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Die Schmetterlingsart Schachbrettfalter ist durch intensive Landwirtschaft bedroht, denn sie braucht nährstoffarme blütenreiche Wiesenbereiche, die bis Ende Juli nicht gemäht werden.

© imago/imagebroker/IMAGO/imageBROKER/Marcus Siebert

Umstrittene Studie: Was wirklich hinter dem Insektensterben steckt

Das Klima soll einen großen Einfluss auf den Rückgang der Insekten haben, besagt eine Studie. Andere wichtige Faktoren werden nach Ansicht von Umweltforschern dabei jedoch zu wenig berücksichtigt.

| Update:

Eine neue Studie hat jetzt Schwankungen im Langzeittrend der Insektenbestände in Deutschland mit dem Wetter in Verbindung gebracht. Die am Mittwoch in „Nature“ veröffentlichte Studie zeigt, dass das Wetter und Wetteranomalien eine entscheidende Rolle bei den langjährigen Schwankungen der Menge an fliegenden Insekten in Deutschland in den vergangenen 34 Jahren spielen.

Die Autor:innen gehen davon aus, dass sich bis zu 75 Prozent dieser Schwankungen durch das Wetter erklären lassen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen des Wetters und die Auswirkungen des Klimawandels gravierende Folgen für das Leben der Insekten in Deutschland haben könnten.

Ursachen bislang nicht belegt

Hintergrund der Untersuchung waren Daten der bekannten Krefeld-Studie aus dem Jahr 2017, für die über 27 Jahre die Biomasse fliegender Insekten in Deutschland beobachtet wurde. Damals stellte man einen Rückgang von 76 Prozent fest, als Ursachen wurden intensive Landwirtschaft, zunehmende Umweltverschmutzung, Lebensraumzerstörung, Klimawandel und Lichtverschmutzung diskutiert, nichts davon konnte allerdings belegt werden.

Anlass für die Analyse der Krefeld-Daten war, dass die Insektenbiomasse im Jahr 2022 höher war als im langjährigen Trend, in etwa auf dem Niveau der 1980er Jahre lag. Um diese Schwankungen zu erklären, ergänzten die Forschenden die Krefelder Daten mit Proben aus späteren Jahren, die aus anderen Regionen stammten, und kombinierten die Ergebnisse mit Wetterdaten wie Temperatur und Niederschlag. Auf dieser Grundlage stellten sie fest, dass sich drei Viertel der Schwankungen in den Insektenfallen erklären lassen, wenn neben den räumlichen und zeitlichen Variablen auch Wetterparameter berücksichtigt werden.

 75
Prozent der Schwankungen von Insektenbeständen lässt sich laut Studie durch das Wetter erklären. 

Die neue Studie wirft ein neues Licht auf die Diskussion um die Ursachen des Insektensterbens und betont den Faktor Wetter als wichtigen Parameter. Wie aussagekräftig die Ergebnisse sind, dazu gibt es in der Forschung allerdings verschiedene Ansichten. Gegenüber dem Science Media Center äußerten sich einige Forschende nun zum Erscheinen der Studie.

Von Trockenheit bedrohte Arten

Axel Hochkirch von der Universität Trier hält es für wichtig, dass die Autor:innen neben dem Verlust von Lebensräumen auch die Witterungsschwankungen – und damit langfristig natürlich auch den Klimawandel – als ebenso bedeutsam für gefährdete Arten herausgestellt haben. Während sich beispielsweise Arten wie die Europäische Gottesanbeterin oder die Feldgrille aufgrund des wärmeren Klimas inzwischen weiter ausbreiten konnten und heute nicht mehr als gefährdet gelten, würden ehemals häufige Arten wie etwa der Bunte Grashüpfer in weiten Teilen Europas aufgrund von Trockenheit seltener. „Dies passt gut zu den Vermutungen der Autoren der aktuellen Studie, dass der Klimawandel zu synchronen Abnahmen der Biomasse in großen Gebieten führen kann.“

Während sich die Gottesanbeterin oder die Feldgrille aufgrund des wärmeren Klimas inzwischen weiter ausbreiten, werden Arten wie der Bunte Grashüpfer in weiten Teilen Europas aufgrund von Trockenheit seltener.
Während sich die Gottesanbeterin oder die Feldgrille aufgrund des wärmeren Klimas inzwischen weiter ausbreiten, werden Arten wie der Bunte Grashüpfer in weiten Teilen Europas aufgrund von Trockenheit seltener.

© Promo/ROLAND GOCKEL - ROSIE KOCH

Andere Forscherinnen und Forscher sehen die Aussagen der Studie jedoch deutlich kritischer. So weist Carsten Brühl von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau, darauf hin, dass es nicht unbedingt das Wetter sein muss, das die Schwankungen verursacht. So habe das Wetter auch Einfluss auf die landwirtschaftliche Praxis, zum Beispiel auf den Zeitpunkt des Pflügens, der Aussaat und des Mähens sowie auf den Einsatz von Pestiziden. All dies ist für Insekten relevant, so der Forscher, der mit dem Erstautor der Krefeld-Studie Kooperationsprojekte unterhalten hat.

