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Die langen, schmalen Inselstreifen von Tuvalu sind den Folgen des Klimawandels schutzlos ausgeliefert.

© Rising Nations Initiative/Josh Orter

„Mein Land wird komplett im Wasser versinken“: Ist Tuvalu schon bald ein Staat ohne Territorium?

Der Inselstaat Tuvalu ist den Folgen des Klimawandels ausgeliefert. Wie die deutsche Regierung helfen könnte, erklärt Tuvalus Sondergesandter Samuelu Laloniu im Interview.

Herr Laloniu, Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehrere pazifische Inselstaaten, darunter auch Tuvalu, in einigen Jahrzehnten im Wasser versinken werden. Wie wirkt sich der steigende Meeresspiegel bereits jetzt auf Ihr Land aus?
Der Klimawandel hat verheerende Folgen für Tuvalu und die anderen Atollstaaten im Pazifik. Wir leben auf teils sehr engen Inselstreifen. Durch Erosion verlieren wir viel Land. Das bedeutet, dass die Bevölkerung auf dem verbleibenden Gebiet noch enger zusammenrücken muss. Die Regierung versucht, Sand aus der Lagune zu nutzen und die Küstenlinie durch Aufschüttung zu sanieren. Aber auch mit Blick auf das Meer als wichtigster Versorgungs- und Einkommensquelle unseres Landes erleben wir erhebliche Beeinträchtigungen.

Inwiefern?
Viele Menschen in Tuvalu leben von Fischerei und Landwirtschaft. Die Fischpopulation in Küstennähe ist durch die Erhöhung der Wassertemperatur, Wasserverschmutzung und stärkere Stürme zurückgegangen. Um zu fischen, muss man nun also weiter aufs Meer hinausfahren. Entsprechende Boote und den Treibstoff, der immer teurer wird, können sich viele aber nicht leisten.

Die Landwirtschaft leidet zum Beispiel darunter, dass durch Überschwemmungen die Nutzflächen und das Grundwasser verschmutzt werden. Wir müssen anpassen, welche Art von Pflanzen und wie wir anbauen.

Wie kann das konkret aussehen?
Im Durchschnitt liegen unsere Inseln weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel. Das heißt, das Land ist für Überflutung sehr anfällig. Es gibt mehrere Maßnahmen, mit denen wir Anbauflächen zu schützen versuchen. Durch Aufschüttung legen wir sie höher. Mit Plastikeinrahmung sichern wir sie gegen das Eindringen von verschmutztem Grundwasser.

Ein wichtiges Thema für uns ist auch die Wasserversorgung. Tuvalu hat keine Seen und Flüsse. Unsere einzige natürliche Wasserquelle ist der Regen. Daher arbeiten wir kontinuierlich daran, unsere Auffang- und Speicherkapazitäten zu optimieren.

Extreme Wetterereignisse treffen die kleinen Inselstaaten besonders heftig. Wie kann die Regierung die Bevölkerung schützen?
Bislang haben wir die Bewohner der besonders betroffenen Küstenregionen nur in Schutzräume gebracht, wenn Stürme drohten. Nun tun wir es auch bei allen Springfluten, die etwa zweimal im Jahr kommen.

Aber bei einem Land, das auf der Gesamtfläche so niedrig liegt wie Tuvalu, sind die sicheren Gebiete natürlich begrenzt. Wir arbeiten auch an neuen Ideen, wie wir unsere Häuser bauen. Zum Beispiel machen wir gerade Versuche mit erhöhten Bauten auf Stelzen.

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Mit welcher Zeitplanung arbeitet Ihre Regierung, was die Zukunft von Tuvalu betrifft?
Die Wissenschaftler sagen uns, dass im Laufe des Jahrhunderts alle Inseln komplett im Wasser versinken werden. Jedoch wird das Land bereits vorher unbewohnbar sein. Wir arbeiten also mit einem Zeitplan von einigen wenigen Jahrzehnten.

