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Auf dem Schirm – Roger Waters

© Gestaltung: Tagesspiegel; Fotos: Getty Images/iStockphoto, IMAGO / PA Images

Update

Geschöntes Interview der „Berliner Zeitung“: Die verheimlichten Entgleisungen des Roger Waters

In einem Interview stellte Pink-Floyd-Mitgründer Roger Waters das Existenzrecht Israels infrage, verglich es mit Nazi-Deutschland. Gedruckt wurde eine viel harmlosere Version. Wieso?

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Zu den prominentesten Figuren, die seit Jahren gegen Israel hetzen, zählt der Pink-Floyd-Mitgründer und BDS-Aktivist Roger Waters. Umso erstaunter war ich, als im Februar vergangenen Jahres ein ausführliches Interview mit ihm in der „Berliner Zeitung“ erschien – und Waters sich dort verblüffend moderat, für seine Verhältnisse fast diplomatisch äußerte. Hatte der Mann etwa einen guten Tag gehabt? Oder war er halbwegs zur Vernunft gekommen?

Wie sich jetzt herausstellt: keines von beidem. Dass der Musiker in dem Interview so harmlos wirkt, liegt lediglich daran, dass die „Berliner Zeitung“ die entscheidenden Passagen vor Veröffentlichung herausgestrichen und ihren Lesern so einen völlig anderen Eindruck vermittelt hat.

In Wahrheit stellte Waters in dem Gespräch Israels Existenzrecht infrage und verglich den jüdischen Staat mit Nazi-Deutschland. Waters warf Israel auch Faschismus vor.

Dies ist versehentlich herausgekommen, weil der Musiker das komplette Interview, das ihm die „Berliner Zeitung“ vorgelegt hatte, vom Deutschen ins Englische rückübersetzt und dann seinerseits auf der eigenen Homepage veröffentlicht hat.

Wer diese Version mit jener vergleicht, die von der „Berliner Zeitung“ letztlich publiziert wurde, wird stutzig. Sie sind praktisch identisch – mit der Ausnahme, dass die Zeitung chirurgisch sämtliche Stellen herausstrich, in denen Waters’ radikale Haltung gegenüber Israel deutlich wird.

Ein extrem ungewöhnlicher Vorgang

Grundsätzlich sind Kürzungen von Interviews nichts Außergewöhnliches. Redakteure streichen langweilige, irrelevante Passagen heraus, auch Dopplungen. Im Prinzip immer das, was am ehesten verzichtbar ist.

Genau dies ist hier aber nicht geschehen. Im Gegenteil: Die Redakteure haben gezielt Kernaussagen, also besonders relevante Stellen, gestrichen und so für ihre Leser ein Bild gezeichnet, das dem eigentlichen Gespräch nicht entspricht. Es sind jene Stellen, in denen sich Waters selbst als fanatischer Israelhasser entlarvt.

Das ist, als würde man ein Interview mit einem AfD-Funktionär führen und vor Veröffentlichung dessen Ausführungen zu geplanten Massendeportationen streichen, sodass der Rechtsradikale am Ende lediglich über Heimatverbundenheit und Naturschutz spricht. Es widerspricht jeder journalistischen Logik. Und es täuscht dem Leser Harmlosigkeit vor.

Die Journalisten gingen bei ihrer Schönfärbung gründlich vor. Mal strichen sie eine komplette Antwort und schlugen die Frage der darauffolgenden Antwort zu. Mal kürzten sie innerhalb einer Antwort so, dass dadurch unklar wird, was Waters eigentlich meint. In der gedruckten Version freut sich Waters etwa darüber, dass in Deutschland heute viele Menschen offen für eine „andere Sichtweise“ seien. Dass er damit die Bereitschaft meint, dem jüdischen Staat Apartheid und Genozide zu unterstellen, erfährt der Leser nicht.

Peinliche Vorfälle in Serie

Nun lässt sich über den Zustand der „Berliner Zeitung“ ohnehin nicht viel Positives sagen. Seit sie 2019 von dem Unternehmerpaar Holger und Silke Friedrich aufgekauft wurde, gab es reihenweise Peinlichkeiten, von denen viele wahrscheinlich nur deshalb wieder in Vergessenheit gerieten, weil sie von weiteren Peinlichkeiten abgelöst wurden.

