zum Hauptinhalt
„Demokratie ist der Motor für Wirtschaftswachstum“, sagt Volkswissenschaftlerin Vanessa Boese-Schlosser.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Wirtschaftsstarke Demokratien: Vertrauen in das bessere System lohnt sich

Demokratie führt zu konstantem Wirtschaftswachstum, zeigt eine Studie. Doch wenn das Vertrauen in das politische System bröckelt, gefährdet das auch den ökonomischen Motor der Gesellschaft.

Demokratien sind lukrativ: Gegenüber Autokratien erzielen sie jährlich ein um 0,8 Prozent höheres Wirtschaftswachstum. Betrachtet über 50 Jahre wächst das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung demokratischer Staaten etwa 40 Prozent stärker. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und hat damit Demokratien erstmals ein konstantes Wirtschaftswachstum nachgewiesen. 

Dazu verglichen die Volkswirtschaftler:innen Vanessa Boese-Schlosser und Markus Eberhardt Staaten, die zwischen 1949 und 2018 Regimewechsel erlebten, mit solchen, die über die Zeitspanne Autokratien blieben. „Bisher wurde angenommen, dass Staaten durch ihre Demokratisierung einen einmaligen Wirtschaftswachstumsschub über maximal drei Jahrzehnte erfahren“, sagt Boese-Schlosser. 

Dass die 37-Jährige und ihr Kollege diesen Schluss revidieren konnten, führt Boese-Schlosser auf ihre Methode zurück. Für ihre Arbeit nutzten die Forschenden auf eine 2021 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnete ökonomische Kausalanalyse.

Junge Demokratien am Scheideweg

Damit konnten sie belegen, dass Demokratie-Bausteine in bestimmten Phasen nach einem Regimewechsel besonders wichtig sind. „In den ersten zehn Jahren wird das Wirtschaftswachstum stark davon beeinflusst, ob Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, vor allem gegenüber den alten Eliten, durchgesetzt werden können. Nach zwei bis drei Jahrzehnten werden dann liberale Komponenten wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit wichtiger. Durchgängig elementar sind faire und freie Wahlen“, sagt Boese-Schlosser. 

Weil die Macht von Politiker:innen durch Wahlen und Gesetze beschränkt sei, könnten Investor:innen davon ausgehen, dass der politischen Rahmen langfristig stabil bleibe – anders als in Autokratien: „Im Verbund ergeben demokratische Institutionen ein wirtschaftliches Sicherheitsnetz, das beständiges Wachstum ermöglicht und vor Negativwachstum schützt.“

Im Verbund ergeben Institutionen ein wirtschaftliches Sicherheitsnetz, das beständiges Wachstum ermöglicht.

Vanessa Boese-Schlosser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Als Beispiel nennt Boese-Schlosser Südkorea, das sich Ende der Achtzigerjahre demokratisierte. Es erzielte in den Neunzigerjahren fast durchgängig ein Wirtschaftswachstum von fünf bis acht Prozent. Nachdem sich die Demokratie als Herrschaftssystem etabliert hatte, wuchs die Wirtschaft weiter, allerdings langsamer als zuvor. In den letzten 15 Jahren legte sie zwischen einem und drei Prozent zu.

Auch im Jemen, das sich wie Deutschland nach jahrzehntelanger Teilung 1990 zu einem demokratischen Staat wiedervereinigte, wuchs die Wirtschaft ab Mitte des Jahrzehnts. Als der Arabische Frühling 2011 den Jemen erreichte und Protestierende auf den Rücktritt der Regierung und ein Verfassungsreferendum drängten, schrumpfte die jemenitische Wirtschaft erstmals nach 17 Jahren drastisch und tut dies bis heute, teilweise im zweistelligen Prozentbereich.

Demokratie ist der Motor für Wirtschaftswachstum. Erodieren demokratische Institutionen, leidet fast immer die Wirtschaft.

Vanessa Boese-Schlosser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Für den Rückbau von Demokratien brauche es aber keine Hungersnöte und Kriege, sagt Boese-Schlosser mit Blick auf die Türkei, Ungarn und Polen. Seit 2008 nimmt sie eine „Welle der Autokratisierung“ wahr und warnt: „Demokratie ist der Motor für Wirtschaftswachstum. Erodieren demokratische Institutionen, leidet fast immer die Wirtschaft.“

Schaufelt sich die Demokratie ihr eigenes Grab?

Klar wird das bei einem Blick auf den Zusammenhang von Einkommen und der Einstellung zu Demokratie.
Aus dem Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung von 2022 geht hervor, dass Menschen mit geringem Einkommen weniger Vertrauen in Polizei, Gerichte und Parteien haben als Besserverdienende. Die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2022 zeigt außerdem, dass Geringverdienende stärker zu autoritären Positionen neigen. 

Ungleichheit bietet den Boden für Polarisierung und geht oft mit Autokratisierung einher“, sagt Boese-Schlosser. Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie nimmt zwar stark ab, „demokratische Institutionen sind in Deutschland aber derzeit nicht gefährdet“. Noch herrschen also gute politische Voraussetzungen für ein Wirtschaftswachstum hierzulande.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false