zum Hauptinhalt
Neuer Look. Zumindest äußerlich ist Oliver Christensen jetzt im Kampfmodus – passend zu seiner sportlichen Situation.

© IMAGO/Nordphoto

Der Torhüter von Hertha BSC kämpft gegen die Krise: Oliver Christensen und die Suche nach der Gelassenheit

Die Mannschaft taumelt, und der Torhüter taumelt mit ihr. Oliver Christensen kann Hertha BSC im Abstiegskampf derzeit nicht den nötigen Halt geben

Oliver Christensen befindet sich jetzt im Kampfmodus. Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. Am Mittwoch präsentierte sich Christensen beim Training von Hertha BSC mit neuer, ziemlich gewöhnungsbedürftiger Frisur. Von der blonden Haarpracht waren nur ein paar raspelkurze Stoppeln geblieben.

Zufall oder Chiffre? Dass Christensen jetzt wie ein US-amerikanischer Marine aussieht, passt zumindest zu seiner Situation. Die ist im Moment maximal ungemütlich und extrem herausfordernd.

Hertha taumelt in der Fußball-Bundesliga, die Mannschaft ist Letzter. Und der Torwart aus Dänemark taumelt mit. Das eine bedingt womöglich das andere. Wobei nicht ganz klar ist: Was ist das eine? Und was das andere?

„Natürlich ist es schwer für ihn“, sagt Herthas Cheftrainer Pal Dardai über Christensen. „Keiner kann ihm helfen. Die Mannschaft ist unsicher.“ Aber unsicher war zuletzt auch ihr Torhüter. Seine Fehler häufen sich.

Zum Verstecken. Beim 2:4 gegen Bremen vertändelte Christensen den Ball und verschuldete dadurch ein Gegentor.
Zum Verstecken. Beim 2:4 gegen Bremen vertändelte Christensen den Ball und verschuldete dadurch ein Gegentor.

© IMAGO/Jan Huebner

Gegen Leipzig am Karsamstag sah er vor dem 0:1 bei einer Ecke nicht gut aus. Beim 2:5 gegen Schalke eilte er weit aus seinem Tor – und wurde von Marius Bülter zum zwischenzeitlichen 1:4 übertölpelt. Und am vergangenen Wochenende, bei der Niederlage gegen Bremen, ließ er sich den Ball von Mitchell Weiser am eigenen Strafraum abluchsen.

Ja, Christensen war zuvor denkbar unglücklich von seinem Kollegen Agustin Rogel angespielt worden. Aber ja, er hätte sich vor dessen Rückpass auch besser positionieren können.

59
Gegentore hat Christensen in den bisherigen 29 Saisonspielen kassiert.

Mit 24 ist Christensen immer noch ein junger Torhüter, sogar der jüngste unter den Stammtorhütern der Bundesliga. Zudem ist er erst seit dem vergangenen Sommer Herthas Nummer eins. „Ein junger Torhüter kann auch Fehler machen“, sagt Dardai. „Er soll davon lernen.“

Leistungsschwankungen sind bei jungen Torhütern alles andere als ungewöhnlich. Selbst bei den Besten ihres Fachs verläuft die Karriere nicht immer nur linear nach oben. Sogar Manuel Neuer hat eine Phase mitgemacht, in der er sich viel Kritik, auch Häme hat gefallen lassen müssen. Nachdem Neuer in seiner zweiten Saison als Stammtorhüter beim Schalke 04 gleich mehrmals gepatzt hatte, wurde er vom Boulevard als „Flutsch-Finger“ verspottet. Und auch die Sinnhaftigkeit seines offensiven Torwartspiels wurde damals in Zweifel gezogen.

Natürlich ist es schwer für ihn. Keiner kann ihm helfen. Die Mannschaft ist unsicher.

Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, über Christensen

Auch Christensen ist ein Typ, der als Mann der letzten Reihe vor allem nach vorne denkt. „Er bevorzugt das offensive Spiel, anstatt auf der Linie zu kleben“, hat Herthas Torwarttrainer Andreas Menger im Sommer im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. Dadurch sei Christensen bei vielen Bälle schon zur Stelle, bevor es gefährlich werden konnte.

Wer zu spät kommt, sieht blöd aus. Christensen verteidigt sehr offensiv. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen wie hier beim 1:4 gegen Schalke.
Wer zu spät kommt, sieht blöd aus. Christensen verteidigt sehr offensiv. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen wie hier beim 1:4 gegen Schalke.

© IMAGO/Norbert Schmidt

Andererseits liegt es in der Natur dieses Spiels, dass der Torhüter einfach blöd dasteht, wenn er dann zu spät kommt – so wie zuletzt bei Bülters Treffer auf Schalke. Geht es gut und Christensen klärt irgendwo im Mittelfeld, dann ist die Szene so unspektakulär, dass sie im Fernsehen nicht einmal gezeigt wird. Im anderen Fall aber wird sie Herthas Torhüter genüsslich unter die Nase gerieben.

Christensen meint es ja nur gut. Er will der Mannschaft helfen. Aber dadurch macht er es manchmal nur noch schlimmer. Die Ruhe, die der Däne zu Saisonbeginn ausgestrahlt hat und die ihm die Teilnahme an der WM in Katar beschert hat, die fehlt ihm im Moment. Auch mit dem Fuß wirkte Christensen zuletzt sehr unruhig. Gegen Bremen wäre er einmal fast gestolpert, als er den Ball mit dem Fuß stoppen wollte.

Nur: Wie soll Christensen mit Pässen glänzen, wenn sich ihm niemand anbietet? Oft bleibt ihm allein der Befreiungsschlag, der irgendwo im Nichts oder im Zweifel beim Gegner landet.

Einen routinierten Torhüter hat Hertha nicht

Als er im Januar 2021 zum zweiten Mal zu Herthas Cheftrainer befördert worden ist, hat Pal Dardai sich zu einer überraschenden Personalentscheidung durchgerungen. Bei seinem Debüt ersetzte er den vorherigen Stammtorhüter Alexander Schwolow durch den Routinier Rune Jarstein. Er könne Schwolow nichts vorwerfen, erklärte Herthas Trainer, aber ihm habe als Torhüter einfach das Spielglück gefehlt.

Bei Christensen ist es im Moment ähnlich, ein Wechsel im Tor steht trotzdem nicht zur Debatte – weil Dardai keinen Routinier wie Jarstein in der Hinterhand hat, den er unbesehen aufstellen kann. Die Alternativen zu Christensen hießen Tjark Ernst, 20 Jahre, kein Bundesligaspiel, und Robert Kwasigroch, 18, ebenfalls kein Bundesligaspiel.

Wenn Hertha an diesem Sonntag (15.30 Uhr) beim FC Bayern antritt, wird Oliver Christensen wieder das Tor seiner Mannschaft hüten. Der Däne hat gezeigt, dass er mit Drucksituationen umgehen kann. Vor einem Jahr musste er lange auf seinen ersten Pflichtspieleinsatz für Herthas Profis warten. Erst in der Relegation gegen den Hamburger SV stand er erstmals auf dem Platz.

Gerade in diesen Begegnungen strahlte der Däne eine natürliche Gelassenheit aus, die Hertha letztlich davon absehen ließ, zur neuen Saison einen erfahrenen Torhüter als neue Nummer eins zu verpflichten – und die das Team auch jetzt im Saisonendspurt wieder dringend benötigt. „Oli ist ein stabiler Junge. Er ist mental stark“, sagt Pal Dardai. „Dadurch genießt er Riesenvertrauen. Das ziehen wir jetzt durch.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false