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Die EU will die Überwachung von Journalisten ermöglichen.

© dpa/Oliver Berg

Spähsoftware zur Überwachung von Journalisten: EU plant die „Blankovollmacht“

Wenn es im Interesse der „nationalen Sicherheit“ ist, wollen die EU-Staaten die staatliche Überwachung von Journalisten und ihren Gesprächspartnern zulassen.

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Die EU-Staaten wollen die staatliche Überwachung von Journalisten und ihren Gesprächspartnern einschließlich des Einsatzes von Spähsoftware zulassen, wenn die Sicherheitsbehörden dies für nötig halten. Das geht aus Unterlagen zu den Verhandlungen über das geplante Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) hervor, die dem Rechercheteam Investigate Europe und der Redaktion netzpolitik.org vorliegen.

Das Gesetzesvorhaben soll eigentlich dazu dienen, Journalisten und Medien gegen die politische Lenkung ihrer Berichterstattung durch Regierungen oder Eigentümer zu schützen. Dadurch ist nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in vielen weiteren EU-Staaten zusehends die Meinungsfreiheit und Medienvielfalt gefährdet, wie die Autoren des jährlich erstellten Media Pluralism Monitor vom European University Institute in Florenz seit Langem warnen.

Unverzichtbar für kritische und unabhängige Berichterstattung ist, dass Journalisten sich und ihre Quellen vor Überwachung schützen können, auch der durch staatliche Behörden. Darum verbietet der Artikel 4 des EMFA-Gesetzentwurfs ausdrücklich Zwangsmaßnahmen gegen Journalisten, um zu erreichen, dass sie ihre Informationsquellen preisgeben. Auch die Überwachung ihrer Kommunikation und der Einsatz von „Spyware“ auf ihren Rechnern und Telefonen wäre verboten.

EU-Staaten unter Vorwand bereits gegen kritische Journalisten vorgegangen

Doch im Rat der EU, wo die Vertreter der nationalen Regierungen über die von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzentwürfe unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln, forderte die Regierung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine gewichtige Ausnahme. Sie könnte, wie jüngere EU-Spionageskandale zeigten, die Umkehrung des Gesetzesartikels in sein Gegenteil bedeuten. Die Ausforschung von Journalisten und der Einsatz von Spähsoftware gegen sie soll nämlich, so die Forderung aus Paris, erlaubt sein, wenn es die „nationale Sicherheit“ erfordert.

Mit ebendieser Begründung hatten in den Vorjahren die Regierungen in Griechenland, Bulgarien und Ungarn auch die Überwachung von Journalisten gerechtfertigt, die über Finanzskandale und Korruption im Staatsapparat berichteten. In allen drei Ländern fanden die Betroffenen dann die Überwachungsprogramme „Pegasus“ und „Predator“ auf ihren Mobiltelefonen.

In Spanien gingen die Behörden mit der gleichen Technik auch gegen Journalisten vor, die über die katalanische Unabhängigkeitsbewegung berichteten. Das EU-Parlament setzte daher eigens einen Untersuchungsausschuss zum Thema ein und forderte, den Verkauf von Spähsoftware so lange zu verbieten, bis rechtlich klar definiert ist, in welchen Ausnahmefällen der Staat sie einsetzen darf.

Doch das kümmert die EU-Regierungen offenbar wenig. Auch die deutsche Bundesregierung und die Regierungen der Niederlande, Tschechiens, Luxemburgs und Griechenlands schlossen sich ausdrücklich der französischen Forderung an. „FRA, DEU, CZE, NDL, LUX und GRC sprachen sich zu Artikel 4 für eine Bereichsausnahme zur nationalen Sicherheit aus“, notierte der deutsche Protokollant der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates am 17. April.

Und keine der übrigen EU-Regierungen legte Widerspruch ein. Darum fügte die schwedische Regierung, die zurzeit den Vorsitz im Rat führt, kurzerhand einen Absatz hinzu, wonach der Schutzartikel 4 „nicht die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für die nationale Sicherheit“ berühre, wie es in der jüngsten Version des Gesetzentwurfes heißt.

„Vorschlag ohne Bestimmungen zum Schutz der Grundrechte“

Auf Nachfrage erklärte der Sprecher der zuständigen grünen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, der umstrittene Zusatz solle lediglich „sicherstellen“, dass die im EU-Vertrag „bestimmten Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben“.

Doch das ist irreführend, urteilt der europäische Journalistenverband. Anders als die EU-Verträge „enthält der derzeitige Vorschlag des Rates keine Bestimmungen zum Schutz der Grundrechte“, hält er dem Argument entgegen. So ganz wohl ist daher vermutlich auch der Ministerin nicht.

In den weiteren Verhandlungen sei es „auch unser Interesse, dass hier keinesfalls ein Einfallstor für ungerechtfertigte Beschränkungen der Medienvielfalt geschaffen wird“, versichert ihr Sprecher. Wer das Tor wieder schließen wird, sagt Roth allerdings nicht.

Dem griechischen Journalisten Thanasis Koukakis stößt das bitter auf. Im Zuge der Enthüllungen über die unkontrollierte Verbreitung von Spionagesoftware kam heraus, dass auch auf seinem Smartphone im Sommer 2021 das Abhörprogramm „Predator“ installiert war, während er über Geldwäsche und Korruption bei der griechischen Großbank Piraeus recherchierte. Zuvor hatte er schon erfahren, dass der griechische Geheimdienst ihn überwachte.

Mein Fall zeigt, wie einfach es ist, die nationale Sicherheit als Vorwand zu benutzen, um Journalisten und ihre Quellen zu bedrohen.

Journalist Thanasis Koukakis, wurde von der griechischen Regierung ausgespäht

„Mein Fall zeigt, wie einfach es ist, die nationale Sicherheit als Vorwand zu benutzen, um Journalisten und ihre Quellen zu bedrohen“, sagt Koukakis. Wenn die EU tatsächlich ein Gesetz beschließe, „das ohne externe Kontrolle und öffentliche Überprüfung solche Maßnahmen legalisiert, wäre das sehr enttäuschend. Das wäre nicht das Europa der EU-Grundrechtecharta“, warnt er.

Sophie in’t Veld, die niederländische Liberale, die im EU-Parlament den Untersuchungsausschuss führte, hält den Plan der EU-Staaten denn auch für eine „Katastrophe“. Der Begriff der nationalen Sicherheit diene da nur als „Blankovollmacht“. Tatsächlich bedürfe es eines „klaren rechtlichen Rahmens“. Das meint auch Katarina Barley, SPD-Abgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments.

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Zwar müsse es möglich sein, bei drohenden schweren Straftaten auch die Angehörigen geschützter Berufe wie Journalisten und Anwälte zu überwachen. Aber dafür müsse es immer „eine unabhängige Instanz“ geben, „die in jedem Einzelfall prüft, ob konkrete Verdachtsmomente vorliegen“.

Und selbstverständlich müsse es eine spätere Kontrolle geben, ob die Überwachung gerechtfertigt war. „Pauschale Ausnahmen ohne weitere Vorkehrungen gehen gar nicht“, mahnt Barley.

Genau das aber wollen die EU-Regierungen schon nächste Woche beschließen. Es sei gut möglich, dass eine Mehrheit im Parlament bei den abschließenden Verhandlungen mit dem Rat durchsetze, dass diese Ausnahme doch noch einen strikten Rechtsrahmen bekommt, sagt Barley. „Aber sicher ist das nicht.“

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