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1502 Berufsausbildungsstellen konnten in Berlin nicht besetzt werden. Viele Unternehmen beklagen laut IHK mangelnde Grundkompetenzen der Bewerber.

© Foto: dpa/Patrick Pleul

Viele freie Stellen, viele erfolglose Bewerber: Wo es krankt auf dem Berliner Ausbildungsmarkt

Die Zahlen der Arbeitsagentur für das Jahr 2021/22 befeuern den Streit um die vom Senat geplante Arbeitsplatzumlage. Unternehmensvertreter kritisieren das Instrument.

Berliner Betriebe und Ausbildungsplatzsuchende finden in vielen Fällen immer noch nicht zusammen. Im Ausbildungsjahr 2021/22 konnten bis Ende September 1502 Berufsausbildungsstellen nicht besetzen werden, 390 mehr als im Jahr zuvor. Gleichzeitig fanden 3135 Bewerberinnen und Bewerber keinen Ausbildungsplatz. Und das sind nur die Zahlen von Stellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet waren. Tatsächlich dürften also noch deutlich mehr Plätze unbesetzt geblieben sein. Dass man diese Lücke nicht schließen konnte, sei eine „schmerzliche Botschaft“, sagte Ramona Schröder, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der BA, bei der Vorstellung der Ausbildungsmarktbilanz am Donnerstag.

Als positives Zeichen wertet Schröder, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze in den vergangenen Jahren wieder zugenommen hat, insgesamt boten die Betriebe 2021/22 rund 15.000 Stellen an. Das Vor-Pandemie-Niveau von 16.000 Stellen wurde damit jedoch noch nicht erreicht.

Über die Problembeschreibung sind sich Gewerkschaften, Unternehmensverbände und die Politik größtenteils einig. Über die Ursachen und dementsprechend auch über den Lösungsweg herrscht dagegen „kompletter Dissens“, wie es unter anderem der Vizepräsident Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, Stefan Spieker ausdrückte. Dieser entzündet vor allem an einem Instrument: der sogenannten Ausbildungsplatzumlage.

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und Linke darauf geeinigt, „eine zweckgebundene Ausbildungsplatzabgabe zeitnah entwickeln“ zu wollen. Kern der Idee ist, dass Betriebe, die keine Fachkräfte anlernen, eine Abgabe zahlen müssen. Das Geld soll an jene Betriebe fließen, die Menschen ausbilden.

Senatsarbeitsverwaltung will „Anreizsystem“ für Unternehmen einführen

Die federführende Senatsarbeitsverwaltung unter Senatorin Katja Kipping (Die Linke) sieht die Zahlen des aktuellen Ausbildungsjahres als Bestätigung für die Notwendigkeit der Ausbildungsplatzumlage. „Selbst wenn wir alle Passungsprobleme lösen würden, bleiben am Ende Bewerber übrig“, sagte der Staatssekretär für Arbeit, Alexander Fischer. Er verwies darauf, dass die Zahl der unbelegten Ausbildungsplätze steigt und der relative Anteil auszubildender Unternehmen in Berlin unter dem Bundesdurchschnitt liege.

Eine Lösung sieht Fischer in einer „guten Berufsorientierung“, aber eben auch in einem „Anreizsystem“ für die Betriebe, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Dies werde für eine solidarische Verteilung der Ausbildungskosten sorgen. Eckpunkte einer solchen Ausbildungsplatzumlage wolle die Senatsarbeitsverwaltung bis Ende des Jahres vorlegen. Dass das Land dazu die Gesetzgebungskompetenz habe, hat sich die Verwaltung kürzlich in einem Rechtsgutachten bestätigen lassen.

IHK beklagt mangelnde Qualifikation der Bewerber

Deutlichen Widerspruch gegen diese Idee äußerten Berliner Unternehmensvertreter. IHK-Vize Spieker verwies darauf, dass es sehr wohl eine hohe Ausbildungsbereitschaft bei den Betrieben gebe. Allerdings stünden diese aufgrund der Pandemie seit zweieinhalb Jahren unter einer Dauerbelastung.

Viele Betriebe, die ausbilden wollen, würden eine mangelnde Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber kritisieren, vor allem hinsichtlich mathematischer und sprachlicher Grundkompetenzen. „Wir hören von 40 Prozent, dass sie mehr ausbilden würden, wenn die Ausbildungsfähigkeit besser gegeben wäre“, sagte Spieker. 25 Prozent der Bewerber, die einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben, würden den Platz am Ende nicht antreten. Auch die Abbrecher-Quote ist hoch. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) liegt sie bei rund 35 Prozent.

Unterstützung erhielt Spieker von Jürgen Wittke, dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin. Zu den Hauptgründen, warum ein Betrieb keine Menschen ausbildet, gehöre, dass sie keine geeigneten Bewerber finden würden. Dazu käme, dass viele Betriebe schlicht zu klein seien, um selbst auszubilden, oder die wirtschaftliche Perspektive zu unsicher sei.

Die Berliner FDP wandte sich am Donnerstag mit einem offenen Brief an Arbeitssenatorin Kipping. Eine Ausbildungsplatzumlage werde „vielen Unternehmen die Luft zum Atmen nehmen und gleichzeitig keinen einzigen jungen Menschen zusätzlich dazu motivieren, sich für eine berufliche Ausbildung zu entscheiden“, schreiben die arbeitspolitische Sprecherin Maren Jasper-Winter und Fraktionschef Sebastian Czaja.

Einig waren sich alle Akteure darüber, dass es eine bessere Berufsorientierung braucht – sei es an Schulen, sei es in den Betrieben selbst. Spieker kündigte unter anderem eine Vergabeplattform für Praktika an. Auch über neue Wege, über „TikTok und Co.“ müsse man nachdenken, um an die Menschen heranzukommen.

Ramona Schröder wies schließlich noch auf eine andere Möglichkeit hin. In Brandenburg übersteige die Anzahl der freien Stellen die Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber. Eine bessere Zusammenarbeit im Wirtschaftsraum Berlin-Brandenburg könnte also am Ende für beide Bundesländer von Vorteil sein.

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