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„Nicht mein König“- Proteste in London.

© REUTERS/Pool

Ein König für alle?: „Charles musste nie zur Tafel!“

König Charles wird morgen zum König der 68 Millionen Briten gekrönt. Aber wie denken die eigentlich über ihn? Eine Momentaufnahme aus Manchester in Nordengland.

Wenn zur Krönung des Königs Charles III. am Samstag Soldaten in engen Strumpfhosen durch die abgesperrten Straßen Londons marschieren, wird Deborah Smith das Spektakel nicht mitverfolgen. „Ich werde morgen lange Spaziergänge mit meinem Hund in den umgebenden Bergen machen. Hoffentlich kommt mir niemand mit einem Union Jack entgegen“, sagt sie.

Smith ist psychologische Beraterin an der Notleidenden-Tafel der St.-Barnabas-Kirche im Osten von Manchester, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens. Für zwei Stunden am Freitagvormittag öffnen Smith und ihre Kolleg:innen ihre Türen, viereinhalb Autostunden vom Buckingham-Palast in London entfernt.

Wenn es nach Deborah Smith gehen würde, sollte die Monarchie abgeschafft werden. Und die königlichen Schlösser zu Touristenattarktionen.

© Tagesspiegel/Farangies Ghafoor

Unter den Kolleg:innen sind auch Ann White und Jeff. „Wir kommen beide aus der Arbeiterklasse. Jetzt, wo die Menschen es brauchen, wollen wir etwas zurückgeben“, sagt White als ein Mann mittleren Alters hereinkommt. Er brauche für sich und seine vier Kinder Lebensmittelpakete, sagt er mit müdem Gesicht. Sein Einkommen reiche nicht aus.

Britinnen und Briten am Rand der Armut

„Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise steigen. Die Inflation ist schrecklich hoch“, sagt Jeff. Tomaten, Paprika, Gurken und Salat wurden in britischen Supermärkten zeitweise rationiert. Seit Jahresbeginn vergeht kaum ein Tag ohne Streiks: Von London bis Belfast gehen Ärzt:innen, Hebammen, Busfahrer:innen und Lehrkräfte auf die Straße. Ihr Lohn reicht kaum für das Nötigste.

Gleichzeitig gibt die britische Regierung nach Medienschätzungen umgerechnet 285 Millionen Euro Steuergeld aus, um einen sehr, sehr reichen Mann zu ehren: König Charles III.

1,8
Milliarden Pfund soll König Charles Privatvermögen betragen.

Der private Reichtum des Königs steht im Kontrast zur Lebensrealität der Menschen in Manchester: 620.000 Menschen leben hier unter der Armutsgrenze, davon 145.000 Kinder, so die Initiative Greater Manchester Poverty Action. Die Kinderarmutsquote in der Region ist höher als der Durchschnitt im Vereinigten Königreich.

Das Spendenlager der Tafel leert sich schneller, als sie Spenden einnehmen können und die gesamte Gesellschaft scheint auf die Tafel angewiesen: „Es kommen so viele unterschiedliche Menschen: Familien, deren Doppelverdienst nicht ausreicht, und Bedürftige in ihren Zwanzigern bis Siebzigern“, erzählt Helferin White.

Reichtümer der Monarchie

Bei der Krönung des Königs werden dagegen die angehäuften Reichtümer der Monarchie zu sehen sein. Eine goldene Kutsche, Juwelen, maßgeschneiderte Kleider, die mehr kosten, als viele Briten monatlich verdienen. Die Zeitung „The Guardian“ veröffentlichte in der investigativen Recherche „Cost of The Crown“ Zahlen zum Vermögen der Royals und bezifferte allein das Privatvermögen des Königs auf umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro.

Die Kolonien wurden in dem Glauben erzogen, dass es sich bei den britischen Herrschern um Götter handelte. Die Ehrfurcht ist geblieben.

Yasmin Alibhai-Brown, Autorin

Die Presse porträtiert Charles oft als Monarchen, der bescheidener lebt, schließlich zahlt er freiwillig Einkommensteuer. Der Rest der reichsten Familie des Landes ist davon befreit. Hinzu kommt, dass der König von seiner Mutter Ländereien geerbt hat. Hier liegt sein größter finanzieller Vorteil: Er zahlt nicht die Erbschaftssteuer von 40 Prozent.

Balmoral Castle, einer der Residenzen der königlichen Familie, erbte König Charles von seiner Mutter.

© dpa/Andrew Milligan

„Das sind Blutegel“, flüstert die psychologische Betreuerin Smith. Die 285 Millionen Steuergeld sollten lieber in Schulen, Krankenhäuser und soziale Initiativen fließen, findet sie. Sie weiß, wie es den Menschen geht, die zu ihr an die Tafel kommen, denn auch sie stand einmal allein mit drei Kindern vor der Armut. „Die Leute haben keine Ahnung, dass ihre Steuern für die Krönung ausgegeben werden. Das interessiert sie nicht. Oder sie haben die Hoffnung verloren, dass es besser wird.“ Und dann gebe es die vom vermeintlichen Glanz der Queen Geblendeten.

„Die Verarmung im Land ist so groß. Und trotzdem schaffen es die Royals, sich als Teil des normalen Volkes zu verkaufen. Charles musste nie zur Tafel gehen“, ordnet Yasmin Alibhai-Brown, Medienprofessorin an der Middlesex University, ein. Die Autorin ist Expertin für Immigration, Multikulturalismus und soziale Ungleichheit. Das Königshaus könne den Briten nichts zurückgeben. Stattdessen lenke der Prunk nur von den wichtigen Themen ab.

