor aus der Landtagsfraktion von BVB/Freie Wähler ausgetreten.

„Diese Entscheidung ist mir alles andere als leicht gefallen“, sagte Zeschmann. Er habe die Fraktion aber vier Jahre lang im Landtag beobachtet. Er habe nicht feststellen können, dass sie rechtsextrem sei. In Brandenburg wird der Landesverband der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet. Einzelne Mitglieder der Landtagsfraktion, darunter der Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt, gelten als erwiesen rechtsextrem.

Zeschmann, der zunächst nur in die Fraktion, nicht aber in die Partei AfD eintrat, betonte, dass er Überschneidungen mit der AfD etwa in den Bereichen der Wirtschafts- und Energiepolitik sehe. „Als einzig wahre Oppositionskraft setzt sich die AfD für eine Politik, orientiert am Bürgerwillen, realitätsnah und vernunftgeleitet ein“, sagte Zeschmann. „Die Kollegen der AfD-Fraktion stehen absolut auf dem Boden des Grundgesetzes.“ Er könne nur an alle appellieren, die sich politisch engagieren: „Traut Euch, geht durch die Brandmauer, wenn ihr die Weichen richtig stellen wollt, unterstützt diejenigen, die etwas verändern wollen.“

Loch in die Brandmauer geschlagen

Unmittelbar hatte Zeschmann seinen Wechsel zur AfD mit einem Streit mit dem Vorsitzenden von BVB/Freie Wähler, Péter Vida, begründet. „Inakzeptable Handlungsweisen des Fraktionsvorsitzenden“ hätten zu einem Bruch des Vertrauensverhältnisses und einem Ende der parlamentarischen Zusammenarbeit geführt. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Berndt nannte Zeschmann einen „Helden“. „Ich habe die Hoffnung, dass diese Entscheidung, die ein kräftiges Loch in die Brandmauer geschlagen hat, auch andere Politiker ermutigt, es ihm gleich zu tun.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Dennis Hohloch, nannte Zeschmann einen ausgewiesenen Fachexperten und kündigte an, dass 2024 das „Wendejahr im Osten“ sein werde. Die Landesvorsitzende der AfD, Birgit Bessin, duzte Zeschmann und nannte seinen Wechsel in die AfD „eine große Freude.“

Zeschmanns alte politische Weggefährten von BVB/Freie Wähler gingen hingegen auf scharfe Distanz und forderten ihn auf, sein über die Landesliste von BVB/Freie Wähler errungenes Mandat zurückzugeben. Zeschmanns angeblicher Konflikt mit ihm sei „konstruiert“, sagte Vida. Der Abgeordnete rechne sich durch den Wechsel zur AfD größere Chancen auf ein Direktmandat aus. Zeschmann war Ende September bei der Aufstellung der Landesliste von BVB/Freie Wähler lediglich auf den unsicheren Listenplatz acht gewählt worden. Von den Delegierten hatte er damals 81 Stimmen und 66 Gegenstimmen erhalten.

Wer mit Faschisten zusammenarbeitet und sich selbst zum Faschisten macht, kann von mir nicht erwarten, überhaupt nur einen Handschlag zu bekommen.

Linken-Fraktionschef Sebastian Walter

Die verbliebenen vier Abgeordneten der Freien Wähler würden ihre Arbeit im Landtag Brandenburg fortsetzen, sagte Vida. Die Uckermärker Abgeordnete Christine Wernicke zeigte sich vom Verhalten Zeschmanns menschlich enttäuscht. „Wir werden jetzt gemeinsam die Lücke füllen und gemeinsam sehen, wie wir die anstehenden Aufgaben bewältigen.“ Unklar war zunächst, ob die Freien Wähler weiter als Fraktion bestehen bleiben können: Während Vida am Dienstagvormittag der Auffassung war, dass auch eine vierköpfige Landtagsfraktion möglich sei, bestritten dies alle übrigen Fraktionen. Am Dienstagabend teilte die Landtagsverwaltung schließlich mit, dass die verbliebenen vier Abgeordneten der Freien Wähler durch den Austritt Zeschmanns ihren Fraktionsstatus verloren haben. Die Abgeordneten gelten damit als fraktionslos. Sie könnten sich aber später zu einer Gruppe zusammenschließen.

Alle übrigen Landtagsfraktionen stellten den Wechsel Zeschmanns am Dienstag als Tabubruch dar. „Das Gewissen ist der Kompass eines Menschen“, sagte Linken-Fraktionschef Sebastian Walter. „Zeschmann hat weder Gewissen noch Kompass.“ Es gehe ihm nur um das eigene Ego und die eigenen Diäten. Die Linken würden Zeschmann künftig „rechts liegen lassen“. „Wer mit Faschisten zusammenarbeitet und sich selbst zum Faschisten macht, kann von mir nicht erwarten, überhaupt nur einen Handschlag zu bekommen.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Ludwig Scheetz, warf Zeschmann vor, den demokratischen Kompass endgültig verloren zu haben. CDU-Fraktionschef Jan Redmann sah indes auch inhaltliche Schwierigkeiten bei den Freien Wählern. Deren Mitglieder kämen häufig bereits aus anderen Parteien. „Das lässt darauf schließen, dass die inhaltliche Bindungswirkung nicht so stark ausgeprägt ist“, sagte Redmann. „Das ist etwas, worüber sich die Freien Wähler sich im Blick auf ihr Wahlprogramm klar sein müssen, etwa wenn es um inhaltliche Schlüssigkeit geht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false