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Tal Becker, Rechtsberater des Außenministeriums von Israel, sitzt bei einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), wo Israel erstmals zu dem Vorwurf des Völkermordes im Gazakrieg Stellung nehmen soll.

© dpa/REMKO DE WAAL

Prozess am Internationalen Gerichtshof: Wie Israel den Völkermord-Vorwurf zurückweist

Gibt es in Gaza einen Genozid, der von Israel verübt wird? Der Rechtsvertreter des jüdischen Staats bestreitet das – Israel führe Krieg gegen die Hamas, nicht gegen die Palästinenser.

Israel hat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) den Vorwurf des Völkermords im Gazakrieg entschieden zurückgewiesen. Die von Südafrika erhobenen Anschuldigungen seien haltlos und absurd, sagte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, am Freitag in Den Haag.

Die Opfer des Gazakrieges und das Leiden der Zivilbevölkerung gingen allein auf das Konto der Terrororganisation Hamas: „Israel ist im Krieg mit Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk.“ Becker rechtfertigte die Angriffe im Gazastreifen mit dem Recht Israels auf Selbstverteidigung nach dem Angriff der Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober vergangenen Jahres.

Becker schilderte die Massaker, bei denen rund 1200 Menschen getötet und etwa 240 aus Israel entführt worden waren, von denen bislang etwa die Hälfte wieder freigelassen wurde. „Israel will kein Volk zerstören, sondern ein Volk schützen, sein eigenes“, sagte der Rechtsberater.

„Israel hat zutreffend auf bestimmte Schwachpunkte des südafrikanischen Antrags hingewiesen“, sagt Kai Ambos, Professor für Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Eine Vernachlässigung des andauernden bewaffneten Konflikts zwischen Israel und der Hamas, der von deren Angriff am 7. Oktober ausgelöst wurde, wobei diese aber nicht Beteiligter des Verfahrens ist; die Selektivität der von Südafrika angeführten Stellungnahmen und die Irrelevanz vieler dieser Stellungnahmen, weil sie Israel als Staat nicht zugerechnet werden und damit auch keine genozidale Absicht des Staates Israels begründen können.“

Israel werfe Südafrika also vor, ihm über den Umweg der Genozidkonvention sein Recht auf Selbstverteidigung nehmen zu wollen, ohne aber gleichzeitig die Kampfhandlungen der Hamas in irgendeiner Weise zu beschränken, sagt Ambos.

Es ist das erste Mal, dass sich Israel vor dem höchsten UN-Gericht einem Völkermord-Vorwurf stellen muss. Das Gericht, das Konflikte zwischen Staaten klären soll, befasst sich zunächst mit einem Eilantrag Südafrikas, dass die Richter ein Ende des Militäreinsatzes anordnen sollen. Israel wies diese Forderung zurück. Damit würde dem Land das Recht auf Selbstverteidigung genommen.

Absichtliche Zerstörung des Lebens der Palästinenser?

Südafrika hatte die Klage unter Berufung auf die Völkermordkonvention eingereicht, die auch Israel unterzeichnet hat. Die militärische Gewalt ziele auf eine absichtliche Zerstörung des Lebens der Palästinenser, erklärte Südafrika.

Doch vorerst geht es um die einstweilige Anordnung, die Südafrika beantragt hat. Dafür reicht es, dass für die Richter die Annahme plausibel ist, dass es Verstöße gegen die Völkerrechtskonvention geben könnte. Dazu wird in wenigen Wochen ein Beschluss erwartet. Danach folgt das Hauptsacheverfahren, für das beide Seiten rund ein Jahr Zeit haben, ihre Schriften einzureichen.

Die Hauptsache-Entscheidung könne ganz anders ausgehen als mögliche einstweilige Anordnungen oder Eilmaßnahmen des Gerichts, sagt Kai Ambos.

„Schon deshalb, weil da viel strengere Anforderungen an den Nachweis des Genozid-Vorwurfs zu stellen sind. Insbesondere muss sich aus den vorgelegten Beweisen die genozidale Absicht als ‚einzige mögliche‘ Schlussfolgerung ergeben“, betont Ambos.

Der Nachweis von Völkermord muss hohe Anforderungen beim IGH erfüllen. „Südafrika müsste nicht nur zeigen, dass Israel bestimmte verbotene Handlungen – etwa Tötungen von Palästinensern – ausgeführt hat. Es müsste auch die Absicht nachweisen, das palästinensische Volk zumindest teilweise auslöschen zu wollen“, sagt Pierre Thielbörger, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

„Diese besonders intensive Form des Vorsatzes – die Absicht – müsste zum Beispiel durch Aussagen von Entscheidungsträgern eindeutig belegbar sein.“ Diesen Nachweis werde Südafrika nur schwer erbringen können, glaubt Thielbörger.

Der IGH, der im historischen Friedenspalast in Den Haag seinen Sitz hat, ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen und soll bei Konflikten zwischen Staaten Recht sprechen. Anders als beim Internationalen Strafgerichtshof, der ebenfalls in Den Haag angesiedelt ist, wird beim IGH nicht gegen Einzelpersonen verhandelt. (mit dpa)

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