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© dpa/Jörg Carstensen

Update

„Werden Weltuntergang nicht erleben“: Berlins Finanzsenator widerspricht Klagen der Bezirke

Mehrere Bezirke wollen wegen drohender Haushaltskürzungen Sozialleistungen streichen. Sozialverbände schlagen Alarm. Der Finanzsenator kündigt Gespräche an.

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Berlins Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat Gespräche mit den Bezirken über deren Forderung nach deutlich mehr Geld in Aussicht gestellt. Ankündigungen etwa aus Neukölln, in Zukunft seien erhebliche Einschränkungen beispielsweise bei der Obdachlosenhilfe, beim Wachschutz an Schulen oder bei Jugend- und Familienzentren nötig, hält der CDU-Politiker jedoch nicht für realistisch.

„Die Debatte erleben wir immer im Vorfeld der Haushaltsberatungen und der Haushaltsbeschlüsse“, sagte Evers am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf ein Schreiben der Bezirksbürgermeister. „Der Weltuntergang ist immer wieder beschrieben worden, er ist nie eingetreten – sonst hätten wir auch nicht so gewaltige Rücklagen in den Bezirken“, so der Finanzsenator.

Das spricht stark dafür, dass wir am Ende des Tages den Weltuntergang nicht erleben werden.

Finanzsenator Stefan Evers (CDU) über die angekündigten Sparzwänge der Bezirke

Wenn man sich anschaue, welche „Horrorszenarien“ 2022 genannt wurden und wie anschließend die Überschüsse in vielen Bezirken ausgesehen hätten, sei das schwer miteinander in Deckung zu bringen, sagte Evers. „Das spricht stark dafür, dass wir am Ende des Tages den Weltuntergang nicht erleben werden.“ Der CDU-Politiker kündigte an, die Zuweisungen an die Bezirke zu erhöhen. „Wir werden auch das Gespräch mit den Bezirken führen.“ Insgesamt gebe es jedoch an der Haushaltslage „nichts schönzureden“.

Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm

Zuvor hatten Berlins Wohlfahrtsverbände wegen der befürchteten Kürzungen sozialer Angebote in der Stadt in einem offenen Brief an Senat und Abgeordnetenhaus Alarm geschlagen. „Das erste Opfer des Sparkurses ist die soziale Infrastruktur“, warnten sie mit Blick auf die aktuellen Haushaltsverhandlungen und die erwarteten finanziellen Einschnitte.

Das Vorgehen bedeute auf Dauer „die soziale, wirtschaftliche und politische Bankrotterklärung für Berlin“, schreibt die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Berlin. Dazu gehören die Awo, die Caritas, die Diakonie, der Paritätische, das DRK und die Jüdische Gemeinde zu Berlin.

In dem Papier, das am Donnerstagvormittag veröffentlicht wurde, nehmen die Verbände auch Bezug auf einen Brandbrief der Bezirksbürgermeister. Darin hatten diese in der vergangenen Woche vor dramatischen Einschnitten im Sozialbereich und beim Personal gewarnt. Der Brief spreche eine deutliche Sprache. „Wir können nicht zulassen, dass durch Sparvorgaben elementare sozialpolitische Notwendigkeiten ignoriert werden“, appellieren die Verbände.

Sie führen aus, welche mögliche Folgen das haben könne: Wenn bei den „freiwilligen sozialen Leistungen“ wie befürchtet zuerst gespart werde, könnten die auf Hilfen angewiesenen Bürger nicht mehr darauf vertrauen, „dass ihre Schuldnerberatung im kommenden Jahr noch ansprechbar ist, dass die Jugendhilfe im Notfall unterstützt, dass die Wohnungslosenunterkunft noch Obdach und Vermittlung in ein geregeltes Leben bietet“.

Ein erheblicher Einschnitt in das Berliner Sozialsystem.

Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Berlin

Die Verbände verweisen auch darauf, dass die Vergütung für ihre Mitarbeiter 2024 im Schnitt zehn Prozent steigen dürfte – ohne Refinanzierung des Landes. Dies werde dazu führen, dass sie auch zehn Prozent weniger leisten könnten. „Ein erheblicher Einschnitt in das Berliner Sozialsystem“, konstatieren sie.

Die Liga der Wohlfahrtsverbände bekräftigt ihre Forderung nach gleicher Bezahlung für die Mitarbeiter der Freien Träger wie staatliche Beschäftige im sozialen Bereich. Sie fordern eine Gleichbehandlung und „ein zusätzliches, unbürokratisches Budget für Zuwendungen“ im neuen Haushalt.