Da war zum Beispiel der bizarre, überlange Essay der beiden Friedrichs, der in Medienkreisen zu Belustigung, Fremdscham und journalistischen Einordnungen mit Titeln wie „Die fünf dämlichsten Sätze aus dem komplett bekloppten Manifest von Holger und Silke Friedrich“ führte. Da war die Lobpreisung eines deutschen Biotech-Unternehmens auf der Titelseite der „Berliner Zeitung“, die allerdings nicht erwähnte, dass Holger Friedrich in dessen Aufsichtsrat saß. Dieser schwere Verstoß gegen den Pressekodex brachte der Zeitung eine Rüge des Presserats ein.

Da war die Feier in der russischen Botschaft, an der Holger Friedrich, kurz nach Russlands Invasion in der Ukraine, neben AfD-Politikern, Gerhard Schröder und weiteren deutschen Putin-Freunden teilnahm. Da war die verstörende Danksagung an Egon Krenz. Mal druckte die Zeitung aus Versehen interne Anweisungen für einen Text ihres Verlegers („Unterzeile wäre: ...“). Mal biederte sich Friedrich beim Verschwörungsgläubigen Diether Dehm an und fiel dabei einem eigenen Autor massiv in den Rücken.

Auch kam heraus, dass Holger Friedrich als IM „Bernstein“ für die Stasi gearbeitet und dies jahrzehntelang verschwiegen hat.

Das schöngefärbte Interview mit Roger Waters hat nun ausgerechnet Tomasz Kurianowicz mitgeführt. Er ist der Chefredakteur der „Berliner Zeitung“. Warum sollte er derart fragwürdig ein Interview verändern?

Der Chefredakteur führte das Interview

Denkbar wäre, dass es den Journalisten erst vor Drucklegung auffiel, wie wenig sie Waters widersprochen haben. Dass sie ihm offensichtliche Hetze durchgehen ließen, ohne ihn mit Fakten zu konfrontieren. Dass sie es leider hinnahmen, als Waters Israels Existenzrecht infrage stellte und den jüdischen Staat mit Nazi-Deutschland verglich. Denkbar wäre, dass sie aber nicht auf ihre Doppelseite mit dem prominenten Gesicht verzichten wollten. Und dass sie deshalb beschlossen, die wesentlichen Passagen einfach zu verheimlichen, um später nicht selbst in die Kritik zu geraten.

Ich habe Kurianowicz angeschrieben und ihn nach den Gründen gefragt. Seine Antwort: „Die Berliner Zeitung bietet Kampfparolen, die dem Staat Israel Apartheid und Genozid vorwerfen, Israels Existenzrecht infrage stellen, Israel mit Nazi-Deutschland vergleichen und Israel Faschismus unterstellen, keine Plattform.“

Das klingt löblich, geht aber völlig am Thema und am Problem vorbei. Denn die Zeitung beginnt ihr Interview ja gerade mit dem Versprechen, dem umstrittenen Waters ordentlich auf den Zahn fühlen zu wollen und herauszufinden, ob er „alle seine Aussagen wirklich ernst“ meine oder ob er „einfach nur missverstanden“ werde.

Genau das passiert eben nicht. Stattdessen vermittelt die „Berliner Zeitung“ fälschlicherweise den Eindruck, Waters Ansichten seien gar nicht so übel. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die Kritik an diesem Mann ist übertrieben.

Meine Frage, ob Tomasz Kurianowicz glaube, dass die „Berliner Zeitung“ ihren Lesern ein zutreffendes Bild von Waters Haltung zu Israel vermittelt habe, beantwortet der Chefredakteur nicht.

Update 1: Eine Führungskraft der „Berliner Zeitung“ hat mich angeschrieben und mir zu verstehen gegeben, dass ich diesen Artikel nicht hätte veröffentlichen sollen. Schließlich würde ich so auf „Berliner Kollegen spucken“. Der Berliner Zeitungsmarkt werde ja immer kleiner, da sei so eine Geschichte kontraproduktiv... Was mich an der Nachricht des Mannes jedoch besonders verstört: dass er die Täuschung der Leser durch die Verheimlichung der entscheidenden Stellen gar nicht für problematisch hält. Wörtlich schreibt er mir: „Das ist doch ein wirklich kleines Thema im Grunde.“ Er deutet sogar an, so etwas sei normal im Journalismus.

Ich hatte gehofft, diese Lesertäuschung sei ein Einzelfall bei der „Berliner Zeitung“. Nach der Nachricht dieser Führungskraft bin ich mir nicht mehr so sicher, welche journalistischen Standards dort gelten.

