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Szene aus der RBB-Doku „Charité intensiv: Station 43“ in der Coronakrise

© picture alliance/dpa/DOCDAYS/rbb

Update

CDU appelliert an Berlins Gesundheitssenatorin: „Erwachsenen-Intensivstationen müssen für Kinder umgerüstet werden“

Atemwegsinfektion wie RSV belasten das Gesundheitswesen massiv. Berlins CDU fordert von Senatorin Gote, eine Task Force für Kindermedizin einzusetzen.

Kaum noch freie Betten in den Kinderkliniken, steigende Infektionszahlen und verunsicherte Eltern – auch in Berlin spitzt sich wie bundesweit die Lage zu. Über die Lage in der Kindermedizin wird am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus gesprochen. Die CDU fordert Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) auf, angesichts der Hilferufe aus Praxen und Krankenhäusern eine Task Force einzurichten.

„Kinderärzte rufen seit Wochen nach Hilfe, durch das für Kleinstkinder gefährliche Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV, könnte auch in Berlin eine dramatische Lage entstehen“, sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, Christian Gräff (CDU).

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) sprach zuletzt von einer „katastrophalen Lage“ auf den Kinder-Intensivstationen. In Berlin sind alle neun Kinderkliniken derzeit stark belastet. „Auch wir haben aktuell kein Bett frei, das offiziell belegt werden kann“, sagte Hermann Girschick, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, auf Anfrage.

Schon mehrfach seien zuletzt tageweise alle verfügbaren Krankenhausbetten für Kinder in der Stadt belegt gewesen. Manche Kliniken, wie auch das St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof, müssen Kinder deshalb in ihren Rettungsstellen übernachten lassen, die eigentlich nicht dafür ausgelegt sind. Das Personal, das dort arbeitet, ist dann doppelt beansprucht. Ohnehin klagen die Kliniken über hohe Krankenstände bei Medizinern und Pflegekräften.

Zunehmend müssen Kinder ins Umland verlegt werden. Das Klinikum Westbrandenburg am Standort Brandenburg an der Havel nahm nach Auskunft des dortigen Chefarztes Hans Kössel zehn bis 15 Patienten aus Berliner Kliniken auf. Die Krankenhäuser in der Hauptstadt seien offenbar zu sehr „auf Kante genäht“ und hätten keine Reserven eingeplant, sagte er der Deutschen Presseagentur.

„Von der Gesundheitssenatorin erwarten wir, eine Task Force einzusetzen. Erstens, um einen Überblick über die Kapazitäten zu schaffen, in denen Kinder noch versorgt werden können“, sagte der CDU-Politiker Gräf. „Zweitens, um dafür zu sorgen, dass Erwachsenen-Intensivstationen für Kinder umgerüstet werden. Drittens, um darüber hinaus einen Notfallplan zu erarbeiten.“

Die Charité als Level-I-Klinik versorgt die schwersten Fälle

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte erstmals im Mai dieses Jahres angekündigt, die Fallpauschalen für Kinderkliniken abzuschaffen. Passiert, sagte Gräff, sei bislang wenig. Berlins rot-grün-rote Koalition müsse den Bund unter Druck setzen.

Hintergrund ist, dass die Kliniken von den Krankenkassen pro Diagnose eine Pauschale erhalten. Es gibt Eingriffe, von denen die Krankenhausleiter wissen, dass sie mehr kosten, als die Versicherungen zahlen. Kinderkliniken sind personalintensiv, weshalb die Pauschalen dafür als besonders knapp gelten.

Angesichts derzeit massenhafter Virusinfektionen von Säuglingen kündigte die Charité an, ein regionales Netzwerk für Kindermedizin einzurichten. Vergleichbar sei das Vorgehen mit dem in der Hochphase der Corona-Pandemie, als die Intensivstationen in Berlin drei „Levels“ zugeteilt wurden.

Unsere Stationen, einschließlich der Intensivstation, sind seit mehreren Wochen stark belegt.

