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Bei der Forschungsarbeit von Hunter geht es um die wissenschaftliche und kulturelle Erforschung der Entwicklung von Menstruationsflüssigkeit zur Verwendung in Gewebekulturen sowie um die Isolierung multipotenter Stammzellen.

© WhiteFeather Hunter

Kunst und Wissenschaft: Kreativ und konfrontativ im Labor

Das Art Laboratory Berlin ist ein Raum für experimentelle Kunst und Wissenschaft. Es konfrontiert uns mit unseren Vorannahmen zu unserer Rolle gegenüber dem Lebendigen und Technologie.

Eine Zellkulturschale in einem nackten Brutschrank wirft allein keine tiefgreifenden Fragen auf. Aber wenn diese Schale die Nervenzellen eines Künstlers enthält, ihre elektrischen Impulse auf einen Synthesizer überträgt und wilde Klänge auf der Bühne erschallen? Das weckt Assoziationen über Bewusstsein, das Selbst und wohin Forschung uns führt.

„Es ist ein so einfaches Klischee, das es meiner Meinung auch gar nicht gibt: den Gegensatz von emotionaler, gefühlvoller Kunst und der analytischen, rationalen Naturwissenschaft“, sagt Regine Rapp vom Art Laboratory Berlin (ALB). Zusammen mit dem aus New York stammenden Kurator Christian de Lutz und zwei Mitstreiterinnen gründete die Kunsthistorikerin 2007 im Wedding das ALB als einen Raum für experimentelle, interdisziplinäre Kunst.

Dafür kuratiert das Team vom ALB internationale Akteure aus Kunst und Wissenschaft, die sich über den üblichen Erkenntnishorizont hinauswagen. „In der Renaissance existierten Kunst und Wissenschaft zusammen, erst im 19. Jahrhundert wurden sie getrennt“, sagt Rapp. Das ALB will diese Welten wieder zusammenzuführen.

Betritt man naiv die Performance etwa des Bio-Art-Künstlers Guy Ben-Ary mit seinem überdimensionierten, kreischenden Zell-Synthesizer, beschleicht einen durchaus Befremden oder Überwältigung. Kunstschaffende wie er operieren oft im Spekulativen oder Metaphorischen. Die geweckten Assoziationen sind nicht immer angenehm.

Unbequeme Selbstkritik

„Die jüngeren Künstler:innen und Wissenschaftler:innen haben einen offeneren, viel selbstkritischeren Blick“, sagt de Lutz. Tatsächlich ist die heutige Wissenschaft vergleichsweise reflektiert: Fragen von Diversität, Bioethik oder gesellschaftlicher Teilhabe haben einen höheren Stellenwert. Mehr denn je müssen Forschende im Labor kreativ sein, um überhaupt neue Forschungsfelder zu erschließen und sich fragen, was ihr Schaffen in der Welt bewirkt.

Naturwissenschaftler:innen versuchten zwar kulturelle Perspektiven aus ihrer Forschung herauszuhalten, sagt de Lutz: „Das ist aber nicht möglich, denn Vorurteile haben Einfluss darauf, was erforscht wird und wie Mittel eingesetzt werden.“ Einige Künstler:innen, mit denen das ALB zusammenarbeitet, haben auch selbst einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und stellen ihre Kolleg:innen infrage.

Ein Beispiel für dieses Infragestellen ist „The Witch in the Lab Coat“ von der kanadischen Künstlerin WhiteFeather Hunter, die sich mit der Verwendung von Stammzellen und Serum aus Menstruationsblut befasst und damit Assoziationen zu Geschlechter-Ungerechtigkeit und dem Stigma der Hexerei weckt, mit dem naturkundige Frauen früher assoziiert wurden.

Ihre Exponate enthalten Petrischalen mit organischen Formen und okkulten Symbolen, die Teil der Ausstellung „Matters of Flux“ sind, die das ALB gerade in seinen Räumen in der Prinzenallee 34 im Wedding ausrichtet und die am 9. Juli zu Ende geht.

Bei der Forschungsarbeit von Hunter geht es um die Erforschung von Menstruationsflüssigkeit zur Verwendung in Gewebekulturen und um die Isolierung multipotenter Stammzellen.

© WhiteFeather Hunter

Tatsächlich sei es nicht einfach gewesen, ein Labor für die nötigen Vorarbeiten in der Zellkultur zu finden, erzählen Rapp und de Lutz. Letztlich klappte es aber am Berliner Standort des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen.

Künstlerische Forschung bietet einzigartige Zugänge

Christian de Lutz, Kurator am Art Laboratory Berlin

Die Vorarbeiten und Interaktionen mit den anderen Beteiligten sind Teil des künstlerischen Prozesses, ganz wie in der Wissenschaft, wo Methoden untrennbar mit den Ergebnissen verknüpft sind. „Künstlerische Forschung bietet einzigartige Zugänge“, sagt de Lutz. Die Fragen, die im ALB aufgeworfen werden, sind also oftmals grundsätzlicher Natur und im wissenschaftlichen Alltag meist kein Thema. Andererseits scheint der Geltungsbereich mancher Projekte gar nicht groß genug sein zu können.

Das sehen die beiden nicht als Nachteil: „Das meinen wir mit künstlerischer Forschung: Das ganze Kaleidoskop kann ausgeschöpft werden“, sagt Rapp. Sie meint damit, Fragen aufzuwerfen, mit bio-politischen Dimensionen, in philosophischen Zusammenhängen und anthropologischen oder soziologischen Kategorien. „Das kann Kunst eben besser als Naturwissenschaften.“

Ein internationaler Projektraum

Das ALB versteht sich als Kunst- und Forschungsplattform, die als gemeinnütziger Verein organisiert ist und inzwischen konstant durch den Berliner Senat und in Projekten des Öfteren durch den Hauptstadtkulturfonds gefördert wird. 2013 und 2017 erhielt es Auszeichnungen der Berliner Kulturverwaltung. Kooperationen gibt es mit den Berliner Unis und außeruniversitären Forschungsinstituten, die Veranstaltungen sind grundsätzlich offen für alle. Außer Ausstellungen und Konferenzen bietet das Kunst-Labor auch Workshops und Online-Diskursformate an.

Beim ALB erwartet einen weder Pseudowissenschaft noch Science Fiction, sondern eine ungewohnte Facette der menschlichen Neugier und Kreativität. Wer sich als Naturwissenschaftler:in darauf einlässt, etwa um den kreischenden Neuronen eines Künstlers zu lauschen, tut dies sicher nicht wegen Publikationen in angesehenen Fachjournalen oder wegen Förder-Millionen. Es hilft aber vermutlich dabei, „out of the box“ zu denken und die eigenen Vorannahmen zu hinterfragen.  

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