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Recep Tayyip Erdoğan will die Parlaments- und Präsidentenwahlen trotz der Erdbebenkatastrophe abhalten lassen.

© action press/Mustafa Kaya

Wahlen in der Türkei: Erdoğan tritt die Flucht nach vorne an

In der Erdbebenregion beschimpfte ein Bündnispartner des Präsidenten Überlebende, Erdoğan will trotz Kritik wie geplant wählen lassen. Findet die Opposition bis Mai einen Kandidaten?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will am 14. Mai wählen lassen, obwohl seine Regierung wegen der Erdbebenkatastrophe in den Umfragen zurückgefallen ist. Der enge Zeitplan bis zur Wahl setzt die Opposition unter Druck: Sie hat noch keinen gemeinsamen Kandidaten benannt, der in zehn Wochen gegen Erdoğan antreten soll.

Die Chefs von sechs Oppositionsparteien, die ein Bündnis gegen Erdoğan geschmiedet haben, kamen am Donnerstag in Istanbul zusammen, um über die Kandidatenfrage zu beraten. Selbst bei einer sofortigen Einigung im Oppositionslager bleiben dem Kandidaten nur noch gut zehn Wochen für den Wahlkampf gegen Erdoğan.

Während die Opposition noch diskutiert, hat sich Erdoğan bereits eine Wahlstrategie zurechtgelegt. Nicht die Regierung, sondern die Opposition trage die Verantwortung für den Tod von 45.000 Menschen bei der Erdbebenkatastrophe vom Februar, sagte der Präsident jetzt.

45.000
Menschen starben bei dem verheerenden Erdbeben im Februar in der Türkei

Kritik, seine Regierung habe vor schweren Baumängeln die Augen verschlossen, wehrt Erdoğan ab, obwohl er seit 20 Jahren das Land regiert: Die Opposition habe staatliche Stadterneuerungsprojekte gerichtlich verhindert, argumentiert er. Deshalb hätten viele Menschen in schlechten Gebäuden in den Innenstädten wohnen müssen.

Kritiker werfen dem Präsidenten seit Jahren vor, mit den Erneuerungsprojekten regierungsnahen Unternehmern zu Baugrundstücken in bester Lage zu verhelfen und dafür gewachsene Stadtviertel zu zerstören.

Erdoğans Wahlstrategie läuft außerdem darauf hinaus, mit dem raschen Abriss und Neubau hunderttausender zerstörter Häuser in den Unglücksprovinzen „die Spuren des Erdbebens in kurzer Zeit zu tilgen“, wie er sagt. Innerhalb eines Jahres sollen die neuen Häuser bezugsfertig sein.

Selbstkritik ist nicht erkennbar

Bei einem Besuch im Erdbebengebiet diese Woche hatte Erdoğan die Betroffenen um Vergebung für die Verspätung bei der staatlichen Hilfe gebeten. Mehr Selbstkritik lässt er nicht erkennen.

Geologen, Architekten und Bauingenieure hatten seit Jahren auf die vielen Baumängel in der jetzt verwüsteten Region hingewiesen, doch Erdoğans Regierung ließ 2018 mit einer Amnestie tausende baufällige Gebäude für bewohnbar erklären.

Jetzt ist hier Ruhe! Geht nach Hause.

schrie Devlet Bahçeli, Chef der Nationalistenpartei Erdbebenopfern entgegen

Seit dem Erdbeben gerät auch der staatliche Rote Halbmond unter Druck, weil er Zelte für Erdbebenopfer an eine private Hilfsorganisation verkaufte, statt sie kostenlos an Betroffene zu verteilen. Auch Blutspenden sollen vom Halbmond verkauft worden sein.

Regierung verliert Unterstützung, Opposition dennoch unsicher

Erdoğans Regierung reagiert nervös auf die Kritik. Nationalistenchef Devlet Bahçeli, der Bündnispartner des Präsidenten, beschimpfte vor laufenden Kameras eine Gruppe von Erdbebenopfern in der verwüsteten Stadt Elbistan. „Jetzt ist hier Ruhe! Geht nach Hause“, fuhr er die Überlebenden an.

Der prominente Erdbebenforscher Ahmet Ercan wurde vorübergehend festgenommen, weil er Verzögerungen beim Einsatz der Armee nach der Katastrophe kritisiert hatte.

Die Unterstützung für die Regierungsallianz aus Erdoğans Partei AKP und Bahçelis MHP ist laut Umfragen seit dem Erbeben vom Februar zurückgegangen.

Manche Demoskopen wenden aber ein, dass die Wut der Wähler über Pfusch am Bau und verspätete Erdbebenhilfe des Staates nicht automatisch dazu führen werde, dass sie sich von Erdoğan abwenden.

Der Meinungsforscher Bekir Ağırdır sagte der Nachrichtenplattform T24, AKP und MHP dürften am 14. Mai zwar ihre Mehrheit im Parlament verlieren. Bei der gleichzeitigen Präsidentenwahl habe Erdoğan allerdings noch eine Chance auf den Sieg.

Das Zögern der Opposition spielt dem Präsidenten in die Hände. Bei dem Treffen am Donnerstag ging es vor allem um die Frage, ob Kemal Kılıçdaroğlu, der Chef der linksnationalen Partei CHP, für die Opposition antreten wird.

Kılıçdaroğlu hat als Vorsitzender der größten Oppositionspartei zwar ein Vorrecht auf die Kandidatur, doch bezweifeln viele Oppositionspolitiker, dass er die Wahl gewinnen kann. Deshalb dringen manche Politiker im Oppositionsbündnis auf eine Kandidatur des Bürgermeisters von Ankara, Mansur Yavaş.

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