zum Hauptinhalt
Seit Samia Suluhu Hassans Regentschaft habe sich in Tansania vieles verbessert.

© AFP/Amanuel Sileshi

„Mama Samia“ gegen die Ewiggestrigen: Wie Tansanias Präsidentin ihr Land befreien will

Samia Suluhu Hassan ist die erste Staatschefin Tansanias – eine Hoffnungsträgerin vor allem für Frauen und Mädchen. Doch ihr steht ausgerechnet die eigene Partei im Weg.

In vielen Ländern Afrikas trägt die Revolution Uniform; es ist traurige Tradition. Zuletzt war es in Mali, Tschad und Burkina Faso wieder so weit, wo das Militär in den vergangenen zwei Jahren die Macht übernahm. Ganz anders in Tansania: Hier trägt die Revolution Sonnenbrille, bunten Hidschab und manchmal sogar Lippenstift.

Mit Samia Suluhu Hassan, genannt Mama Samia, kam 2021 nicht nur die erste Muslima, sondern auch die erste Frau in der Geschichte Tansanias ins Präsidentenamt. Seither mischt sie die Politik des ostafrikanischen Landes auf.

Mwanza, Ende Januar: Tausende Menschen haben sich in Tansanias zweitgrößter Stadt am Südufer des Victoriasees versammelt. Sie jubeln, strecken die Finger zum Victory-Zeichen in die Luft und färben die Straßen rot, blau, weiß – die Farben der Oppositionspartei Chama cha Demokrasia na Maendeleo („Partei für Demokratie und Fortschritt“), kurz Chadema.

Staatschefin Hassan erlaubt wieder oppositionelle Kundgebungen

Noch vor wenigen Tagen wäre ihre Versammlung wohl von der Polizei aufgelöst worden, vielleicht mit Schlagstöcken und Tränengas, wie es unter Ex-Präsident John Magufuli üblich war. Doch es sind andere Zeiten in Tansania angebrochen, was erneut spürbar wurde, als Staatschefin Samia Suluhu Hassan kurz nach Jahresbeginn oppositionelle Kundgebungen wieder erlaubte. Sechs Jahre lang hatten die Regierungsgegner öffentliches Auftrittsverbot – das verfügte Magufuli 2016 per Gesetz.

Der war 2015 mit dem Versprechen an die Macht gelangt, mit Tansanias verstaubter Verwaltung und Korruption aufzuräumen. Doch schon nach kurzer Zeit verwandelte der Populist, Spitzname „Bulldozer“, sein Land in eine Entwicklungsdiktatur.

Nachdem ich Präsidentin wurde, habe ich erkannt, wie dringend wir Versöhnung brauchen.

Samia Suluhu Hassan, Präsidentin von Tansania

Oppositionelle ließ er drangsalieren. Zeitungen wurden verboten und Impf-Befürworter während der Covid-Pandemie ins Gefängnis geworfen. Er selbst stieg zum größten Corona-Leugner seines Landes auf. Im März 2021 starb der Autokrat an Herzversagen, wie es offiziell hieß. Kritiker vermuten eine Covid-Infektion.

Über Nacht gelangte seine Vizepräsidentin durch Magufulis ominösen Tod ins Amt. „Nachdem ich Präsidentin wurde, habe ich erkannt, wie dringend wir Versöhnung brauchen“, sagte Hassan später. Die hat sie neben Wiederaufbau, Reformen und Widerstandsfähigkeit zu den Pfeilern ihrer Politik auserkoren. Im Englischen ist die Rede von den „vier Rs“ – Rebuilding (Wiederaufbau), Reconciliation (Versöhnung), Reforms (Reformen ) und Resilience (Widerstandsfähigkeit).

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die größte Errungenschaft von Hassans knapp zweijähriger Amtszeit ist die Abkehr vom repressiven, eigenbrötlerischen Kurs ihres Vorgängers: Sie tourt durch Ostafrikas Hauptstädte, um Tansania aus der Isolation zu holen, umwirbt Investoren und ließ sich zum Auftakt einer Massenkampagne vor den Kameras gegen Covid impfen.

Rückkehr aus dem Exil

„Hassan hat in vielen Bereichen für eine Öffnung gesorgt, das ist der Kern ihrer Regierungsführung und ihr Zugang zu politischen Differenzen“, sagt Ringisai Chikohomero, Forscher der panafrikanischen Denkfabrik „Institute for Security Studies“ (ISS). Als deutliches Zeichen dieser Öffnung wertet er die Rückkehr des Oppositionspolitikers Tundu Lissu.

September 2017: Seit mehreren Tagen beobachtet Tundu Lissu im Rückspiegel, wie ein fremdes Auto ihn verfolgt. An diesem Nachmittag, gerade als er in seine Parlamentarier-Residenz zurückkehrt, blockiert der Wagen seinen Weg. Vom obligatorischen Sicherheitsdienst: keine Spur. Zwei Männer springen heraus, feuern aus Maschinengewehren, treffen den Oppositionspolitiker 16-mal.

Hassan hat in vielen Bereichen für eine Öffnung gesorgt, das ist der Kern ihrer Regierungsführung und ihr Zugang zu politischen Differenzen.

