zum Hauptinhalt
Die Jüdische Gemeinde Potsdam begrüßt die Gäste des Solidaritäts-Frühstücks zum Schabbat.

© Andreas Klaer

Kiddusch, Wein und Hoffnung: Solidarität zum Schabbat für Potsdams Jüdische Gemeinde

Bei einem Frühstück mit Vertretern der Stadtgesellschaft schildern Jüdinnen und Juden, was sie in diesen Tagen bewegt. Viele fordern mehr Einsatz gegen Antisemitismus.

Ein Ja, kein Aber. Es sind gut 50 Menschen, die an diesem Samstagvormittag im Bürocontainer in der Werner-Seelenbinder-Straße 4 an einer festlich eingedeckten, langen Tafel Platz nehmen. Es ist der Sitz der Jüdischen Gemeinde Potsdam, kurz zuvor hatten die Mitglieder dort ihren Schabbat-Gottesdienst gefeiert.

Unter Polizeischutz, zwei Streifenwagen stehen vor dem Bürocontainer in der Innenstadt in Sichtweite des Garnisonkirchturms, werden die Besucherinnen und Besucher eingelassen. Sie kommen zum Solidaritäts-Frühstück, zu dem die Jüdische Gemeinde zusammen mit der F.C. Flick-Stiftung eingeladen hat. Aus Sicherheitsgründen, hieß es vorher, könne zur Teilnahme nicht öffentlich aufgerufen werden.

Es ist dennoch voll geworden, zumindest für die begrenzten Räumlichkeiten. Jeder Stuhl an der Tafel ist besetzt. Landesrabbiner Ariel Kirzon spricht den Kiddusch, den Segensspruch über den Wein. Dann waschen, wie der Brauch es verlangt und so gut es im Bürocontainer eben geht, alle Frühstücksgäste ihre Hände, und Kirzon schneidet die zuvor mit weißem Tuch bedeckte Challot – die Schabbatbrote – an.

Das verweigerte Mitleid tut am meisten weh.

Susanne Krause-Hinrichs, Vorsitzende der F.C. Flick Stiftung

Jüdinnen und Juden erlebten nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vor zwei Wochen die schlimmste Zeit seit der Shoah, sagt Susanne Krause-Hinrichs, Vorsitzende der F.C. Flick Stiftung, in einer kurzen Tischrede. Antisemitismus sei spürbar, auf den Straßen, wenn es in Gesprächen heiße „Ja, aber“, in den Zwischentönen. „Das verweigerte Mitleid tut am meisten weh“, so Krause-Hinrichs.

Der Bürocontainer der Jüdischen Gemeinde Potsdam. Anfang 2024 wird sie in die neue Synagoge in der Schlossstraße ziehen. Im Inneren durfte am Samstag am Schabbat nicht fotografiert werden.
Der Bürocontainer der Jüdischen Gemeinde Potsdam. Anfang 2024 wird sie in die neue Synagoge in der Schlossstraße ziehen. Im Inneren durfte am Samstag am Schabbat nicht fotografiert werden.

© Andreas Klaer

Weil die Bedrohung, auch in Deutschland, seit dem Angriff anhalte, hätten Jüdinnen und Juden keine Zeit für Trauer. Die Anwesenheit der Potsdamerinnen und Potsdamer bei diesem Frühstück sei „ein großer Trost, sie hilft, nicht zu verzweifeln“. Krause-Hinrichs gilt als Kandidatin für das neue Amt der oder des Antisemitismusbeauftragen des Landes, die jüdischen Gemeinden unterstützen sie.

Alexander Kogan, der 1990 die erste jüdische Gemeinde in Brandenburg seit dem Holocaust mitbegründet hatte, fordert in seiner Rede ein konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus. „Wir haben ausreichende Gesetze, wir müssen sie nur anwenden“, sagt Kogan mit Blick auf die pro-palästinensischen Proteste. Er berichtet von seiner Großmutter, die als sechsjähriges Mädchen als einzige der Familie den Holocaust überlebt habe – und jetzt gebe es wieder Hass gegen Juden auf den Straßen.

Kogan nennt auch Potsdams Uni-Präsident Oliver Günther, der in einem offiziellen Statement Israel eine Mitschuld an dem Terrorangriff gegeben hatte und dafür von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) scharf kritisiert worden war. Günthers Äußerung sei eine Unverschämtheit, so Kogan.

Zeichen der Anteilnahme: Ein Blumenstrauß an einem Bauzaun vor dem Sitz der Jüdischen Gemeinde.
Zeichen der Anteilnahme: Ein Blumenstrauß an einem Bauzaun vor dem Sitz der Jüdischen Gemeinde.

