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Henry Kissinger im Jahr 2013.

© dpa/Gero Breloer

Update

„Die Welt verliert einen besonderen Diplomaten“: Ehemaliger US-Außenminister Henry Kissinger mit 100 Jahren gestorben

Bis zuletzt war der Holocaust-Überlebende Kissinger als diplomatischer Handelsreisender unterwegs und als Ratgeber gefragt. Prominente Wegbegleiter würdigen ihn zu seinem Tod.

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Er wollte noch einmal an der nach ihm benannten Preisverleihung der American Academy am 10. November in Berlin teilnehmen. Aber dann musste Henry Kissinger sein Erscheinen kurzfristig absagen. Dem 100-Jährigen gehe es sehr schlecht, er müsse im Krankenhaus behandelt werden, war zu hören.

Am Mittwoch ist Henry Kissinger gestorben, wie die Beratungsfirma Kissinger Associates des in Deutschland geborenen Friedensnobelpreisträgers in einer Erklärung mitteilte. Er starb den Angaben zufolge in seinem Haus im US-Bundesstaat Connecticut.

Bis zuletzt hatte der Zeit seines Lebens umtriebige Kissinger, der 1938 aus Nazi-Deutschland geflohen war, die Kraft gefunden, um durch die Welt zu reisen und sich mit anderen Politikexperten auszutauschen. So war er noch im Juli nach China geflogen, um sich dort mit Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu zu treffen – und wurde zumindest für Außenstehende überraschend auch von Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen.

Kissinger war in China hoch angesehen. Er hatte im Juli 1971 eine Geheimreise nach China unternommen und damit die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten eingeleitet. Insgesamt soll Kissinger mehr als 200 Länder bereist haben.

Zum 100. Geburtstag noch einmal nach Fürth

Noch im Juni konnte Kissinger in seine Heimat, ins fränkische Fürth reisen, um seinen 100. Geburtstag zu feiern. Dort in seiner Geburtsstadt verlieh ihm der bayerische Ministerpräsident Markus Söder den Maximiliansorden, die höchste Auszeichnung des Freistaats Bayern, für „die hohe Schule der Diplomatie, die Kunst des Ausgleichens und das Sehen, was kommt“.

Das „Sehen, was kommt“ – von dieser Kunst wollte er bis zum Ende nicht lassen. So äußerte Kissinger sich in Interviews unter anderem mit dem britischen „Economist“ über die Risiken und Chancen künstlicher Intelligenz. Oder er sprach und schrieb über seine Vorstellungen darüber, wie der Ukraine-Krieg beendet werden könnte.

Auch zum jüngsten Großkonflikt im Nahen Osten und den Auswirkungen auch auf Deutschland hatte der Holocaust-Überlebende Kissinger einiges zu sagen. Im Interview mit Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner kommentierte er etwa die pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin und anderen Städten.

„Feierlichkeiten über das, was geschehen ist, das ja in technischer Hinsicht eine kriminelle Tat ist, empfinde ich als schmerzvoll. Es war ein großer Fehler, so viele Menschen mit einem kulturell und religiös vollkommen anderen konzeptionellen Hintergrund reinzulassen“, sagte er in dem Interview.

1973 erhielt Kissinger den Friedensnobelpreis

Kissinger war von 1973 bis 1977 Außenminister der USA und von 1969 bis 1975 Nationaler Sicherheitsberater der Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford. Der Republikaner nahm damit maßgeblichen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik.

Seine Bemühungen führten zur diplomatischen Öffnung Chinas, zu Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn und zum Pariser Friedensabkommen mit Nordvietnam.

Hohe Diplomatie: Henry Kissinger mit Chinas Staatsgründer Mao Zedong am 24. November 1973 in Peking.
Hohe Diplomatie: Henry Kissinger mit Chinas Staatsgründer Mao Zedong am 24. November 1973 in Peking.

© AFP/Uncredited

Für dieses Waffenstillstandsabkommen im Vietnamkrieg erhielt Kissinger 1973 gemeinsam mit dem nordvietnamesischen Chefunterhändler Le Duc Tho den Friedensnobelpreis. Die Entscheidung war indes sehr umstritten: Tho lehnte die Ehrung ab, weil der Krieg trotz des Vertrags weiterging. Kissinger selbst wollte den Preis später zurückgeben.

Umstritten war auch die Person Kissinger. Präsident Ford nannte ihn einen „Super-Außenminister“, wies aber auch auf dessen Schärfe und Selbstsicherheit hin, die Kritiker eher als Paranoia und Egoismus bezeichneten. Für seine Unterstützung antikommunistischer Diktaturen, vor allem in Lateinamerika, wurde Kissinger von vielen bis zuletzt hart kritisiert.

