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Eine Sensation: EU-Ratspräsident Charles Michel verkündet den Beschluss der Mitgliedstaaten.

© REUTERS/Johanna Geron

Orbán verließ den Saal: EU beschließt den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau

Die EU-Mitgliedstaaten müssen einstimmig über den Beginn von Beitrittsgesprächen entscheiden. Doch Ungarn wollte dies nicht mittragen – sodass es auf dem EU-Gipfel nun zu einem ungewöhnlichen Vorgehen kam.

Gipfel der EU, bei denen es hoch hergeht – davon gibt es viele – laufen normalerweise folgendermaßen ab: Die Staats- und Regierungschefs diskutieren bis nachts um zwei und beschließen dann ein Formulierungskompromiss, der eigentlich keine Einigung ist, aber als solche verkauft wird. Oder sie brechen den Gipfel um diese Zeit ergebnislos ab und diskutieren am nächsten Morgen in offizieller Runde weiter.

Oder die Fronten sind von vornherein derart verhärtet, dass das offizielle Treffen der EU-Führungsspitze mit Verspätung beginnt, weil es vorher Schlichtungsversuche auf ganz hoher Ebene gibt. Bei dem derzeit in Brüssel stattfindenden Gipfel war genau das der Fall.

Der Grund ist der ungarische Premier Viktor Orbán und seine Blockadehaltung in der Ukraine-Politik. Der Gipfel zum Jahresende soll ein historischer sein: der, auf dem der Staatenverbund beschließt, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beginnen. Dieser Beschluss muss einstimmig getroffen werden. Und alle Mitgliedstaaten sind dafür – außer: Ungarn.

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Somit liefen Überzeugungsarbeiten, auch in Form von Geld: Am Mittwochabend gab die EU-Kommission wegen Rechtsstaatlichkeitsmängeln eingefrorene zehn Milliarden Euro wieder frei. „Unsere Position ist klar, und wir werden sie nicht aufgeben“, ließ Orbán dennoch zum Auftakt des Gipfels verlauten und veröffentlichte in den sozialen Netzwerken ein Video mit seinem Statement, unterlegt mit dramatischer Musik und Schnittbildern des Gipfels.

Überraschender Durchbruch

Und dann, ganz überraschend, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am frühen Donnerstagabend auf der Plattform X: „ Der Europäische Rat hat beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen.“ Der EU-Gipfel habe zudem Georgien den Kandidatenstatus zuerkannt, schrieb Michel weiter. Die EU werde Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufnehmen, „sobald das erforderliche Maß an Übereinstimmung mit den Beitrittskriterien erreicht ist“, hieß es. „Ein deutliches Signal der Hoffnung für die Menschen dort und für unseren Kontinent“, fügte der EU-Ratspräsident hinzu.

Das alles passierte so plötzlich, dass Ratspräsident Michel in den Arbeitssaal der Journalisten kam, um Fragen zu beantworten – was nie ein hochrangiger Politiker tut – statt eine Pressekonferenz in dem dafür normalerweise genutzten Saal einzuberufen.

Das ist ein Sieg für die Ukraine. Ein Sieg für ganz Europa. Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt.

Wolodymyr Selenskyj, ukrainischer Präsident

Wie kam es zu dem plötzlichen Durchbruch? Um die Verwirrung komplett zu machen, postete Orbán auf Facebook: „Die EU-Mitgliedschaft in der Ukraine ist eine schlechte Entscheidung. Ungarn will an dieser schlechten Entscheidung nicht teilnehmen.“ Laut EU-Diplomaten habe Orbán den Raum verlassen, als die Staats- und Regierungschefs über die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen abstimmten. Ein legales Vorgehen.

„Das ist ein Sieg für die Ukraine“, kommentierte Präsident Wolodymyr Selenskyj Charles Michels Ankündigung auf X. „Ein Sieg für ganz Europa. Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt.“

Im Vorhinein hatte es nicht danach ausgesehen, als könnte es auf dem Gipfel eine Einigung geben. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas sagte zum Auftakt des EU-Spitzentreffens, sie sei nicht sehr optimistisch. Sie warnte, dass die Staats- und Regierungschefs notfalls „bis Weihnachten“ reden werden. 

Der niederländische Premier Mark Rutte sagte, es ergebe sich tatsächlich das Bild von 26 Mitgliedstaaten gegen einen einzelnen. „Aber wir sitzen nicht hier, um Orbán etwas anzubieten.“ Journalisten im Justus-Lipsius-Gebäude des Rates in Brüssel stellten sich bereits auf einen mehrtägigen Gipfel ein. Es kam ganz anders.

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