zum Hauptinhalt
In Ecuador wird der Drogenhandel zunehmend zum Problem.

© dpa/AP/Dolores Ochoa

Bandenkämpfe in Lateinamerika: Wie Drogengangs Demokratien gefährden

In der Pandemie machten Drogenkartelle in Lateinamerika hohe Verluste. Nun sind zwischen ihnen blutige Kämpfe entbrannt. Auch sonst stabile Regierungen sind darauf nicht vorbereitet.

Es passierte am Mittwoch vor Ostern um elf Uhr morgens: Ein Auto fuhr vor der Autowaschanlage vor, blitzschnell sprangen vier Männer mit Schnellfeuerwaffen heraus und eröffneten das Feuer.

Zwei Angestellte und der Eigentümer des Geschäfts starben, eine Frau wurde schwer verletzt. Das Ganze dauerte nicht einmal eine Minute. Die Angreifer flüchteten mit quietschenden Reifen, zurück blieben über 100 Patronenhülsen.

Der Dreifachmord fand in Costa Rica statt – einem Land, das bis vor Kurzem als friedliche und demokratische Oase in Mittelamerika galt. Der Fall steht stellvertretend für eine steigende Gewaltkriminalität in vielen bislang stabilen Staaten in der Region. Darunter Chile, Uruguay und Ecuador.

2000
Tonnen Kokain wurden 2020 weltweit beschlagnahmt.

Die Ursachen sind in allen Ländern ähnlich: Drogenhandel und Bandenkriege. 2020 wurde laut dem UN-Büro für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) weltweit eine Rekordmenge von 2000 Tonnen Kokain beschlagnahmt.

Durch die Pandemie kam der Welthandel ins Stocken. Nun versuchen die verschiedenen Kartelle umso aggressiver, die Verluste auszugleichen und ihre Ware zu verkaufen. Dafür bauen sie ihren Einfluss in Ländern aus, in denen Bandenkonflikte bisher unüblich waren. Zugleich sind in Lateinamerika während dieser Zeit Arbeitslosigkeit und Armut gestiegen – gute Voraussetzungen für die Banden, neue Mitglieder zu gewinnen. Die UN sind „höchst alarmiert“, wie es in einem im März veröffentlichten Bericht heißt.


Costa Rica

In Costa Rica gab es im vergangenen Jahr 37 Mehrfachmorde, die meisten davon in der Karibikprovinz Limón. So auch der Angriff auf die Waschanlage vor Ostern. Den Behörden zufolge handelt es sich bei 80 Prozent der Morde um Revierkämpfe unterschiedlicher Drogengangs. Sie ringen um die Kontrolle über den strategisch wichtigen Hafen in Puerto Limón.

Lange war die lokale Gang Morecos dominant. Ermittlern zufolge machen ihnen inzwischen transnational vernetzte Gruppen Konkurrenz. Die Morecos tauschte in Limón schon länger Kraftstoff gegen Drogen, die aus Kolumbien kommen.

Das Rauschgift wird dann lokal verkauft – Limón gilt als Hochburg des Hippie-Tourismus – oder exportiert. Dafür werden Hafenbeamte geschmiert, um die Drogen in Versandcontainern außer Landes zu schmuggeln. Den Kriminellen spielte in die Hände, dass Costa Rica 2018 seine Häfen privatisierte. Das hatte Entlassungen zur Folge, die es den Banden leichter machten, Nachwuchs zu rekrutieren.


Chile

Auch in Chile ist die Rede von einer „Sicherheitskrise“. Noch vor drei Jahren, nachdem massive soziale Proteste das Land erschütterten, sorgten sich die Chilenen in erster Linie um Armut und soziale Ungleichheit. Seit 2022 sind, mit großem Abstand, Kriminalität und Unsicherheit an Platz eins.

