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Viele Objekte aus der Elephantine-Ausstellung lagerten ein Jahrhundert lang in Kisten und Schachteln.

© Staatliche Museen zu Berlin/Sandra Steiß

Neuartiges Verfahren: Wie liest man antike Texte auf Papyrus, ohne sie zu entblättern?

Schnürt man zerbrechliche Papyripäckchen auf, können sie dadurch zerstört werden. Die aktuelle Berliner Elephantine-Ausstellung präsentiert Wege, diese Gefahr zu umgehen.

Es sind nur vier Buchstaben, „pjoe“. Doch wer sich auskennt, kann den Kontext zuordnen: Dies ist Koptisch und bedeutet „Der Herr“ oder im Vokativ „Oh Herr“, gemeint ist natürlich Jesus Christus. Das Besondere: Die Buchstaben, die Ende des 4. Jahrhunderts geschrieben wurden, finden sich auf einem antiken Papyruspäckchen aus dem Louvre, das nicht entblättert wurde, sondern nach wie vor zusammengeschnürt ist – da es andernfalls in Einzelteile zerfallen wäre.

Die Schrift wurden digital gelesen, mit Hilfe eines Verfahrens, das die Archäologie revolutionieren könnte und hier in Berlin entwickelt wurde. In der Ausstellung „Elephantine – Insel der Jahrtausende“ in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum wird auch dieses Forschungsprojekt vorgestellt.

Metall oder Carbon?

Verena M. Lepper ist Kuratorin der Ausstellung und Leiterin des siebenjährigen Projekts, das vom Europäischen Wissenschaftsrat finanziert wurde. „Wir mussten zuerst klären, ob der Papyrus mit metallhaltiger oder kohlenstoffhaltiger Tinte beschriftet wurde“, erklärt sie. Ist es Metall, kann dies mittels Röntgenstrahlen ermittelt werden.

Verena M. Lepper, Expertin für Ägyptologie und altorientalische Sprachen und Kulturen und Kuratorin der Ausstellung „Elephantine - Insel der Jahrtausende“ in der James-Simon-Galerie.

© AGYA

In Kooperation mit dem Berliner Helmholtz-Zentrum werden dann Computertomographie-Aufnahmen erstellt und im Zuse-Institut ausgewertet – mittels eines Algorithmus, der weiß, wie ein Papyrus gefaltet gewesen sein kann.

Speist man die Daten in diesen Algorithmus ein, ist es möglich, das Schriftstück virtuell zu entblättern und zu lesen. Es wird dann mit zahlreichen Metadaten versehen und per Open Access weltweit zugänglich gemacht. Dafür hat sich auch die ARD interessiert, deren Film ist in der Ausstellung zu sehen.

Elephantine – die Insel im Nil, von welcher der erwähnte Papyrus stammt – ist deshalb so bedeutsam, weil es der einzige Ort auf der Welt ist, auf dem sich eine kontinuierliche schriftliche Überlieferung über 4000 Jahre (vom 3. vorchristlichen Jahrtausend bis ins Jahr 1000 n. Chr.) nachweisen lässt. „Selbst in Mesopotamien oder China finden Sie das nicht“, so Lepper. Kein Zufall: Elephantine war von größter strategischer Bedeutung. Die Insel liegt am ersten der sechs Katarakte (Stromschnellen), in die der Lauf des Nils seit dem Altertum eingeteilt wird, und bildete auch deshalb die Südgrenze Ägyptens. Hier kreuzten sich immer wieder Handel, Sprachen, Kulturen, Religionen.

Ansicht der Insel Elephantine heute, mit dem modernen Möwenpick-Hotel.

© Imago

In der Ausstellung liegt der Schwerpunkt auf „traditionell“ entblätterten Papyri, die in Glasscheiben präsentiert werden. Rund 10.000 Objekte sind aus Elephantine bekannt, sie befinden sich heute in 60 Sammlungen, die meisten im Brooklyn Museum, im Louvre – und in Berlin. Die hiesigen Königlichen Museen waren schon früh an der archäologischen Erforschung der Insel beteiligt.

Viele Exponate schlummerten über ein Jahrhundert ungeöffnet in Lagern. „Wir haben in Berlin 35 Kisten mit 1000 Exponaten neu erschlossen“, sagt Lepper. Sie selbst ist in der Lage, die meisten der Sprachen, in denen diese Texte verfasst sind, zu lesen.

Es ist eine geradezu babylonische Vielfalt: Neben ägyptischen Hieroglyphen sind die Texte auf hieratisch verfasst (eine Hieroglyphen-Kurzschrift), demotisch, aramäisch, griechisch, koptisch, lateinisch und arabisch. Sie berichten von medizinischen und heilkundlichen Themen, von Handelsfragen, der Stellung der Frau, von Rechtsstreitigkeiten, Religion und Glaube, kurz: von allem, was wichtig war. Wer die Ausstellung besucht, taucht tief ein in die Menschheitsgeschichte – und plötzlich scheinen die Jahrtausende ganz gegenwärtig zu sein.

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