„Somit ist das Wetter ein zwar wichtiges Korrelat von Insektenbiomasse, aber es müssen kausal nicht höhere Frühjahrestemperaturen sein, die die Insektenbiomasse verändern, sondern zum Beispiel der wetterbedingte Pestizideinsatz.“  Dieser werde in der aktuellen Studie weder berücksichtigt noch diskutiert. Die aktuelle Studie zeige aber, dass auch Insekten auf offenen Feldern zunehmendem Hitzestress ausgesetzt sind. „Daher ist schnelles Handeln notwendig.“

Lichtverschmutzung zählt neben Faktoren wie Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und Klima zu den möglichen Ursachen des Insektensterbens, die diskutiert werden.
Lichtverschmutzung zählt neben Faktoren wie Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und Klima zu den möglichen Ursachen des Insektensterbens, die diskutiert werden.

© dpa/Armin Weigel

Auch Hans-Peter Piepho, Leiter des Fachgebiets Biostatistik an der Universität Hohenheim, warnt davor, die Ergebnisse der Studie einseitig so zu interpretieren, dass Wetterphänomene allein den dramatischen Verlust an Insektenbiomasse aus der Krefeld-Studie erklären könnten. Was auch die Autor:innen selbst in der „sehr ausführlichen und fundierten Diskussion“ der Arbeit nicht tun würden. „Die Tatsache, dass diese Studie einen großen Einfluss der Witterung nachweist, bedeutet nicht, dass andere Faktoren wie der Pestizideinsatz und die Änderung der Landnutzung nicht ebenfalls einen großen Einfluss haben können.“

Renaturierung gefordert

In diesem Zusammenhang betonte auch Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig, dass die derzeitigen Auswirkungen des Klimawandels ohnehin nicht schnell wieder rückgängig zu machen seien. „Die Klimakatastrophe ist etwas, das nicht wieder verschwinden wird“, insofern könne das Insektensterben auch nicht durch Emissionsminderungen aufgehalten werden. „Stattdessen brauchen wir eine Renaturierung und ein Ende der Zerstörung von Lebensräumen und der Verschmutzung, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.“

Ein weiteres Manko der Studie sei der Einsatz von sogenannten Malaise-Fallen, die nur fliegende Insekten und deren Aktivität messen würden. Sitzen die Insekten bei schlechtem Wetter hingegen still, werden sie nicht gefangen; über am Boden lebende Insekten sage die Methoden gar nichts aus.

Zu einem geradezu vernichtenden Urteil kommt Christoph Scherber, Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring in Bonn. „Die aktuelle Studie ist in ihrer Kernaussage absolut fatal und hätte von ‚Nature‘ in dieser Form nicht publiziert werden sollen.“ Wetter und Klima seien zwar wichtig für Insektenpopulationen. „Aber alles ausschließlich auf Wetter und Klima zu reduzieren: Das ist zu einfach gedacht.“

Alles nun auf Wetter und Klima zu schieben, wirft die Debatte um Jahrzehnte zurück.

Christoph Scherber, Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring in Bonn

In der Studie würden zu einfache Modelle präsentiert, die wichtige Einflussfaktoren wie insbesondere die Landnutzung außer Acht lassen. „Die Autoren erweisen so der gesamten Debatte um das ‚Insektensterben‘ einen Bärendienst“, so Scherber gegenüber dem SMC. „Alles nun auf Wetter und Klima zu schieben, wirft die Debatte um Jahrzehnte zurück und liefert keinen Erkenntnisgewinn.“

Klimaveränderungen hätten schon immer einen Einfluss auf Insektenpopulationen gehabt: „Daraus sollte man aber keinesfalls folgern, dass andere Einflussgrößen unbedeutend sind.“ So sei in der Krefelder Studie der Rückgang der Insekten unter anderem auch mit Verbuschung erklärt worden. Die wissenschaftliche Kunst bestehe darin, exakte Studien so anzulegen, dass Witterung und andere Effekte klar getrennt werden können.

Auch sei es wissenschaftlich fragwürdig, eine zweite, kürzere Studie aus südlicheren Regionen (Bayern) einfach mit den Krefelder Daten zu kombinieren. Man könne die Dynamik eines Systems nicht durch pures Betrachten verstehen. „Ein schlechter Datensatz wird durch Kombination mit einem zweiten Datensatz nicht unbedingt besser“, so Scherber. „In gewisser Weise erscheint dies, als würde man zwei schlechte Studien kombinieren und damit plötzlich meinen, die Welt erklären zu können.“

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