42
Prozent mehr Tötungsdelikte als im Vorjahr zählte man in Chile in der ersten Hälfte vergangenen Jahres.

Dabei hat die Zahl der Kriminalfälle zuletzt tatsächlich abgenommen. Der Anteil der schweren Straftaten allerdings ist gestiegen: In der ersten Hälfte 2022 gab es 42 Prozent mehr Tötungsdelikte als noch im Vorjahr. Der Drogenhandel, für den Chile seit ein paar Jahren ein Umschlagplatz ist, wächst seit der Pandemie merklich.

Laut der chilenischen Kriminalpolizei (PDI) sind es vor allem chilenische, bolivianische und peruanische Gruppen, die das Geschäft unter sich ausmachen. Besonders betroffen ist der Norden Chiles, an der Grenze zu beiden Nachbarländern.

Die Regierung von Präsident Gabriel Boric hat daher Maßnahmen ergriffen: Sie hat die Grenzkontrollen verschärft und das Budget der militarisierten Polizei Carabineros de Chile sowie der PDI um 20 Prozent erhöht. Im regionalen Vergleich ist das Land aber immer noch eines der sichersten Lateinamerikas.


Uruguay

Die Offensive der Organisierten Kriminalität betrifft auch traditionelle Vorzeige-Demokratien wie Uruguay, gerne die Schweiz Südamerikas genannt. Der Hafen von Montevideo ist für brasilianische Kriminelle, etwa das „Erste Hauptstadtkommando“ (PCC), ein wichtiger Umschlagplatz für Kokain geworden. Ihr Ziel: Europa.

25
Prozent mehr Mordfälle zählte Uruguay im vergangenen Jahr.

Das PCC fliegt die Droge per Flugzeug ein, denn nur die Hälfte des uruguayischen Luftraums ist per Radar überwacht. Die weitere Logistik ist an lokale Familienclans ausgelagert, die miteinander rivalisieren. Die Gewaltkriminalität hat in den vergangenen Jahren rapide zugenommen: 2022 stieg die Anzahl der Mordfälle um 25 Prozent. Auch die Korruption und Unterwanderung der Sicherheitskräfte macht Fachleuten Sorge.


Ecuador

In Ecuador verschlechterte sich schon vor der Pandemie die Sicherheitslage in den nördlichen Küstenprovinzen Esmeraldas und Guayaquil. Dort litt die Bevölkerung besonders unter der Pandemie. Viele Menschen starben, Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Die Mordrate im Land vervierfachte sich.

Schon länger werden die Provinzen von mexikanischen und kolumbianischen Kartellen kontrolliert. Den Kriminellen geht es vor allem um den strategisch wichtigen Pazifikhafen von Guayaquil. Von dort aus wird kolumbianisches Kokain in alle Welt geschmuggelt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Mittlerweile ist der Regierung die Kontrolle entglitten. Nach Gefängnisaufständen, Attentaten und Richtermorden verhängte Präsident Guillermo Lasso im November 2022 den Ausnahmezustand. Vor einigen Tagen erlaubte er Privatpersonen per Dekret, zur Selbstverteidigung Kleinwaffen bei sich zu tragen. Die Maßnahme ist umstritten.

Luis Córdova-Alarcón, Direktor des Forschungsprogramms zu Sicherheit und Gewalt an der Zentraluniversität von Ecuador, sagt: Statt zur Selbstjustiz zu animieren, solle die peruanische Regierung lieber staatliche Institutionen wie die Einheit gegen Geldwäsche stärken. „Sie muss derzeit mit weniger als 50.000 US-Dollar jährlich auskommen.“

Europa ist ein wichtiger Absatzmarkt für den lateinamerikanischen Drogenhandel. Laut der ecuadorianischen Polizei war ein Drittel des 2022 sichergestellten Kokains auf dem Weg nach Europa. Die europäische Drogenmafia hat längst Stützpunkte in Lateinamerika. So ist die italienische Ndrangheta vor allem in Costa Rica und Uruguay aktiv; in Ecuador sind es albanische Gruppen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false