© Andreas Klaer

Landesrabbiner Ariel Kirzon sagt, er werde gefragt, warum die Juden nicht für Israel auf die Straße gingen. Er erkläre dann: „Als erstes, weil wir arbeiten. Aber auch, weil wir Angst haben. Und weil wir beten, für Frieden.“ Der Ratsvorsitzende des Jüdischen Landesverbands, Arkadi Schwarz, sagt: „Unsere Mitglieder sind besorgt. Wir wünschen uns mehr von der Regierung.“

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle hat nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) seit dem Tag des Terrorangriffs am 7. Oktober deutlich zugenommen. Bundesweit seien mit Stand 15. Oktober 202 Vorfälle dokumentiert – 240 Prozent mehr als in derselben Zeit des Vorjahrs.

Wir leben in schweren Zeiten, aber wir überleben es.

Ernest Gorodetskiy, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Potsdam

Die Stimmung an der Schabbat-Tafel ist ernst, aber nicht nur. Es wird gesprochen, gegessen, gelacht, sich mit Wein und Wodka zugeprostet – L’Chaim, auf das Leben – und gesungen. „Wir leben in schweren Zeiten, aber wir überleben es“, sagt Ernest Gorodetskiy, ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde Potsdam, bevor er a cappella zwei Lieder anstimmt, eines jiddisch, eines hebräisch. Sie klingen nach Hoffnung.

Nicht nur Gorodetskiy sagt, er sei der deutschen Regierung „sehr dankbar für ihre klare Positionierung“. Auch Firusa Talibov, einst aus Aserbaidschan nach Potsdam gekommen, bedankt sich für die klare Haltung. „Doch Israel droht den Krieg der Bilder zu verlieren“, sagt sie. „Ich möchte vorschlagen, dass wir überall in Potsdam die Poster mit den Fotos der israelischen Geiseln der Hamas anbringen.“

Plakate mit den Fotos der Hamas-Geiseln in der Brandenburger Straße.
Plakate mit den Fotos der Hamas-Geiseln in der Brandenburger Straße.

© Sandra Calvez/PNN/Sandra Calvez/PNN

Einige der rot gerahmten Poster hängen bereits in einem Schaufenster in der Brandenburger Straße, doch Pete Heuer (SPD), der als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung gekommen ist, sagt Talibov im Namen des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ Unterstützung zu. „Wir werden Ihre Idee aufgreifen.“ Heuer spricht auch ganz persönlich, sein Großvater sei Jude gewesen, er sei rechtzeitig aus Warschau geflüchtet. Viele Familienangehörige seien im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden.

Zu den Gästen des Frühstücks gehört auch Angelika Zädow, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Potsdam. Sie empfinde die Stimmung in der Stadtgesellschaft als sehr angespannt, sagt sie gegenüber den PNN. Für sie sei klar: „Terror ist aufs Schärfste zu verurteilen.“ Viele Menschen, mit denen sie spreche, hätten Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten.

Aras-Nathan Keul vom Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg.
Aras-Nathan Keul vom Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg.

© Andreas Klaer

Aras-Nathan Keul vom Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg (DIG) ist aus Berlin zu dem Frühstück gekommen. Warum gibt es nicht mehr Solidarität mit Jüdinnen und Juden, mit Israel? Das liege, meint er, auch an der „Indifferenz, es ist den Leuten egal“, sagt Keul den PNN. Antisemitismus werde oft als „Problem der Vergangenheit“ gesehen. Das stimme aber nicht.

In ganz Brandenburg habe es seit dem Angriff außer den Mahnwachen in Potsdam keine Kundgebung, keine Demonstration für Israel gegeben, so Keul. Die DIG sei jedoch im Gespräch mit Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) – er besucht am Wochenende Potsdams französische Partnerstadt Versailles – über eine Veranstaltung am Sonntag, dem 29. Oktober.

Susanne Krause-Hinrichs (l.), Chefin der F.C. Flick Stiftung und Kulturministerin Manja Schüle (SPD).
Susanne Krause-Hinrichs (l.), Chefin der F.C. Flick Stiftung und Kulturministerin Manja Schüle (SPD).

© Andreas Klaer

An der Schabbat-Tafel sitzen neben anderen auch Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle, Potsdams ehemaliger Oberbürgermeister Jann Jakobs, Beigeordnete Brigitte Meier (alle SPD), Generalstaatsanwalt Andreas Behm, Peter Schüler, vormals Leiter der Fachstelle Antisemitismus am Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) und einstiger Vorsitzender der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, die SPD-Stadtfraktionschefin Babette Reimers, Jurist Matthias Dombert und Frank-Christian Hinrichs, Präsident des SV Babelsberg 03.

Das „unfassbare Massaker“, das die Hamas in Israel angerichtet habe, sei „nur durch Hoffnung auszuhalten – Hoffnung, die nicht ein Gefühl ist, sondern eine Pflicht und Haltung“, sagt Manja Schüle in ihrer Tischrede.

Es sei gut, dass so viele Menschen der Einladung zu diesem Frühstück gefolgt seien. „Aber es wird darauf ankommen, dass wir auch die nächsten Wochen, Monate und Jahre zusammenstehen.“ Jüdinnen und Juden seien „in unserer Mitte, sie gehören dorthin und sollen dort auch bleiben“, so die Ministerin. „Ihr gehört zu uns genauso wie wir zu euch gehören.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false