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© Sebastian Rost Fotografie

„Das Regime wird an der Unterdrückung scheitern“: Iranische Frauenrechtsbewegung in Potsdam ausgezeichnet

Stellvertretend für die #WomenLifeFreedom-Bewegung nahm Shima Babaei den M100-Medienpreis entgegen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte den Mut der Frauen im Iran.

Die iranische Frauenrechtsbewegung „Women, Live, Freedom“ ist für ihren Mut im Protest gegen Unterdrückung mit dem Medienpreis M100 ausgezeichnet worden. Nach einer Laudatio von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nahm die iranische Frauenrechtsaktivistin Shima Babaei den Preis am Donnerstagabend in Potsdam stellvertretend für die Bewegung im Iran entgegen. Es war der 364. Tag der Proteste.

Mut, das war das Wort, das im Zusammenhang mit den Protesten, die durch den gewaltsamen Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini am 15. September 2022 ausgelöst worden waren, am häufigsten fiel. Die deutsch-iranische Schauspielerin und Musikerin Jasmin Tabatabei rief zusammen mit der iranischen Frauenrechtsaktivistin Mersedeh Shahinkar sowie der Filmemacherin und Reporterin Düzen Tekkal zur Unterstützung des mutigen Protests auf, der immer wieder vom Regime zerschlagen werde und zu Verhaftungen, Folter und Todesstrafen führe. Von der Bundesregierung forderten Tabatabei und Tekkal, die Freilassung von Aktivisten zu unterstützen.

Wir sind stolz auf euch, wir lieben euch, wir werden immer auf eurer Seite stehen, das verspreche ich euch.

Jasmin Tabatabei, Schauspielerin und Musikerin

„Wir sind stolz auf euch, wir lieben euch, wir werden immer auf eurer Seite stehen, das verspreche ich euch“, sagte Tabatabei in Richtung der Aktivisten im Iran.

Die Frauenrechtsaktivistin Shima Babaei floh 2018 aus dem Land, lebt seit 2020 im Exil in Belgien, ihr Vater gilt seit Jahren als vermisst. Sie habe sich vorgenommen, eines Tages in einen freien Iran zurückzukehren, sagte die 29-Jährige. Dabei wird der seit einem Jahr anhaltende Protest weiter zurückgedrängt, auch durch Video- und Telefonüberwachung durch das Mullah-Regime.

Pressekonferenz mit Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), Jasmin Tabatabai und Düzen Tekkal (v.l.).

© Sebastian Rost Fotografie

Die Aktivistin Mersedeh Shahinkar war bei Angriffen auf Demonstrierende durch Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr selber schwer verletzt worden. Die von hemmungsloser Brutalität geprägten Bilder aus dem Iran, die Gewalt gegen protestierende Frauen sind schwer erträglich. Die Preisverleihung in Potsdam geriet deshalb zu einem emotionalen Akt.

Die Zeiten, in denen Menschen einfach wahllos unterdrückt werden, sind vorbei.

Shima Babaei, Frauenrechtsaktivistin

Shima Babaei nahm die Auszeichnung unter Tränen entgegen. Sie sprach von einer „Unterdrückungsmaschinerie“, die die Menschen im Iran nicht allein bekämpfen könnten. Sie bräuchten Unterstützung. Der Preis zeige den Menschen im Iran, dass sie nicht allein seien. Die Bevölkerung gebe nicht auf und setze den Protest fort. Sie sei deshalb zuversichtlich, dass das Regime gestürzt werden könne. Durch den Preis würden die Menschen in ihrem Protest gehört. Er sei auch eine Botschaft an das Regime im Iran. „Die Zeiten, in denen Menschen einfach wahllos unterdrückt werden, sind vorbei“, sagte sie und forderte von der Europäischen Union, die Verantwortlichen im Iran auf Terrorlisten zu setzen.

Für die Freiheit das Leben aufs Spiel gesetzt

Zugleich machte die Preisträgerin Mut. Sie glaube daran, dass das verhasste Regime, das Frauen zu entrechteten Objekten mache, bald stürze. Der Tod der 21-jährigen Jina Mahsa Amini vor einem Jahr sei eine Zäsur im Iran gewesen, sagte Düzen Tekkal. „Wir sind froh, die Bewegung unterstützt zu haben.“ Sie danke den iranischen Menschen, die „mit Resilienz und anfassbarem Mut ihr gesamtes Leben aufs Spiel setzen für Werte, die für uns selbstverständlich sind, für die Freiheit“, erklärte Tekkal.

