zum Hauptinhalt
Originelle Ratgebervideos auf TikTok: Vorsicht vor der Weißlichtmilbe!

© Montage: Tagesspiegel / Sabine Wilms/freepik, Getty Images/Science Photo Library RF

Virale Ratgebervideos auf TikTok: Vorsicht vor der Weißlichtmilbe!?

Immer mehr Nutzer warnen im Netz vor Ungeziefer an der Zimmerdecke und geben Tipps zur Bekämpfung. Lebensbedrohlich sind Weißlichtmilben zum Glück nicht.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Millionen Bundesbürger haben das Risiko bislang offenbar unterschätzt. Weil sie nicht regelmäßig die Zimmerdecken ihrer Wohnungen mit dem Staubsauger reinigen, können sich dort ungehindert Weißlichtmilben ansiedeln und vermehren. Mittlerweile sind zahllose deutsche Immobilien befallen. Manche Decken dürften von regelrechten Kolonien bevölkert sein, ohne dass die betroffenen Mieter dies auch nur ahnen.

Seit vergangener Woche klären immer mehr Nutzer der Plattform TikTok über diese Gefahr auf. In kurzen Videos versuchen sie, Problembewusstsein zu schaffen und konkrete Anleitungen zur Selbsthilfe zu geben. Die Faustformel dabei lautet: Mindestens einmal pro Monat gründlich die Zimmerdecke absaugen, dann können die Weißlichtmilben keinen größeren Schaden anrichten.

Die konkreten Auswirkungen des Befalls lassen sich allerdings nicht mit menschlichem Auge erkennen – denn die Weißlichtmilbe existiert lediglich in der Fantasie.

„Umzug wegen Weißlichtmilbenbefall“?

Ausgedacht hat sie sich der 23-jährige Statistik-Student Levi Penell aus Berlin. Das erste Video, in dem er sie erwähnt, veröffentlichte er am Donnerstag vor Ostern. Seither wächst die Anzahl der Menschen, die vor Weißlichtmilben warnen und Saugtipps geben, etwa genauso rasant wie die Zahl derer, die sich im Netz über die Spezies informieren wollen. 

Die Erzählung von der Weißlichtmilbe ist von TikTok mittlerweile in andere Netzwerke übergeschwappt, Nutzer diskutieren Allergierisiken und oder raten gar zum „Umzug wegen Weißlichtmilbenbefall“. Sie geben auch Tipps zur Deckengestaltung, um das Eierlegen der Tiere zu verhindern. Nicht immer ist dabei klar ersichtlich, wer die Jux-Geschichte bloß weiterspinnen möchte und wer auf sie hereingefallen ist.

Gründlich die Decke saugen! Milbenvideo auf TikTok.

© Tictoc/Unger

Seine Fantasiekreatur sei ihm spontan eingefallen, sagt Levi Penell am Telefon. Er habe sich zunächst über sich selbst gewundert, weil er auch drei Jahre nach dem Auszug aus seinem Elternhaus nicht wirklich wisse, wie oft er welche Bereiche und Gegenstände der eigenen Wohnung säubern müsse. Zum Beispiel die Waschmaschine – die habe er noch nie gereinigt, wäre das nicht längst an der Zeit gewesen?

„Dann kam ich darauf, dass viele dieser Regeln am Ende wohl willkürlich sind. Und dass ich sicher selbst eine in die Welt setzen könnte.“ Zum Beispiel eben: Achtung, regelmäßig die Zimmerdecke saugen!

In Penells Ursprungsvideo war noch offensichtlich, dass er sich die Weißlichtmilbe ausgedacht hat. Dieser Kontext ging jedoch verloren, weil ein anderer Nutzer lediglich einen kleinen Ausschnitt dieses Videos nahm und diesen selbst veröffentlichte. Die verkürzte Version verbreitete sich viermal so schnell wie das Original, hatte nach zwei Tagen bereits eine Million Aufrufe.

Moderatoren verhindern einen Wikipedia-Eintrag

Inzwischen wird das Problem bei gutefrage.net diskutiert. Auf Instagram rätseln Menschen, ob mehrtägige Dunkelheit den Tieren schade und ob ihre Anwesenheit an der Zimmerdecke die Symptome von ADHS-Erkrankten beeinflusse. Immerhin: Eine Reihe von Versuchen verschiedener Nutzer, der Weißlichtmilbe einen Wikipedia-Eintrag zu sichern, scheiterte an aufmerksamen Moderatoren, die die entsprechenden Einträge gleich wieder löschten.

Die schlimmste Konsequenz wäre, dass es in Deutschland jetzt viele saubere Zimmerdecken gibt.

Levi Penell, Erfinder der Weißlichtmilbe

Dank des reichlichen Feedbacks habe er viel über tatsächlich existierende Milbenarten gelernt, sagt Levi Penell. Etwa dass sie normale Begleiter im Alltag jedes Menschen sind, sowohl in dessen Bett hausen als auch sein Gesicht bevölkern. Dass sie aber komplett ungefährlich sind und auch keine Krankheiten übertragen. Nur Allergiker haben Pech.

Wie gern würde er behaupten, dass er den Mythos der Weißlichtmilbe aus netzpädagogischen Gründen in die Welt gesetzt habe, sagt Penell dann noch. Um der Welt in einem Experiment zu demonstrieren, wie leicht sich Fake News verbreiten und welchen Anteil die mächtigen Algorithmen daran haben. „Aber tatsächlich hatte ich vor allem eine Menge Spaß.“ Immerhin handle es sich insgesamt um einen harmlosen Scherz. „Die schlimmste Konsequenz wäre, dass es in Deutschland jetzt viele saubere Zimmerdecken gibt.“

Erstaunliche Erkenntnis: In den Gruppen der Verschwörungsideologen auf Telegram ist die Weißlichtmilbe bis jetzt nicht angekommen. Ich werde dort in vier Wochen noch einmal nachschauen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false