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Eine Szene aus der ersten Staffel der Serie „Sex Education“ mit Asa Butterfield (links) und Emma Mackey.

© imago images/Everett Collection/Jon Hall/Netflix

Heruntergespieltes Leid: Die Wissenschaft hat ein Schmerz-Problem mit Netflix

„Sex Education“ oder „Stranger Things“: Forscherinnen haben beliebte Serien und Filme untersucht – und irreführende Darstellungen von Schmerz gefunden. Spielt Netflix die Probleme von Jugendlichen herunter?

Die Wissenschaft hat ein Problem mit Netflix: In beliebten Serien und Filmen des Streamingdienstes würden Schmerzen häufig nur in Zusammenhang mit Gewalt dargestellt werden. Andere Schmerzerfahrungen, die Jugendliche im echten Leben durchmachen müssen, würden kaum thematisiert, schreibt eine kanadisch-britische Forschungsgruppe im Fachmagazin „Pain“.

Die Wissenschaftler:innen der University of Calgary in Kanada und der University of Bath in Großbritannien untersuchten erstmals, wie Schmerz in verschiedenen Serien und Filmen für Zwölf- bis 18-Jährige dargestellt wird. Sie wollten herausfinden, welche Erfahrungen, sowohl emotionale als auch körperliche, die fiktiven Figuren erlebten und wie andere in ihrem Umfeld auf diese reagierten.

Zehn Filme und sechs Serien gesichtet

Dafür analysierten sie 60 Stunden Netflix: zehn beliebte Filme und jeweils die erste Staffel von sechs beliebten Serien, in denen Jugendliche die Hauptrolle spielten. Darunter:

  • Spider-Man: Homecoming
  • Enola Holmes
  • Alex Strangelove
  • Midnight Sun
  • The Perfect Date
  • To All The Boys I Loved Before
  • Stranger Things
  • Outer Banks
  • Riverdale
  • 13 Reasons Why / Tote Mädchen lügen nicht
  • Sex Education

Im Durchschnitt machten die Charaktere pro Stunde zehn schmerzhafte Erfahrungen: Am häufigsten (57 Prozent) entstanden die Schmerzen aufgrund von Gewalteinwirken oder Verletzungen. Alltägliche oder chronische Schmerzen, wie etwa Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen, kamen seltener vor (21 Prozent).

Die Forschenden fanden heraus, dass weitaus mehr männliche und weiße Charaktere von den körperlichen Schmerzen betroffen waren als weibliche. Mädchen wurden oft auch emotionaler und hilfloser dargestellt, wenn sie Schmerzen erlebten. Wenn Schwarze eine Schmerzerfahrung machten, dann oft nur, weil eine andere fiktive Person ihnen das zugefügt hatte (80 Prozent).

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Darüber hinaus stellte das Team fest, dass andere Charaktere im Umfeld des Protagonisten oft mit wenig Empathie auf die Schmerzerfahrung reagierten und sich selten mitfühlend und prosozial verhielten. Stattdessen kritisierten sie oder lachten sie die fiktive Figur aus, die unter Schmerzen litt.

Kinder und Jugendliche berichten, dass sie sich mehr mit ihren Lieblingsfiguren identifizieren können als mit Menschen im wirklichen Leben, die sie nicht kennen.

Allison Cormier, Studienerstautorin und Forscherin an der University of Calgary in Kanada 

„Wenn wir die Arten von Schmerzen, die Jugendliche oft empfinden, wie Rücken- und Menstruationsschmerzen, nicht zeigen, dann trivialisieren wir den Schmerz“, wird Abbie Jordan in einer Pressemitteilung zitiert. Jordan ist Mitautorin der Studie und Dozentin am Zentrum für Schmerzforschung an der University of Bath. „Wir helfen ihnen nicht, darüber nachzudenken, wie man mit Schmerzen umgeht, wie man über sie spricht und wie man Empathie zeigt, wenn andere Menschen Schmerzen haben“, so die Psychologin weiter.

Jordan weist darauf hin, dass Filme und Serien oft suggerieren, Jungen müssten „harte Kerle“ bleiben, selbst unter Schmerzen, während Mädchen „in Not“ gerettet werden müssten. Dies, so Jordan, könnte junge Menschen glauben lassen, sie müssten sich im echten Leben ähnlich verhalten.

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Sexistische und rassistische Vorurteile

Auch die Unterrepräsentation von Schmerzen in marginalisierten Gruppen würde deutlich machen, wie wichtig es ist, dass Streamingdienste wie Netflix Forschungsergebnisse ernst nehmen.

Der Mangel an Empathie, den fiktive Charaktere an den Tag legen, könnte sich ebenfalls negativ auswirken. „Untersuchungen legen nahe, dass Menschen, die Freundlichkeit in den Medien sehen, dies selbst nachahmen“, so Jordan. Umgekehrt könnten gewalttätige, schmerzhafte Handlungen dazu führen, dass sie sich weniger um den Schmerz anderer kümmern.

„Kinder und Jugendliche berichten, dass sie sich mehr mit ihren Lieblingsfiguren identifizieren können als mit Menschen im wirklichen Leben, die sie nicht kennen“, ergänzte Allison Cormier, Erstautorin der Studie. „Wir sollten also hoffen, dass diese Figuren ihnen etwas darüber beibringen, was sie von sich und anderen erwarten können, wenn sie verletzt werden und leiden“, sagte die kanadische Psychologin.

Die Wissenschaftlerinnen sehen Netflix in der Verantwortung, solche Geschichten zu erschaffen, die eine wünschenswertere Gesellschaft reflektieren: „Eine humane, vielfältige, inklusive, gerechte, empathische, mitfühlende und fürsorgliche Welt.“

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