Update 2 vom 2. April: In der „Berliner Zeitung“ hat sich nun der dortige Ressortleiter Sören Kittel als die oben zitierte Führungskraft zu erkennen gegeben. In einem Text voller Nebelkerzen und Scheinargumente versucht Kittel tatsächlich, sowohl seine unverschämte Nachricht als auch das geschönte Roger-Waters-Interview zu rechtfertigen. Die Vorwürfe kann er nicht entkräften, gleichzeitig lenkt er vom eigentlichen Skandal ab und verbreitet derartigen Unsinn, dass ich mich entschieden habe, zumindest die schlimmsten Passagen an dieser Stelle richtigzustellen. Einerseits widerstrebt mir das, weil es für Außenstehende vermutlich nach einem bornierten Kleinkrieg aussieht (das verstehe ich). Andererseits geht es hier um journalistische Grundwerte. Und ein Ausmaß an Unredlichkeit und Unehrlichkeit, das man so nicht stehen lassen darf. Deshalb hier für alle, die es interessiert:

Sören Kittel behauptet, bei seiner Nachricht habe es sich um „intime Kommunikation“ gehandelt. Dies ist falsch. Seine Nachricht war rein beruflicher Natur und hatte ausschließlich beruflichen Inhalt. Wie Kittel auf die Idee kommt, mir diese beleidigende Nachricht zu schicken und dann zu hoffen, ich würde sie für mich behalten, ist mir unerklärlich.

Sören Kittel und ich waren nie befreundet, ich hatte und habe auch kein Interesse an einer „intimen Kommunikation“ mit dieser Person. Netterweise hatte ich in meiner Kolumne sogar darauf verzichtet, seinen Namen zu nennen. Dies hat Kittel nun selbst getan.

In seinem missglückten Rechtfertigungsversuch unterstellt Sören Kittel dem Tagesspiegel Lesertäuschung. So schreibt er allen Ernstes: „Zum ganzen Verständnis wichtig ist außerdem das Erscheinungsdatum des Interviews. Nach dem brutalen Massaker der Hamas am 7. Oktober hätte die Berliner Zeitung ein anderes Gespräch geführt. Das verzerrt der Tagesspiegel und manipuliert so die Leser.“

Das ist frech. Tatsächlich steht bereits im zweiten Satz, wann das Waters-Interview erschienen ist.


Sören Kittel schreibt weiter: „Vielleicht weiß Leber nicht, dass es üblich ist, bei Interviews zu kürzen.“ Doch, das weiß jeder. Das steht natürlich auch in meinem Text.

Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Berliner Zeitung zentrale Passagen entfernt hat und dem Leser verschweigt, dass Waters das Existenzrecht Israels infrage stellt. Kittel gibt dies sogar zu, wenn er schreibt: „Die Chefredaktion entschied sich für eine Fassung, die Roger Waters Positionen klar macht, aber ihm keine Chance gibt, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen.“ Dieser Satz von Sören Kittel ist nicht weniger als eine journalistische Bankrotterklärung.

Die ganze Dreistigkeit, mit der die Berliner Zeitung nun versucht, ihr geschöntes Waters-Interview zu rechtfertigen und mit Gegenangriffen abzulenken, zeigt sich am Anschaulichsten in dem Begleittext, der Sören Kittels unbedarften Rettungsversuch flankiert. Dort wird unter anderem probiert, meinen Arbeitgeber in die rechte Ecke zu schieben. Der folgende Absatz ist so irre, dass ich ihn im Ganzen zitieren muss. Er lautet:

„Der Tagesspiegel hatte bereits 2022 auf die Krise reagiert und sein Druckformat auf das sogenannte Tabloid-Format umgestellt, das etwa 24 Zentimeter in der Breite sowie 37 Zentimeter in der Höhe misst. Das Format ähnelt dem der rechtspopulistischen Kronen Zeitung aus Österreich. Österreichische Medienmanager haben immer wieder versucht, das Konzept der Krone deutschen Verlegern anzudienen. Es wurde nie umgesetzt – wegen der teilweise rabiaten Haltung der Krone gegen Ausländer oder Minderheiten.“ 

Die Berliner Zeitung suggieriert also, Zeitungen wollten nicht im Tabloid-Format drucken, weil die Kronen-Zeitung gegen Migranten hetzt aber damit habe der Tagesspiegel kein Problem? Echt jetzt? Die Größe einer Zeitungsseite lässt auf den politischen Inhalt schließen? Diese Argumentation ist perfide und gleichzeitig unbeholfen (und natürlich auch deshalb gaga, weil die linksliberale „Frankfurter Rundschau“ schon seit 2019 im Tabloid-Format erscheint, aber Fakten stören hier nur). Ich hoffe sehr, dass sich die drei Autoren dieses Textes wenigstens schämen. Einer von ihnen ist wen wundert es noch Tomasz Kurianowicz, der Chefredakteur der „Berliner Zeitung“. 

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