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Lukaschenko mit gequälter Miene auf der Ehrentribüne

© Imago/Itar-Tass/Gavriil Grigorov

Update

Covid oder Herzprobleme?: Lukaschenko fehlt bei wichtiger Staatsfeier

Der belarussische Diktator ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Videos befeuern schon seit längerem Spekulationen über die Gesundheit des Autokraten.

Kreml-Astrologie wurden in den Zeiten des Kalten Krieges die Versuche genannt, etwas über den Gesundheitszustand der Mächtigen in der Sowjetunion zu erraten und daraus auf den Zustand des ganzen Landes zu schließen. In die Kategorie Kreml-Astrologie gehören in gewisser Weise auch die Spekulationen, die sich derzeit um den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko ranken.

Seit einer Woche ist der Diktator, den die Staatsmedien für gewöhnlich täglich bei einer seiner Verrichtungen zeigen, aus der Öffentlichkeit verschwunden. Am Sonntag fehlte er bei einer der wichtigsten Zeremonien des Landes. Am „Tag der Flagge, des Wappens und der Hymne“ verlas Regierungschef Roman Golowtschenko eine Ansprache „im Namen“ Lukaschenkos. Gefeiert wird dabei nicht die 700 Jahre alte weiß-rot-weiße Flagge von Belarus, es geht um die Symbole aus Stalinscher Zeit, die die Abhängigkeit des Landes von Moskau deutlich machen.

Seine letzten Auftritte hatte Lukaschenko bei den Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai in Moskau und Minsk. Sie wirkten befremdlich. Die Parade auf dem Roten Platz in Moskau hatte er auf der Ehrentribüne mit freudloser, gequälter Miene beobachtet, wie im TV und auf Videos zu sehen war. Im Anschluss daran war der 68-Jährige auf den Bildern, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Führern ehemaliger Sowjetrepubliken zeigen, nicht zu sehen.

Im Elektromobil zur Kranzniederlegung

Lukaschenko war nicht in der Lage, die 300 Meter bis zur Kranzniederlegung am „Grabmal des Unbekannten Soldaten“ an der Kremlmauer zu Fuß zu gehen. Er wurde mit einem Elektromobil des russischen Sicherheitsdienstes befördert.

An dem Dinner, das Putin später für seine Staatsgäste gab, nahm Lukaschenko schon nicht mehr teil. Er sei „aus gesundheitlichen Gründen“ vorzeitig abgereist, hieß es damals.

Am Abend tauchte Lukaschenko dann bei einer Kranzniederlegung zum „Tag des Sieges“ in Minsk wieder auf. Zum ersten Mal seit seiner Machtübernahme vor mehr als einem Vierteljahrhundert hielt er an diesem Tag nicht die Rede. Er überließ seinem Verteidigungsminister das Verlesen eines Textes. Hinter Lukaschenko hatten sich – fast demonstrativ – zum ersten Mal die drei Söhne des Autokraten gemeinsam versammelt.

Offiziell verlautet nichts über den Gesundheitszustand Lukaschenkos. Angeblich soll er mit einer Erkältungskrankheit, möglicherweise auch Covid, in Moskau angereist sein. Doch das scheint wenig wahrscheinlich angesichts der außerordentlichen Vorsichtsmaßnahmen, die in Russland getroffen worden sind, um Putin vor Infektionskrankheiten zu schützen.

Auch angeblich hatte Lukaschenko bereits vor Jahren einen Herzinfarkt, mit dessen Folgen er kämpfen soll. Offizielle Verlautbarungen über Krankheiten gab es jedoch nur ganz selten. Vor zwei Jahren räumten die Behörden eine Covid-Erkrankung ein.

Inszenierte Stärke: Lukaschenko und Putin nach einem Eishockeyspiel im Jahr 2019.

© Imago/Itar-Tass/Mikhail Metzel

Die Gesundheit Lukaschenkos war lange Zeit durchaus ein öffentliches Thema. Viele Jahre wurde die angeblich robuste Körperlichkeit des Machthabers inszeniert – ähnlich wie bei Putin, mit dem er sich gern am Rande von Gipfelgesprächen beim gemeinsamen Eishockeyspiel zeigte.

Eine Krankheit Lukaschenkos würde den Machtapparat in Belarus hart treffen. Der Diktator bestimmt nicht nur den strategischen Kurs des Landes, das er bisher aus einer direkten Beteiligung am Ukrainekrieg herausgehalten hat. Ganz in der Tradition der Kreml-Astrologie wird nun der Auftritt von Regierungschef Golowtschenko „in der Rolle Lukaschenkos“ als Zeichen gedeutet: Er könnte womöglich an die Staatsspitze treten, wenn es nötig werde. Der 49-jährige Golowtschenko ist an der Moskauer Elite-Hochschule MGIMO ausgebildet worden und machte nach seinem Abschluss 1996 rasch Karriere in der belarussischen Nomenklatura.

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