Seit einem Jahr halten die Proteste gegen das Mullah-Regime im Iran an.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Allison Bailey

Ursula von der Leyen würdigte in ihrer Laudatio den Mut der Frauen im Iran, für ihre Freiheit zu kämpfen. „Sie haben der Welt gezeigt, dass es einen anderen Iran gibt. Zweimal hat das Regime Sie ins Gefängnis gesteckt, aber niemand hat geschafft, sie zum Schweigen zu bringen“, würdigte die EU-Kommissionspräsidentin die Preisträgerin, die schon im Alter von 14 Jahren die Gewalt der Machthaber zu spüren bekommen habe. Shima Babaei sei ein Vorbild.

Der Mut der Bewegung wirke über die Landesgrenzen des Iran hinaus und „inspiriert Frauen weltweit“, sagte von der Leyen. Die gewaltsame Unterdrückung der Frauen sei die „Achillesferse des Iran“. Und: „Das Regime im Iran wird an der Unterdrückung der Frauen scheitern.“

Die Rede der EU-Kommissionspräsident am Vortag zur Lage der Europäischen Union löste während des M100 Sanssouci Colloqiums Kontroversen aus. An einer Diskussionsrunde zur Erweiterung der EU nahm auch der Botschafter und frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, teil. Während der Debatte wurden Zweifel an der vom Europäischen Ratspräsidenten Charles Michel für die Ukraine in Aussicht gestellten EU-Mitgliedschaft für 2030 laut.

Neue Kriterien für die Erweiterung der EU?

Die Kopenhagener Kriterien, die für eine Mitgliedschaft erfüllt sein müssen, wurden infrage gestellt. Vorschlagen wurde, dass es neben der Mitgliedschaft auch Partnerschaften mit Staaten geben solle. Die Kopenhagen-Kriterien sehen eine institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten vor. Die Ukraine könnte diese Kriterien mithilfe der EU erfüllen, sagte ein US-Korrespondent. Aber was ist mit Georgien, Moldawien und den Balkanstaaten, die schon viel länger auf eine Mitgliedschaft hoffen, fragte eine georgische Journalistin.

Christoph Martin Vogtherr, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, begrüßte die Teilnehmer:innen des M100 Sanssouci Colloquium im Orangerieschloss an der Maulbeerallee.

© Sebastian Rost Fotografie

Eine polnische Fernsehjournalistin mahnte Reformen der EU an, ansonsten sei es schwierig, die Union zu vergrößern. Sie sei deshalb weniger optimistisch als Ursula von der Leyen. Die EU-Euphorie in Polen habe „ein wenig“ nachgelassen. Dennoch werde auch in ihrem Land gewürdigt, dass die EU politische und wirtschaftliche Sicherheit biete.

Der Warteraum der EU sei bereits voll, sagte ein Teilnehmer. Etwa 20 Staaten würden auf Mitgliedschaft hoffen. Die Europäische Union basiere nicht mehr nur noch auf Integration und kultureller Verbundenheit. Sie habe heute vielmehr einen Schutzcharakter. Eine Vergrößerung der Union bekomme damit eine vollkommen neue Qualität.

In seiner Eröffnungsrede zum M100 Sanssouci Colloquium, an dem Medienvertreter aus verschiedenen europäischen Ländern, aus Indien, Afghanistan, Aserbaidschan, Russland und den USA teilnahmen, sprach der indische Essayist und Autor Pankaj Mishra von der Bedrohung der Demokratie in immer mehr Ländern der Welt.

„Demokratie ist nicht gegeben“, mahnte er. Zugleich erklärte Mishra, warum sich viele Länder des globalen Südens und Asiens vom „Westen“ abgewendet hätten. „Sie sind enttäuscht“, sagte er. Das habe mehrere Gründe, einer sei der unterschiedliche Umgang mit Geflüchteten. Während Menschen aus der Ukraine willkommen seien, würden für Geflüchtete aus anderen Ländern die Mauern der EU erhöht.

Sehr deutlich geworden seien die vordergründig eigenen Interessen der EU auch bei der „Impf-Apartheid“ während der Corona-Pandemie. Viele Länder des Südens und Asiens seien benachteiligt worden. „Das hat Millionen Menschen das Leben gekostet“, so Mishra.

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