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Amory Burchard (1961-2023).

© KAI-UWE HEINRICH/TSP

Feinfühlig, engagiert, zugewandt : Wir trauern um unsere Kollegin Amory Burchard

Mehr als dreißig Jahre lang beobachtete Amory Burchard für den Tagesspiegel, was sich an den Unis und Schulen der Republik tat. Jetzt ist sie gestorben. Ein Nachruf.

Die Berliner Wissenschaftsszene noch einmal ganz neu denken und präsentieren – das war ihr letztes großes Projekt. Als der Tagesspiegel im vergangenen Jahr den Neuauftritt im kleineren Format vorbereitete, betraf das auch die Arbeit der Wissenschaftsredaktion, die in einen überregionalen und regionalen Teil geteilt werden sollte.

Für das neu zu konzipierende Ressort Wissenschaft in Berlin war Amory Burchard verantwortlich. Da gab es so viel zu überlegen, Autor:innen anzuwerben und Kolumnen zu entwerfen, Themen zuzuschneiden – die Arbeit verfolgte sie bis in den Schlaf. Als es dann aber richtig losging mit dem neuen Produkt, da konnte Amory Burchard bald nur noch eingeschränkt mitwirken. Eine zunächst nicht diagnostizierte Krankheit zwang sie immer wieder zum Rückzug.

1987 schrieb sie zum ersten Mal für den Tagesspiegel

Mehr als dreißig Jahre lang hat Amory Burchard für den Tagesspiegel beobachtet, was sich an den Universitäten und Instituten der Stadt tat, ebenso an den Schulen der Republik – immer mit großem Engagement und Wohlwollen gegenüber den dort Tätigen, den Studierenden und Schülerinnen und Schülern.

1987 schrieb sie erstmals für den Tagesspiegel, ein erster großer Einsatz war, als Reporterin aus den besetzten Hörsälen im bald folgenden Streiksemester zu berichten. Sie arbeitete für die Wissenschaftsredaktion – damals hießen die Seiten noch „Bildung und Wissenschaft“, später „Wissen und Forschen“ – zunächst als Freie, dann als Pauschalistin und festangestellte Redakteurin. Dass der Tagesspiegel bis heute eine Institution für alle ist, die sich mit Wissenschafts- und Bildungspolitik beschäftigen, ist auch ganz wesentlich ihr Verdienst.

Mit viel Akribie und Sprachgefühl redigierte sie die Artikel freier Mitarbeitender. Für sie bedeutete Redigieren nicht nur genaue, einfühlsame Textarbeit. Sondern auch, sich – trotz des oft hektischen Redaktionsalltags – Zeit zu nehmen, um ihre Änderungen zu erläutern: warum an einer Formulierung weiter gefeilt, eine Passage umgestellt werden sollte. Wer bei ihr das Schreiben lernte, wird ihre Regeln und Ratschläge noch heute im Kopf haben. Ausgiebig Zeit nahm sie sich für alle Neuankömmlinge im Ressort, ob Praktikanten, Volontärinnen oder andere Mitarbeitende: immer dialogisch und einbindend, auf Augenhöhe gerade auch mit Jüngeren, für deren Themen und Nöte sie immer ein offenes Ohr hatte.

Den Geisteswissenschaften galt ihre besondere Hingabe

Besonders am Herzen lagen ihr Themen aus den Geisteswissenschaften. Sie brachte die wichtigen historischen Debatten ins Blatt und begleitete eng, wie die islamische Theologie in Deutschland etabliert wurde. Sie schrieb über Osteuropaforschung und Archäologie, um nur einige Beispiele zu nennen – und manchmal auch über das Plattdeutsche, zu dem sie eine persönliche Verbindung hatte: Wat mutt, dat mutt.

Amory Burchard war Hamburgerin, großgewachsen, lebenslustig, und sie konnte strahlen, dass es die Herzen erwärmte. Ihr Interesse für Bildungsthemen rührte auch daher, dass ihr eigener Bildungsweg nicht geradlinig verlaufen war: Sie musste das Gymnasium verlassen, besuchte eine Realschule, schloss eine Ausbildung zur Arzthelferin ab und holte erst anschließend das Abitur nach. Bevor sie ihr Studium im Fach Slawistik begann, absolvierte sie ein Volontariat bei der „Bild“  – und empfand es als Befreiung, dann im Tagesspiegel über Wissenschaftsthemen schreiben zu können.

Mit viel Humor und Verständnis für alles, was menschlich ist

Mit ihrer klangvollen Stimme und Eloquenz wäre sie auch im Radio erfolgreich gewesen, aber sie ist dem Tagesspiegel durch Höhen und Tiefen hindurch treu geblieben, zeitweise auch im Betriebsrat. Texte zu recherchieren, zu schreiben, in Auftrag zu geben, sie zu bearbeiten und so schön und stimmig wie möglich im Blatt und online zu präsentieren, das war ihr, bei allem damit verbundenen Stress, bis zuletzt ein Quell der Freude und Befriedigung. Sie hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, stand immer für ihr Team ein – selbst wenn sie damit riskierte, auch mal anzuecken.

Für die Arbeit und in der Freizeit war Amory Burchard bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad unterwegs, zur Not wurde die Regenhose übergestreift und weiter ging es. Unnachahmlich die Art, wie sie fremde und eigene Schwächen aufspießte: mitunter maliziös, aber immer mit Humor und viel Verständnis für alles, was einfach menschlich und daher unvollkommen ist. Eine Zeit lang sang sie mit Begeisterung – und, wie sie behauptete, oft falsch – im Tagesspiegel-Chor. Die Wände ihrer Charlottenburger Wohnung waren mit Büchern gefüllt, und jedes Gespräch mit ihr war anregend.

Sie engagierte sich für ein interkulturelles Zentrum

Als promovierte Slawistin – sie hatte unter dem Titel „Das russische Berlin“ über Literatenkreise in den 1920 bis 1940er Jahren geschrieben – war sie immer an Begegnungen mit Menschen anderer Kulturen interessiert. Zusammen mit ihrem Mann Reinhard Fischer engagierte sie sich für das interkulturelle Zentrum „Ulme“ in Westend und pflegte enge Freundschaften mit geflüchteten Syrern. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine unterstützte sie ukrainische Exiljournalistinnen im Tagesspiegel-Projekt. Wie die Wissenschaft hierzulande mit internationalen Forschenden in Not umgeht: Auch das trieb sie journalistisch um.

Die Leidenschaft für den Beruf ließ nicht nach, als sich die ersten Anzeichen der lebensbedrohlichen Erkrankung einstellten. Ein knappes halbes Jahr hat sie gekämpft und die Hoffnung auf zumindest einige weitere Lebensjahre bewahrt. Als Patientin in der Charité war sie bis zuletzt interessiert an Fortschritten der onkologischen Forschung und nahm an einigen Studien teil.

Gerne hätte sie im Sommer den Ort besucht, an dem sie mehrere Jahre glücklich war: Gut Zernikow bei Rheinsberg. Noch einmal die Atmosphäre der Gutslandschaft genießen, Maulbeeren pflücken, womöglich baden und radeln! Der Krebs hat es nicht erlaubt. Am Sonntag ist Amory Burchard im Alter von 62 Jahren in Berlin gestorben.

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