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Demonstranten stehen mit einem Banner „Rechten Terror stoppen“ vor dem Gebäude des Kriminalgerichts Moabit.

© dpa/Christian Ender

Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: „Es sind viele taktische Fehler begangen worden“

Beim Ausschuss zum Neukölln-Komplex wurden Führungskräfte der Polizei angehört. Der Staatsschutzchef wies auf Versäumnisse seiner Behörde hin.

Wenn die Polizei erfahre, dass jemand von Neonazis ausgespäht werde, und man, zumindest bis auf drei potenzielle Betroffene, den Fall eingrenzen könne – „da hätte aus meiner Sicht etwas passieren müssen“, sagt André Rauhut, Staatsschutzchef beim Berliner Landeskriminalamt. In den Ermittlungen zur rechten Anschlagsserie in Neukölln seien „viele taktische Fehler begangen worden“.

Am Freitag wurde Rauhut im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses angehört, der sich mit Ermittlungspannen rund um die rechte Anschlagsserie in Neukölln beschäftigt. In dem Ausschuss wurden bislang Betroffene, Ermittler und Expertinnen befragt, die mit der Anschlagsserie befasst waren. Dieser Serie werden 72 rechte Straftaten seit 2013 zugerechnet, darunter 23 Brandanschläge.

Der Polizei sei nachweislich bekannt gewesen, dass der Linken-Politiker Ferat Koçak sich gegen Rechts engagierte, sagte Rauhut. Am 31. Januar 2018 schickte der damalige Ermittlungsleiter eine entsprechende Mail an eine Auswerteeinheit und fragte darin, ob diese mehr Informationen zu diesem Engagement hätten. Noch in derselben Nacht begingen mutmaßliche Neonazis einen Brandanschlag auf Koçaks Auto. Der Fall gilt als trauriger Höhepunkt der Anschlagsserie – und dass die Behörden in seinem Fall nicht früher aktiv wurden, als eines der größten Versäumnisse.

Straftaten, die dadurch begangen werden, dass man nur schnell einen Grillanzünder auf einen Reifen legen muss in der Nacht, sind von Hause aus schwer aufzuklären.

Staatsschutzchef André Rauhut

Im Ausschuss zählte Rauhut verschiedene strategische und taktische Fehler auf, die aus seiner Sicht bei den Ermittlungen geschehen seien. „Die Opferbetreuung war sehr schlecht organisiert, es gab keine konsistenten festen Ansprechpartner beim Staatsschutz“, sagte Rauhut.

Er kritisierte die Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz. Zudem seien Daten teils nicht rechtzeitig oder ausreichend ausgewertet worden und keine „zeit- und anlassgerechten präventiven Maßnahmen“ ergriffen worden. Auch damit spielte er auf den Fall Koçak an.

Auf den Linken-Politiker Ferat Koçak wurde 2018 ein Brandanschlag verübt.
Auf den Linken-Politiker Ferat Koçak wurde 2018 ein Brandanschlag verübt.

© IMAGO/Reto Klar

Zur Frage, warum die Ermittlungsarbeiten nie zu Verurteilungen vor Gericht geführt haben, sagte Rauhut: „Straftaten, die dadurch begangen werden, dass man nur schnell einen Grillanzünder auf einen Reifen legen muss in der Nacht, sind von Hause aus schwer aufzuklären.“ Es habe zwar diverse Pannen gegeben. Dass diese allerdings den Ermittlungserfolg beeinflusst hätten, glaubt er nicht.

Rauhaut sprach auch über die enorme Arbeitsbelastung beim Staatsschutz. Die zum Zeitpunkt des Anschlags auf Koçak zuständige Dezernatsleiterin sei an dem Druck, der Belastung und auch der Erkenntnis, womöglich einen Fehler begangenen zu haben, schlicht zerbrochen. „Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst“, sagte Rauhut. Die Beamtin hätte schließlich frühpensioniert werden müssen.

Auffliegen des NSU beeinflusste Berliner Polizeiarbeit

Vor Rauhut war bereits Jörg Dessin angehört worden. Dessin war Stabsleiter und später kommissarischer Leiter des Landeskriminalamtes. Seit 2023 leitet er die Landespolizeidirektion. Er sprach über den Effekt, den das Auffliegen der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Ende 2011 auch auf die Berliner Polizei hatte.

Damals habe man innerhalb der Behörde geprüft, wie man mit rechten Straftaten innerhalb der Stadt künftig umgehen und eine ähnliche Anschlagsserie verhindern wolle. Eine Konsequenz war unter anderem, dass innerhalb der Polizei eine „Gesamtstrategie Rechts“ entwickelt wurde, die 2014 implementiert wurde. An dieser Strategie war Dessin federführend beteiligt.

Sie können nicht jede Sachbeschädigung wie ein Tötungsdelikt bearbeiten.

Jörg Dessin, früherer kommissarischer Leiter des Landeskriminalamtes

„Das ist ja der Kernpunkt: Es gab eine Gesamtstrategie, die zumindest, was unsere Anschlagsserie betrifft, offensichtlich nicht erfolgreich war“, hielt ihm der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß vor. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Verordnete André Schulze: Es habe von Seiten der Betroffenen der Anschläge immer wieder Hinweise etwa auf schlampige Tatortarbeit, fehlende Kommunikation und intransparente Zuständigkeiten gegeben. Wie passe das zu der Gesamtstrategie?

Dessin entgegnete: „Bis Sie jeden Mitarbeitenden in einem Funkwagen erreichen, ist das ein sehr langer Prozess.“ Fehler im Umgang mit den Betroffenen sah er als Parallele zu Aufklärungspannen rund um den NSU. Dessin betonte aber auch: „Sie können nicht jede Sachbeschädigung wie ein Tötungsdelikt bearbeiten.“ Das zentrale Problem im Neukölln-Komplex sei aus seiner Sicht der fehlerhafte Informationsaustausch zwischen den Behörden gewesen. In dem Bereich habe es aber deutliche Anpassungen und Verbesserungen gegeben.

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