Verlassen viele Menschen bereits das Land?
Ja, die Abwanderung nimmt kontinuierlich zu. 12.000 Menschen leben derzeit auf unseren Inseln. 6000 Menschen aus Tuvalu wohnen in Neuseeland und etwa nochmal so viele auf den Fidschi-Inseln. Ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung lebt also bereits im Ausland.

Setzt Ihre Regierung Anreize, damit Menschen das Land schon jetzt verlassen?
Nein. Aber sie versucht, die Bürgerinnen und Bürger gut darauf vorzubereiten, wenn sie sich entscheiden, Tuvalu zu verlassen. Die staatlichen Stipendienprogramme für Universitäten im Ausland haben nicht mehr nur zum Ziel, junge Menschen für die Bedürfnisse unseres Landes auszubilden. Hauptziel ist eine besondere Qualifikation, mit der sie auch im Ausland gut unterkommen können.

Die Vorstellung, das eigene Land vollständig zu verlieren, hat unvorstellbare Folgen für uns. Was heißt das für unsere kulturelle Identität? Wird unsere gesamte Bevölkerung dann auf einmal staatenlos? Wo gehen wir hin?

Samuelu Laloniu

Wie kann sich ein Land auf den buchstäblichen Untergang vorbereiten?
Eine wichtige Säule für uns ist die Sicherung unseres kulturellen Erbes. Wir bauen derzeit ein digitales Archiv auf, in dem wir unsere Bräuche, unser Kulturgut sowie alles, was unseren Alltag auf den Inseln prägt, sichern.

Was bedeutet es für einen Staat, kein Territorium mehr zu haben?
Das ist eine sehr bittere Frage für uns als Volk. Die Vorstellung, das eigene Land vollständig zu verlieren, hat unvorstellbare Folgen für uns. Was heißt das für unsere kulturelle Identität? Wird unsere gesamte Bevölkerung dann auf einmal staatenlos? Wo gehen wir hin? Wird es eine Zwangsumsiedelung geben? Wie und mit wem können wir verhandeln, wie es danach für uns als Volk weitergeht?

Es sind viele Fragen, auf die es im Moment noch keine Antwort gibt. Niemand möchte sein Land verlassen. Jeder würde lieber da bleiben, woher er kommt.

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Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um Tuvalu nachhaltig zu unterstützen?
Alle Staaten müssen sich in der Klimapolitik engagieren, um das Schlimmste abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern. Eine Hauptursache des Klimawandels ist die Nutzung fossiler Energien. Die internationale Gemeinschaft muss stärker in grüne Technologien und alternative Energiequellen investieren.

Wir hoffen, mithilfe der deutschen Regierung noch größere Aufmerksamkeit dafür zu gewinnen, wie immens die Gefahren durch den Anstieg des Meeresspiegels sind. Und wir müssen rechtliche Klarheit schaffen.

In welcher Hinsicht?
Als das UN-Seerechtsübereinkommen 1982 verabschiedet wurde, war der Klimawandel, wie er sich heute darstellt, noch nicht absehbar. Damals wurde die Grundlage vereinbart, auf der sich die Seegrenzen berechnen. Steigt der Meeresspiegel an, verschieben sich die Berechnungspunkte in Richtung Küste und das maritime Hoheitsgebiet eines Staats würde theoretisch kleiner. Ist Tuvalu irgendwann komplett vom Wasser bedeckt, wäre unser Hoheitsgebiet – folgte man dieser Berechnung – verschwunden und der Staat Tuvalu hätte keinerlei Ansprüche mehr.

Was kann hier getan werden?
Wir brauchen dringend rechtlichen Bestandsschutz. Die ursprünglichen Seegrenzen müssen nach den geografischen Koordinaten beibehalten werden, um Ländern wie Tuvalu eine gewisse Planungssicherheit und Perspektive zu geben. Viele Länder unterstützen uns bereits bei dieser Initiative und wir hoffen, dass Deutschland sich anschließt.

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