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1912 sank die Titanic, erst 1985 wurde ihr Wrack entdeckt.

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Heute vor 38 Jahren: Schiffbruch als Spektakel

Mit dem Verschwinden der „Titan“ war das wohl berühmteste Schiffswrack aller Zeiten wieder in den Schlagzeilen. Die Überreste der „Titanic“ bleiben damit unerreicht, auch Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung im Jahr 1985.

Eine Kolumne von David Will

Als die Tauchkapsel „Titan“ diesen Juni im Nordatlantik verschwand, startete vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine gewaltige Suchaktion. Rettungsschiffe der kanadischen Küstenwache durchkämmten tagelang ein Gebiet von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns, US-Militärflugzeuge hielten aus der Luft Ausschau, sogar ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug wurde eingeflogen. Die Presse begleitete die Aktion rund um die Uhr und brachte schließlich die Nachricht vom Tod der fünf Verschollenen.

In gewisser Weise blieb die Titanic damit ihrem Ruf treu. Der Historiker Paul Heyer hat den Untergang des Schiffs in seinem Buch „Titanic Legacy“ 1995 als den „ersten kollektiven Alptraum“ des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet: Ein Unglück, das dem Menschen seine Fehlbarkeit vor Augen geführt und uns bis heute nicht losgelassen hat. Zahlreiche Bücher und Filme haben sich seither mit dem Schiffbruch im Jahr 1912 und dessen Deutung beschäftigt, schon lange vor James Camerons Klassiker von 1997. Besonders skurril ist dabei ein Propagandastück im Auftrag von Joseph Goebbels, der den Untergang der Titanic zum Symbol für die Dekadenz Großbritanniens stilisierte.

Die andauernde Faszination für die Titanic hat auch damit zu tun, dass sie bis heute weitgehend unerreichbar bleibt. Lange Zeit war nicht einmal klar, wo man nach ihren Überresten suchen musste. Erst am 1. September 1985, heute vor 38 Jahren, entdeckte Unterwasserarchäologe Robert Ballard das Schiffswrack rund 650 Kilometer vor der Küste Neufundlands. Möglich wurde das durch den neuartigen Roboter „Argo“, der die Tiefsee mit Kameras und Sonar erkunden konnte, und durch ein raffiniertes Verfahren: Anstatt direkt nach dem Wrack zu suchen, hielt „Argo“ Ausschau nach Trümmerteilen, deren Spur ihn schließlich zu der Titanic führte.

Wirklich greifbar wurde sie damit nicht. Glücksritter und Tiefseeunternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten zwar immer wieder Wrackteile und Artefakte aus dem Inneren des Schiffs zutage gefördert – teils gegen den wütenden Protest von Angehörigen der Verstorbenen und von Wissenschaftler:innen. Doch bis heute sieht es nicht so aus, als ließe sich die Titanic im Ganzen bergen. Und mit dem Tod der fünf Titan-Unterwassertouristen ist klar: In ihre Nähe kommen wir auf absehbare Zeit auch nicht.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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