Henry Kissinger soll bei einer privaten Feier im Familienkreis beigesetzt werden, wie es am Mittwoch hieß. Eine Gedenkfeier solle zu einem späteren Zeitpunkt in New York stattfinden. Die Anwesenheit zahlreicher Entscheidungsträger aus aller Welt kann dabei vorausgesetzt werden.

Prominente Wegbegleiter würdigen Kissinger

Ex-US-Präsident George W. Bush würdigte Kissinger. „Mit dem Tod von Henry Kissinger hat Amerika eine der verlässlichsten und unverwechselbarsten Stimmen in Fragen der Außenpolitik verloren“, teilte Bush am Mittwoch (Ortszeit) mit. Kissinger habe in den Regierungen zweier US-Präsidenten gearbeitet und viele weitere beraten, schrieb Bush, der ebenfalls von Kissinger beraten wurde. „Ich bin dankbar für diesen Dienst und Rat, aber am dankbarsten bin ich für seine Freundschaft.“ 

China bezeichnete Kissinger als „guten alten Freund des chinesischen Volkes“. Er sei ein Pionier und Erbauer der Beziehungen zwischen den USA und China gewesen, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking. Staats- und Parteichef Xi Jinping schickte US-Präsident Joe Biden demnach ein Beileidsschreiben. „Er wird in den Herzen der Menschen in China immer als geschätzter alter Freund lebendig bleiben“, schrieb Chinas Botschafter in den USA, Xie Feng, auf X (früher Twitter).

Ein weiser und weitsichtiger Staatsmann.

Wladimir Putin, russischer Präsident

Russlands Präsident Wladimir Putin lobte Kissinger als „herausragenden Diplomaten“. „Ein weiser und weitsichtiger Staatsmann, der jahrzehntelang in der ganzen Welt wohlverdientes Ansehen genoss, ist verstorben“, schrieb Putin an Kissingers Witwe Nancy in einem Telegramm, das der Kreml am Donnerstag veröffentlichte. Kissingers Name stehe für eine „pragmatische außenpolitische Linie“ in den 1970er-Jahren, die wichtige amerikanisch-sowjetische Abkommen ermöglicht habe, fügte der Kremlchef hinzu. 

Bundeskanzler Olaf Scholz hob Kissingers Bedeutung für die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA hervor. „Henry Kissinger prägte die amerikanische Außenpolitik wie nur wenige andere“, schrieb der SPD-Politiker am Donnerstag auf der Online-Plattform X (früher Twitter).

„Sein Einsatz für die transatlantische Freundschaft zwischen den USA und Deutschland war bedeutend“, schrieb Scholz. Kissinger, der 1923 in Franken geboren worden war, sei seiner deutschen Heimat stets verbunden geblieben, fügte Scholz hinzu. „Die Welt verliert einen besonderen Diplomaten.“

Es war für mich eine ganz besondere Ehre, Henry Kissinger einen Freund zu nennen.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete Kissinger als „großen Kämpfer für Freiheit und Demokratie“. Steinmeier nannte ihn zudem „die treibende geistige Kraft der US-Außenpolitik vieler Jahrzehnte“ und „Hüter der transatlantischen Beziehungen“.

„Mit klarer Sprache und unerschrockener Diplomatie hat er die Vereinigten Staaten von Amerika und die Weltpolitik der Nachkriegszeit entscheidend geprägt“, schrieb Steinmeier in seinem Kondolenzschreiben an Kissingers Familie. „Es war für mich als deutscher Bundespräsident eine ganz besondere Ehre, Henry Kissinger einen Freund zu nennen“, heißt es in dem Schreiben. „In diesen Tagen hatten wir ihn erneut in Deutschland erwartet. Es sollte anders kommen.“

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) würdigte Kissinger. Auf der Plattform X schrieb Söder, Bayern trauere um Kissinger, einen bedeutenden Staatsmann, „der mit Weitsicht und großem analytischen Scharfsinn die Menschen überzeugen konnte“. Kissinger sei einer der einflussreichsten außenpolitischen Beobachter und Denker gewesen. „Nicht alle seiner Positionen waren unumstritten. Aber er war einer der wichtigsten und klügsten Außenpolitiker des vergangenen Jahrhunderts.“

Zudem unterstrich Söder am Donnerstag die bayerische Herkunft des früheren Politikers: „Er war Bayer, Franke, Fürther und seiner alten Heimat und dem jüdischen Leben bis zuletzt verbunden.“ Er freue sich, einige Male die Gelegenheit gehabt zu haben, „diese beeindruckende Persönlichkeit aus nächster Nähe zu erleben“. (mit Agenturen)

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