Ringisai Chikohomero, Forscher der panafrikanischen Denkfabrik „Institute for Security Studies“ (ISS)

Wie durch ein Wunder überlebt Lissu. Doch aus Angst vor Verfolgung flieht er aus seiner Heimat und lebt fortan im Exil in Belgien – bis vor drei Wochen.

22
Prozent der Frauen in Tansania bekommen vor ihrem 18. Lebensjahr ein Kind

Ende Januar wurde Lissu von den Freudenrufen seiner Anhänger am Flughafen der Wirtschaftsmetropole Dar es Salaam begrüßt. Er beendete sein sechsjähriges Exil, nachdem Hassan bei einem Gespräch in Brüssel garantiert hatte, persönlich für seine Sicherheit zu sorgen. „Sie mag eine Präsidentin der (Regierungspartei) CCM sein, aber sie ist kein Magufuli“, sagte Lissu.

Einen Kurswechsel will die Präsidentin auch im Bildungswesen vollziehen. Tansanias Schwangerschaftsrate bei Teenagern zählt zu den höchsten der Welt; laut UNICEF bringen 22 Prozent der Frauen vor ihrem 18. Geburtstag ein Kind zu Welt. Als Konsequenz verlassen die meisten die Schule – das Ende ihrer Bildungslaufbahn.

Es wurden Hunderte politische Gefangene freigelassen, und die Medien berichten wieder vielfältiger.

 Tilmann Feltes, Landesdirektor der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dar es Salaam

Unter Magufuli war das auch so gewollt. Er hatte einen Schulverweis für Schwangere und junge Mütter erlassen. Nun ist Hassan dabei, seine drakonischen Regeln zurückzunehmen. Optimistisch sind neben Teenagerinnen auch einige Journalisten, nachdem die Präsidentin 2022 ein von ihrem Vorgänger auferlegtes Druckverbot von vier Zeitungen aufhob.

„Die Rahmenbedingungen haben sich in Tansania in der Tat geändert“, sagt Tilmann Feltes. Er ist Landesdirektor der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dar es Salaam und lobt den „regelmäßigen Dialog“, der heute wieder zwischen Regierung und Kritikern stattfinde.

Neuer Wind oder nur heiße Luft?

„Es wurden Hunderte politische Gefangene freigelassen und die Medien berichten wieder vielfältiger. In der Öffentlichkeit in Dar es Salaam wird zudem offener gesprochen – ähnlich wie es in Simbabwe der Fall war, als Präsident Mugabe verstarb“, sagt Feltes.

Sorge äußert er aber, dass sich auf Hassans Ankündigungen „in den meisten Bereichen noch nicht viel verändert hat“, was Magufulis strikte Gesetze anbelangt. Auch unter ihrer Aufsicht kam es wieder vereinzelt zu Zeitungsverboten und Festnahmen von Kritikern; der Oppositionsführer Freeman Mbowe musste acht Monate wegen Terrorismusvorwurfs in Haft.

Sie versucht, sich einen Namen zu machen und ihren eigenen politischen Karriereweg vorzugeben.

Politikwissenschaftler Ringisai Chikohomero über die Karrierebestrebungen der Präsidentin

Ob Hassan eine aufrichtige Reformerin sei oder nur politisch punkten wolle? Darauf antwortet Politologe Chikohomero mit: „Irgendetwas dazwischen. Sie versucht, sich einen Namen zu machen und ihren eigenen politischen Karriereweg vorzugeben.“ Als größtes Hindernis könnte sich Hassans eigene Partei erweisen. Die Chama cha Mapinduzi („Partei der Revolution“) regiert Tansania seit der Unabhängigkeit 1961 und zählt in ihrer haushohen Parlamentsmehrheit noch etliche Magufuli-Anhänger. An ihnen könnten die Reformen scheitern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Nichtsdestotrotz ist Anna Henga zuversichtlich. Sie ist Direktorin des „Legal and Human Rights Centre“ in Dar es Salaam. 2019 zwang sie Tansanias Regierung vor das Afrikanische Expertenkomitee für das Recht und Wohl von Kindern. Vor fünf Monaten ordnete dieses Quasi-Gericht Reformen an: Schwangere Schülerinnen dürften nicht länger vom Unterricht ausgeschlossen werden.

Erzwungene Schwangerschaftstests und Diskriminierung müssten enden. Aktivistin Henga ist optimistisch, dass Hassans Regierung das Urteil umsetzt, denn unter ihr herrsche nach Langem wieder der „politische Wille“. Generell habe sich die Menschenrechtssituation „zum Besseren gewandt“.

Mit ihrem Reformwillen hat Hassan eine Welle angestoßen, die nichts mehr aufzuhalten scheint – und im besten Fall auch die Ewiggestrigen in der CCM mitreißt. Die Regierungspartei ist durch das aufgemischte politische Spielfeld unter Druck.

„Ungebrochen“ scheint laut Feltes auch die Popularität des zurückgekehrten Oppositionsführers Lissu. „Er scheint der richtige Mann am richtigen Ort, um Chadema bei den nun erlaubten Versammlungen anzuführen. Zudem ist er Anwalt und Verfassungsexperte, beides Eigenschaften, die in den kommenden Jahren für den politischen Prozess in Tansania wichtig erscheinen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false