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Protest in Tel Aviv gegen die geplante Justizreform in Israel.

© Imago/Zuma Wire/Eyal Warshavsky

Israels Präsident will vermitteln: Kann Isaac Herzog den Streit um Netanjahus Justizreform schlichten?

Trotz der Massenproteste hält Israels rechte Regierung an der Justizreform fest. Staatschef Herzog sieht eine „sehr schlimme Lage“ – und bemüht sich um einen Kompromiss.

Israel feiert in wenigen Wochen den 75. Jahrestag seiner Staatsgründung. Doch von festlicher Stimmung ist das Land sehr weit entfernt. Wie selten zuvor in seiner Geschichte ist der jüdische Staat tief gespalten. Einige warnen sogar vor bürgerkriegsartigen Zuständen, verursacht durch die von der rechts-religiösen Regierung unter ihrem Chef Benjamin Netanjahu vorangetriebene Justizreform.

Woche für Woche gehen Zehntausende dagegen auf die Straße, weil sie die Grundlagen der Demokratie in Gefahr sehen. „Crime-Minister“ nennen die Demonstranten den Premier.

Sogar US-Präsident Joe Biden hat jüngst in einem Telefonat mit Netanjahu seine „Sorge“ über den eingeschlagenen Kurs ausdrückt, der in Amerikas jüdischen Gemeinde auf massive Gegenwehr stößt.

Israels Staatschef Isaac Herzog

© dpa/Peter Klaunzer

Zu den vielen Beunruhigten gehört Israels Präsident Isaac Herzog. Die geplante Gesetzesänderung hält er für falsch, die Regierung müsse sie stoppen. Zu viel stehe auf dem Spiel.

„Wir sind in einer schlimmen, sehr schlimmen Lage“, sagt Herzog. Ein verfassungsrechtlicher und gesellschaftlicher Zusammenbruch sei keineswegs ausgeschlossen. Alles müsse getan werden, um dies zu verhindern.

Netanjahu hält die Justiz für zu mächtig

Herzog versucht es – als Vermittler zwischen unversöhnlich wirkenden Positionen. Denn Netanjahu ist ungeachtet des massiven Widerstands fest entschlossen, die Befugnisse der obersten Richter zu beschneiden, um nach seiner Lesart das Machtgleichgewicht zwischen Justiz und Parlament wiederherzustellen.

Ihn von seinem Kurs ganz abzubringen, dürfte sehr schwierig werden. Doch womöglich kann Netanjahu zu einem Kompromiss bewogen werden. Genau darum bemüht sich Herzog. Und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass der 62-Jährige am Ende zumindest einen Teilerfolg verbuchen kann.

Erst vor zwei Tagen erklärte sich die Regierung bereit, das Tempo bei der Umsetzung der Justizreform zu drosseln. So solle der Opposition ermöglicht werden, „echte Verhandlungen zu führen“.

Das dürfte Herzog Zeit geben, um seine Vermittler-Mission voranzutreiben. Dabei könnte ihm vor allem zugutekommen, dass er in Israel aufgrund seiner Familiengeschichte zum festen Bestandteil des politischen Establishments gehört.

Regierungschef Netanjahu behauptet, die Demokratie sei nicht in Gefahr. Zehntausende Israelis sehen das anders.

© dpa/Ohad Zwigenberg

Sein Vater Chaim war von 1983 bis 1993 Israels Präsident, der Großvater erster aschkenasischer Oberrabbiner des jüdischen Staats, der Onkel in den 60er Jahren enger Berater des Premiers Levi Eschkol.

Auf diese Ahnengalerie ist Isaac Herzog stolz. Dennoch war sein Aufstieg bis ins höchste Staatsamt kein Selbstläufer. Nach dem Jurastudium zog es ihn in die Knesset, das israelische Parlament. Mehrfach amtierte er als Minister.

„Plan des Volkes“ nennt er seinen Kompromissvorschlag

Im Jahr 2015 trat Herzog als Kandidat der linken Arbeitspartei bei der Wahl gegen Netanjahu an – und verlor. Dann übernahm er die Leitung der Jewish Agency, die sich um Einwanderung von Juden nach Israel kümmert. Ein Job zum Repräsentieren. Und eine gute Vorbereitung für den Höhepunkt seiner Karriere.

Mitte 2021 wurde Isaac Herzog zum elften Präsidenten Israels gewählt. Eine Aufgabe, die wie für ihn geschaffen ist. Über ein besonderes Charisma verfügt er zwar nicht. Aber man schätzt seine Nachdenklichkeit, das Abwägende und sein diplomatisches Geschick. Das sind wichtige Eigenschaften in einem ebenso zerstrittenen wie zerrissenen Land – gerade mit Blick auf die Justizreform.

Herzog sucht seit Wochen das Gespräch mit allen Beteiligten, sagt, er wolle Gegnern und Befürwortern zuhören, um so eine Einigung herbeizuführen. Ein erster Kompromissvorschlag, genannt „Plan des Volkes“, wurde von Netanjahu umgehend abgelehnt. Das muss allerdings nicht das Aus aller Bemühungen bedeuten. Durchhaltevermögen hat der Mann, den alle bei seinen Kosenamen „Bougie“ rufen, oft bewiesen.

Präsident aller Israelis wolle er sein, hatte Isaac Herzog zum Amtsantritt erklärt. Brücken bauen in einem polarisierten Staatswesen. Jetzt hat er die Chance, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Sein Erfolg wäre ein Sieg für ganz Israel. Und dann gäbe es womöglich am 14. Mai nicht nur die Gründung des jüdischen Staats zu feiern, sondern auch einen neuen Konsens über dessen demokratische Verfasstheit.

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