Die Charité in einer Mitteilung

Als Level I behandelte die Universitätsklinik die schwersten Fälle. Für Level II zuständig waren 16 Kliniken, darunter die ebenfalls landeseigenen Vivantes-Häuser, die ebenfalls schwere Covid-19-Patienten versorgten. Level-III-Kliniken kümmerten sich um Intensivfälle, die nicht mit Sars-Cov-2 infiziert waren.

Den Plan unterstütze die Gesundheitsverwaltung, teilte die Charité mit. Aus Ärztekreisen ist allerdings auch zu hören, aus den Kliniken habe erst Druck auf den Senat gemacht werden müssen – auch deshalb möchte Gräff im Gesundheitsausschuss nachfragen.

An RS-Viren kann man in jedem Alter erkranken, Kinder sind besonders gefährdet

Insbesondere die Anzahl der erkrankten Kleinkinder steige, teilte Charité mit: „Unsere Stationen, einschließlich der Intensivstation, sind seit mehreren Wochen stark belegt.“ Immer häufiger müssten planbare Behandlungen abgesagt werden, wie in der Coronakrise. In Einzelfällen müssten Kinder wegen der Platznot gar in Brandenburger Kliniken verlegt werden.

Zu dem Vorschlag, Erwachsenen-Intensivstationen für Kinder umzurüsten, sagte Beatrix Schmidt, Delegierte vom Verband Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD), dass dies keine Lösung der aktuellen Probleme sei. Kinder, die momentan wegen Atemwegserkrankungen auf Intensivstationen behandelt werden müssten, seien meist Säuglinge oder Kleinkinder.

„Dafür braucht es speziell ausgebildete Kinderintensivpflegekräfte. Das kann man nicht von heute auf morgen lernen“, sagte Schmidt. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Es ist ein Unterschied, ob eine Pflegekraft einen 80-Jährigen oder ein Neugeborenes überwachen und versorgen muss.“ Dass in Berlin so gut wie keine Kinderkrankenpflegekräfte ausgebildet werden und es an einer Spezialisierung fehlt, darauf hatte der VLKKD vermehrt hingewiesen.

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zu drohenden Versorgungsengpässen bei der Kinder- und Jugendgesundheit hatten drei Kinderärzteverbände seit Jahresbeginn auf die bevorstehenden Probleme aufmerksam gemacht, die sich von Jahr zu Jahr im Winter zuspitzen, darunter die Berliner Gesellschaft für Pädiatrie (BGKJ), der Berufsverband der Kinderärzte (BVKJ) und der Verband der leitenden Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (VLKKD). Von der Politik gab es nach Auskunft der Verbandsvertreter bisher weder eine Reaktion noch Lösungsvorschläge. Auch das Respiratorische Synzytial-Virus ist kein neues Phänomen, sondern ein seit Jahrzehnten zirkulierender Erkältungsvirus-Typ.

An RSV kann man in jedem Alter erkranken, vor allem für Kleinkinder ist der Erreger gefährlich. Er kann einfache Atemwegsinfektion hervorrufen, aber auch schwere, mitunter lebensbedrohliche Verläufe sind möglich.

Der Höhepunkt der aktuellen Welle von Atemwegsinfektionen sei noch nicht erreicht, teilte der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte mit, er rechne mit einem Anstieg. Die RSV-Welle baue sich noch auf und mache bei vielen Kindern eine aufwendige Behandlung mit Atemunterstützung nötig, teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mit. Dafür reichten die Kinderintensivbetten nicht, wofür vor allem der Personalmangel verantwortlich sei.

Belegbare, also einsatzbereite Behandlungsplätze sind von den verfügbaren Pflegekräften abhängig. Bundesweit fehlen insbesondere Pflegekräfte mit Zusatzqualifikationen. Der Mangel dürfte sich krankheitsbedingt in diesen Wochen verschärfen.

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