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Das Warenhaus von Hermann Tietz in der Leipziger Straße in Berlin auf einer zeitgenössischen Postkarte.

© imago/Arkivi

Lieferdienst vor über 100 Jahren: Wie Tietzens Kaufhaus die Berliner begeisterte

Anfang des 20. Jahrhunderts standen Warenhäuser für einen modernen Lebensstil. Ein findiger Unternehmer erfand das Einkaufen neu.

Eine Kolumne von Beata Gontarczyk-Krampe

Heutzutage kriseln sie, doch einst standen Berliner Kaufhäuser für Modernität und Kauflust. Namen wie Tietz, Wertheim oder Karstadt sind auch für immer mit einer besonderen Form der Stadtarchitektur verbunden: dem „Kauftempel”. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, war es wichtig, als Marke erkannt zu werden. Jede Firma suchte einen eigenen Stil.

Als am 26. September 1900 der erste Berliner Tietz ein Warenhaus in der Leipziger Straße 46-49 eröffnete, war die Beunruhigung groß am anderen Ende der Straße, am Leipziger Platz. Da saß nämlich die Firma Wertheim im damals größten, von Wertheims Hofarchitekten Alfred Messel entworfenen, Kaufhaus Europas.

Lieferung in wenigen Minuten

Der neue Kauftempel von Oskar Tietz stellte eine geschäftliche Bedrohung dar. Schlimmer noch: Während Messels Gebäude fast schlicht wirkten, baute Tietz einen regelrechten Kaufpalast nach dem amerikanischen Muster.

Während die Kunden nur mit den Verkäuferinnen zu tun hatten, die sie bedienten, kümmerten sich die Damen an den 150 erhöhten Ständen um Verpackung und Kontrolle. Der Kunde musste den Platz, an dem er die Ware sich ausgesucht hat, gar nicht verlassen. Die gekauften Sachen wurden dann binnen 15 Minuten durch die „Expedition“ nach Hause geliefert und waren bereits dort, wenn der Kunde nach Hause kam.

Dafür waren 20 große Automobile und „eine Unzahl von Radfahrern“ (so das „Berliner Tageblatt“) zuständig. Das Warenhaus in der Leipziger Straße verfügte auch über ein zugängliches „Eishaus“: Fleisch, wie Geflügel oder Wild, konnte dort „konserviert“ und als Tiefkühlware verkauft werden.

Auch Kunst gab es im Kaufhaus

Die Sodafontäne im „Eishaus“ bat zum niedrigen Preis 20 verschiedene Sorten Eis. Überhaupt waren „Konserven“, also haltbare Lebensmittel, ein großes Thema für Oscar Tietz. Frische Ware hatte für ihn zwei große Nachteile: sie benötigte sehr kurze Lieferzeiten und war stark von der Qualität der Ernte abhängig. Viele deutsche Hersteller hatten Probleme mit beiden.

Die „Konserven“ waren die Lösung. Aber nicht nur um die Wampen der Berliner wollte sich der Herr Tietz kümmern: Im Erdgeschoss und auf zwei Emporen seines wunderschönen, vom Lachmann & Zauber entworfenen Warenhauses (mit 26 Meter breiten und 17 Meter hohen Fenstern), gab es auch Kunst zu kaufen, Werke von jungen Münchener Künstlern. Jedoch nicht nur mit Tiefkühlware und Bronzen belieferte Oscar Tietz unter die Berliner. Die ersten Tomaten der Saison konnten sie beim „Tietzen“ kaufen. Die waren frisch.

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