Ann Smith und Jeff sind freiwillige Helfer:innen der Tafel und finden, dass es Reiche in Großbritannien gibt, die sehr wohl spenden.

© Tagesspiegel/Farangies Ghafoor

Die Mitarbeiter:innen von der Notfall-Tafel wollen, bis auf Smith, das Politische nicht kommentieren. Dennoch sagt Helfer Jeff, er verstehe die Kritik an den Ausgaben. „Aber ob die Krönung stattfindet oder nicht, macht für die Bedürftigen der Tafel keinen Unterschied.“ Dass umgekehrt viele Touristen nach Großbritannien kommen, die wiederum Geld in die Kassen bringen, gibt White zu bedenken. Sie ist der Meinung: „Selbst wenn der König das Geld zurückgäbe, käme es nicht an, sondern würde versickern.“

Ob sie – im Gegensatz zu ihrer Kollegin Smith – die Krönung vor dem Fernseher verfolgen würden? Wie ein unkoordinierter Chor stimmen sie ein: Ja, das sei Geschichte. „Das sehen wir nie wieder.“ Und: „Das sind unsere historischen Wurzeln“.

Gespaltene Meinung unter den Minderheiten

Historisch, das ist die Krönung auch für Sara Zahoor: „Die Kronjuwelen, ganz besonders die Krone, die sieht man so selten. Das ist ein historischer Moment, den ich mitverfolgen will.“ Die pakistanisch-britische Doktorandin gehört zu den 20,9 Prozent der Menschen in Manchester, die laut der nationalen Statistikbehörde einer ethnischen Minderheit angehören.

Dass ausgerechnet Einwanderer sich mit einer verstorbenen Prinzessin solidarisieren, mag seltsam erscheinen. Doch Dianas Auseinandersetzungen mit dem Königshaus waren die Auseinandersetzungen, die viele ethnische Frauen selber erlebt hatten.

© AFP/JOHNNY EGGITT

Die Haltung der Royals gegenüber ethnischen Minderheiten wird seit der Enthüllung, dass sie Bedenken wegen der möglichen Hautfarbe des Sohnes von Prinz Harry und Meghan Markle hatten, infrage gestellt. Über die Haltung der ethnischen Minderheiten Großbritanniens gegenüber der Königsfamilie im Gegenzug ist bislang etwas mehr bekannt.

Großbritannien ist ein Einwanderungsland. „Meine Mutter war ein großer Fan der Queen und vor allem ihres Modestils. Sie hat sie so oft wie möglich im Fernsehen gesehen“, sagt Zahoor am Telefon. Die pakistanisch-britische Asma Noureen denkt ähnlich: „Im Großen und Ganzen bewunderte ich die Loyalität der Queen gegenüber ihrem Königreich.“

Auch wenn Noureen und Zahoor sich gegenseitig zustimmen, sind ethnischen Minderheiten gegenüber der königlichen Familie gespalten, laut einer neuen YouGov-Umfrage. 45 Prozent der Briten, die einer ethnischen Minderheit angehören, sehen die Royals positiv. 42 Prozent sehen sie negativ. Die hohe positive Resonanz kann überraschen, denn trotz kolonialer Vergangenheit ist die britische Krone bei denen beliebt, die sie einst unterjocht haben. Ein großer Teil der Einwanderer stammt aus den ehemaligen Kolonien des British Empire.

Die Leute haben keine Ahnung, dass ihre Steuern für die Krönung ausgegeben werden. Das interessiert sie nicht. Oder sie haben die Hoffnung verloren, dass es besser wird.

Deborah Smith, psychologische Beraterin bei der Tafel in Manchester

„Warum folgen so viele der Queen blind? Sie haben diese Frau nie getroffen!“ Alibhai-Brown schockiert das. „Das Empire gibt es zwar schon lange nicht mehr, aber die historischen Bindungen bestehen nach wie vor. Die Kolonien wurden in dem Glauben erzogen, dass es sich bei den britischen Herrschern um Götter handelte. Die Ehrfurcht ist geblieben“, sagt sie. Eine koloniale Gehirnwäsche findet die Autorin. Vor allem die ältere Generation hinterfrage nicht, wofür die Royals stünden.

Der untreue Ehemann

Zwar befürworten 43 Prozent der Briten, die einer ethnischen Minderheit angehören, König Charles, aber fast ebenso viele lehnen ihn ab. So wie Noureen: „Ich zweifle an seiner Integrität als Mensch. Er war Diana untreu. Das sagt viel über seine Persönlichkeit aus.“ Auch wenn die britische Presse Camilla einen Beliebtheitsaufstieg attestiert, für viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte bleibt sie weiterhin das Feindbild „der anderen Frau“.

Eine Krönung ist aus der Zeit gefallen, darauf haben sich alle europäischen Monarchien verständigt, bis auf die britische. Wenn ihm am Samstag die Imperial Crown aufgesetzt wird, wird Charles symbolisch als König von Großbritannien bestätigt. Das Staatsoberhaupt derer, die seit Tagen vor dem Buckingham Palace in Zelten um den besten Schauplatz buhlen. Und der weiteren 68 Millionen Menschen England, Wales, Schottland und Nordirland, die nicht in Schlössern leben.

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