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Google-Büro in New York: Die US-Wirtschaft ist seit dem Jahr 2000 um 50 Prozent gewachsen.

© Getty Images/Corbis/VIEW press

Die USA als Vorbild: Die deutsche Wirtschaft muss moderner werden

Die Stärke der US-Wirtschaft liegt in ihrer Dynamik. Das zeigt der Bundesregierung: Es braucht mehr Innovation, Gründungen und Bildung, analysiert Wissenschaftler Volker Wieland.

Ein Gastbeitrag von Volker Wieland

Viele Ökonomen werten es als Alarmzeichen: US-Präsident Joe Biden zahlt Milliardensubventionen, um die deutsche Industrie ins Land zu locken, wohingegen die deutsche Wirtschaft in die Rezession rutscht. Wirtschaftsminister Robert Habeck beschwichtigt: Das liege lediglich am Ukrainekrieg und den gestiegenen Energiekosten. Mit Industriestrompreis und Milliardensubventionen werde Deutschland die Krise schon meistern.

Besser als Beschwichtigungen wäre allerdings ein Blick darauf, welche ökonomischen Werte diesseits und jenseits des Atlantiks seit der Jahrtausendwende geschaffen wurden. Auf den ersten Blick hat sich Deutschland gut geschlagen: Die Wirtschaftsleistung ist von 2000 bis 2021 kaufkraftbereinigt um 25 Prozent gewachsen. 

Die industrielle Wertschöpfung stieg um 32 Prozent. Die deutsche Industrie hat also bei Weitem den größten Wachstumsbeitrag geliefert, gut sieben Prozentpunkte.

Die US-Industrie ist doppelt so stark gewachsen wie die deutsche

In den USA ist das Bruttoinlandsprodukt in der Zeit aber um 50 Prozent gewachsen – doppelt so viel wie hierzulande. Die Wertschöpfung in der US-Industrie hat um 40 Prozent zugelegt. Gamechanger war der Sektor Information und Kommunikation: Er hat sich verdreifacht. Viele der jetzt größten Unternehmen existierten im Jahr 2000 noch gar nicht. Dieser Sektor lieferte den größten Wachstumsbeitrag mit gut zehn Prozentpunkten.

Es stimmt weder, dass die US-Industrie abgebaut hat, noch dass Subventionen eine Trendwende eingeläutet hätten. Der Anteil der Industrie an der US-Wirtschaftsleistung sinkt, weil andere Bereiche, insbesondere hochproduktive Dienstleistungen, sehr viel stärker zugelegt haben.

Zudem ist die Zahl der Gründungen in den USA seit 2019 um 50 Prozent gestiegen, getrieben vor allem durch digitale Geschäftsfelder.  

Wärmepumpen und Wasserstoff entfachen kein Wirtschaftswunder

In Deutschland hingegen wackelt das wichtigste Standbein schon länger. Die Industrieproduktion hat ihren Höhepunkt 2018 erreicht, seitdem ist die industrielle Wertschöpfung um vier Prozent gesunken. Zuerst hat die Autoindustrie gelitten, jetzt sind es energieintensive Industrien.

Zudem fehlt in Deutschland eine dynamischere Entwicklung anderer Branchen. Information und Kommunikation sind in den vergangenen zwei Dekaden zwar gewachsen, haben aber nur rund 3,5 Prozentpunkte zum Wachstum beigesteuert. Aktuell stagniert die Wirtschaft oder schrumpft. 

Die Misere allein dem russischen Angriffskrieg anzulasten, ist verfehlt. Wärmepumpen statt Gasheizung und Wasserstoff statt Erdgas werden kein neues Wirtschaftswunder entfachen.

 40
Prozent hat die Wertschöpfung in der US-Industrie zugelegt.

Es gilt vielmehr, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands grundlegend zu stärken und neue Wachstumskräfte zu entfesseln. Ziel muss sein, dass das bisher erfolgreiche Standbein Industrie neue Kraft schöpft und die Chancen steigen, dass andere Branchen explosiv wachsen.

Für die Industrie heißt dies, nicht Symptome mit Subventionen zu maskieren, sondern die Probleme bei der Energieversorgung, der hohen Steuer- und Abgabenlast, der überbordenden Bürokratie und dem Fachkräftemangel anzugehen.  

Innovationen, Gründungen und Bildung fördern

Dass Unternehmen auch heute in Deutschland rapide wachsen können, zeigt der Erfolg von Biontech bei der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen. Große Innovationen werden eben nicht am Schreibtisch im Bundeswirtschaftsministerium entdeckt.

Es hilft nicht weiter, mit Milliardensubventionen einigen „Champions“ die Kosten für eine Produktionsstätte weitgehend abzunehmen. Verfügbare Mittel sollten das Umfeld für Spitzenforschung und Innovationen, für neue Technologien, Start-ups und Unternehmensgründungen, für Bildung und Investitionen in Humankapital aufwerten.  

Gefordert ist radikaler Pragmatismus in Gesetzgebung und Verwaltung. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, wir könnten Wohlstand und Beschäftigung, Klima-, Umwelt-, Arten-, Daten- und Nachbarschaftsschutz ohne Zielkonflikte maximieren. 

Verfügbare Mittel sollten das Umfeld für Forschung und Innovation aufwerten.

© AdobeStock/Bazava

Dies muss schon die Gesetzgebung berücksichtigen und priorisieren. Aktuell bremst überzogener Datenschutz neue digitale Geschäftsmodelle aus. Perfekter Umweltschutz und „Not-in-my-backyard“-Proteste verhindern den Ausbau von erneuerbaren Energien und Netzinfrastruktur.

In der Umsetzung gilt es Gerichts-, Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren massiv zu beschleunigen. Dafür müssen die Regulierung vereinfacht und Verfahren weitgehend automatisiert werden.

Pragmatische Lösungen für die Energiekrise

Pragmatismus bei Energieversorgung und Klimaschutz heißt, CO2-arme Technologien möglichst stark und effizient zu nutzen. Kernkraftwerksbetrieb, Schiefergasförderung sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung zu erlauben, ist für andere Länder längst Usus – und würde den deutschen Staat erst mal gar nichts kosten.

Als zentrales Klimaschutzinstrument auf den CO2-Preis zu setzen, und den Handel mit Emissionszertifikaten auf Gebäude und Verkehr auszuweiten, würde Emissionen kostengünstig reduzieren und zusätzliche Einkünfte bringen. Die wiederum könnten genutzt werden, um die Infrastruktur auszubauen und Anreize für Innovationen und Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu schaffen.

Der Standort Deutschland braucht keine Symptombehandlung, sondern eine pragmatische Angebotspolitik.

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