Neukölln stellt Wachschutz an Schulen und Tagesreinigung ein

Die Verbände reagierten damit auf eine Meldung des Bezirks Neukölln, wegen der bislang vorgesehenen Einsparungen im Landeshaushalt etliche soziale Angebote reduzieren oder ganz streichen zu müssen. Das Bezirksamt Neukölln hatte dazu am Dienstag einen Eckwertebeschluss für den Haushalt gefasst. Demnach fehlen dem Bezirk durch die aktuell geplante Zuweisung des Senats für die Haushaltsjahre 2024/25 „pro Jahr 22,8 Millionen Euro, um den Status Quo zu erhalten“.

Um die notwendigen Gelder einzusparen, hat das Bezirksamt unter anderem beschlossen, in den Jahren 2024/2025 den Wachschutz an zwölf Neuköllner Schulen und die Tagesreinigung aller Schulen einzustellen. Zudem soll die Obdachlosenhilfe reduziert und die Suchthilfe ganz eingestellt werden.

Auch alle Wasserspielplätze im Bezirk sollen in den kommenden beiden Jahren geschlossen bleiben und defekte Spielgeräte auf Spielplätzen nicht mehr erneuert werden. Drei Jugendfreizeit- beziehungsweise Familieneinrichtungen müssten demnach nach der aktuellen Planung geschlossen werden, auch Jugendreisen für bedürftige Kinder und Jugendliche können nicht mehr finanziert werden. Außerdem soll in den Parks und Grünanlagen die Müllentsorgung halbiert werden.

Von den Kürzungen seien daher vor allem jene Menschen betroffen, die ohnehin zu den Schwächsten der Gesellschaft zählten und auf staatliche Leistungen angewiesen seien, erklärte der Bezirk.

Auch andere Bezirke erklärten, vergleichbar auf die Haushaltskürzungen reagieren zu müssen. „Ähnlich dem Bezirk Neukölln“ seien „alle sozialen Angebote“ betroffen: Stadtteilkoordination, Suchthilfe, Straßensozialarbeit, Angebote für Obdachlose, Jugendangebote, Reinigung der Parks, Spielplätze und mehr.

Auch Treptow-Köpenick fehlen 20 Millionen Euro

Auch aus Charlottenburg-Wilmersdorf heißt es, dass die Situation mit der in Neukölln vergleichbar sei. „Ohne massive Kürzungen im Bereich der freiwilligen sozialen Leistungen und beim Personal“ könne „ein ausgeglichener Haushalt nicht realisiert werden“.

Dem Bezirk Treptow-Köpenick fehlten laut Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) ebenfalls 20 Millionen Euro. Er sieht „finanziell stürmische Zeiten auf die Bezirke zukommen“. Ein „richtig, richtig großes Problem für ganz Berlin“ sieht Tempelhof-Schönebergs Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne). „Auch wir in Tempelhof-Schöneberg werden gehalten sein, beim Personal und bei den freiwilligen sozialen Ausgaben zu kürzen.“ Außerdem „werden alle Bezirke darüber nachdenken müssen, Einrichtungen zu schließen“, sagte er dem Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint.

Bezirksbürgermeister Oltmann: Es fehlen 250 Millionen Euro

Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte Oltmann am Donnerstag: „Wir reden über eine strukturelle Unterfinanzierung von 250 Millionen Euro.“ Es müsse eine entsprechende Erhöhung ohne Zweckbindung für alle Bezirke geben. „Die Bezirke sind strukturell unterfinanziert. Sie sind nicht in der Lage, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ihre gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen.“

Das Problem sei, dass die strukturelle Unterfinanzierung sich in den Berliner Bezirken sehr unterschiedlich auswirken werde. „Der eine wird gehalten sein, Jugendfreizeiteinrichtungen zu schließen, der andere Bürgerämter“, sagte Oltmann. „Aber jedes Mal wird es darum gehen, die Funktionsfähigkeit des Landes Berlin insgesamt infrage zu stellen“, warnte er. „Ich weiß nicht, wie der Senat seine eigenen Ziele in Sachen Digitalisierung oder Termine beim Bürgeramt in 14 Tagen erreichen will, wenn er die strukturelle Unterfinanzierung nicht angeht.“

Auch der Spandauer Bezirksbürgermeister Frank Bewig (CDU) kritisierte die finanzielle Ausstattung der Bezirke durch das Land. „Aus meiner Sicht bedarf es dringend einer Nachsteuerung durch den Berliner Senat und damit einer Erhöhung der Zuweisungen.“

In ihrem Brandbrief an Finanzsenator Stefan Evers und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (beide CDU) hatten die Bezirke in der vergangenen Woche vor den Folgen der Sparpolitik gewarnt. Derzeit arbeitet die schwarz-rote Koalition an der Aufstellung des neuen Doppelhaushalts für die Jahre 2024/25.

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