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Eternithaus, Ausstellungsraum von „Conceptual Substance“.

© Tina Roeder

„Conceptual Substance“ im Hansaviertel: Man sagt nicht mehr „Büro“ oder „Studio“

Parallel zum Gallery Weekend kuratiert die Berliner Designerin Tina Roeder eine Ausstellung im Eternithaus – und hebt Grenzen zwischen Kunst, Design und Architektur auf.

Wörtlich übersetzt, ist die Utopie ein Ort, den es nicht gibt. Ein Nicht-Ort. Auch wenn wahrscheinlich niemand vor der Utopie zurückschreckt, weil sie eine Verneinung impliziert, steht die Übersetzung nahezu symptomatisch für unsere schnelllebige Zeit: Eine Zeit, in der es nur wenig Raum für Visionen gibt, weil jede neue Entwicklung von einer neuen „neuen Entwicklung“ abgelöst wird.

Zum Gallery Weekend wird es dennoch einen Ort geben, der sich abseits von neuen „Kunst-Entwicklungen“, mit künstlerischen Visionen auseinandersetzt. Passenderweise findet diese Auseinandersetzung in einem Gebäude statt, das entstand, weil Berlin irgendwann einmal bewusst einen Raum für Visionen schuf.

Das Eternithaus wurde 1957 im Rahmen der Interbau, der internationalen Bauausstellung, von Paul Baumgarten errichtet. Es ist Teil des denkmalgeschützten Ensembles südliches Hansaviertel, das exemplarisch für eine ästhetisch zurückhaltende Aufbruchsstimmung im Nachkriegsdeutschland steht. Normalerweise ist das Haus für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Jetzt aber kann es von Freitag bis Sonntag besucht werden. Eine Berliner Designerin und Künstlerin tritt hier als Kuratorin auf.

Zum zweiten Mal initiiert Tina Roeder ihr Ausstellungsprojekt „Conceptual Substance“. Das erste Mal war 2009, vor 14 Jahren also, der thematische Schwerpunkt hat sich der Zeit angepasst, ihr Grundanliegen ist unverändert: Roeder will kreative Lösungsansätze vorstellen, die transdisziplinär von Designer:innen, Künstler:innen und Architekt:innen entworfen werden. So kryptisch wie diese Beschreibung ist auch der Ausstellungstitel „Conceptual Substance“.

Gezeigt werden Objekte, Videos und Entwürfe aus Kunst, Design und Architektur.
Gezeigt werden Objekte, Videos und Entwürfe aus Kunst, Design und Architektur.

© Tina Roeder, Studio Manuel Raeder

„Conceptual“ beziehe sich auf „konzeptuelle Kunst“, erklärt Roeder, meint also, dass eine Idee der Form zwar nicht untergeordnet, aber vorangestellt sei. „Substance“, die Substanz, bezieht sich auf die gezeigten „Practices, insgesamt 16 an der Zahl. Wieder so ein Wort, das aus dem Englischen kommt. Es soll transdisziplinäres Arbeiten unterstreichen: Viele Kunstateliers, Architekturbüros und Designstudios würden es heute vorziehen, sich im Raum der sogenannten „Praxis“ zu verorten, weil sie einordnende Worte wie „Atelier“, „Büro“ oder „Studio“ vermeiden wollten. Es sei ihnen wichtig, fachliche Grenzen zu sprengen.

Ein exemplarisches Beispiel ist die Arbeit der architectural practice „Something Fantastic“. Zu sehen ist eine per Video aufgezeichnete „Performance“, die während eines Aufenthalts ins Rom geschah: Beim Trinken des abendlichen Aperitifs auf der Straße füllen junge Römer nebenbei Wasser aus einem öffentlichen Brunnen ab und gießen damit einen Baum. Daraus entstand eine Kampagne, die darum wirbt, es den Römern gleichzutun und zu gießen. Ein lockerer Lösungsansatz für besseres Stadtklima.

Tina Roeder absolvierte ihr Studium am Londoner Central Saint Martins College für Kunst und Design und erwarb 2004 ihren Master-Abschluss an der Design Academy Eindhoven. Sie sammelte praktische Erfahrungen bei „Studio Job“ in Antwerpen, bevor sie 2007 ihr eigenes Studio gründete. Roeder lebt und arbeitet in Berlin.
Tina Roeder absolvierte ihr Studium am Londoner Central Saint Martins College für Kunst und Design und erwarb 2004 ihren Master-Abschluss an der Design Academy Eindhoven. Sie sammelte praktische Erfahrungen bei „Studio Job“ in Antwerpen, bevor sie 2007 ihr eigenes Studio gründete. Roeder lebt und arbeitet in Berlin.

© Pedro Gething

Es stellt sich die Frage, ob diese lösungsorientierten Ansätze aus „Conceptual Substance“ nicht doch eine reine Designausstellung macht. Roeder relativiert: „Gemeinhin ist die Funktion das, was Architektur und Design von Kunst unterscheidet“, deswegen zeige sie aber ganz bewusst so viele unterschiedliche Arbeiten, weil es nicht immer um konkrete Funktionen gehe. Oder anders ausgedrückt: Vieles kann eine Funktion haben, sie muss aber nicht immer praktisch sein, um eine relevante Position darzustellen.

Das ausgestellte Objekt der Designerin Audrey Large ist ein anderes Beispiel: Eine Art expressiver Tisch, der als Tisch vollkommen dysfunktional ist, als Skulptur aber konzeptuelle Themen behandelt und somit als Kunstwerk durchgehen könnte – wenn man es denn so nennen würde.

Auf die Frage, warum Roeder, die auch ihre Objekte ausstellen wird, sich nicht Künstlerin nennt, antwortet sie zurückhaltend: „Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis ich sagen konnte, dass ich eine ausgebildete Designerin bin, die wie eine Künstlerin arbeitet.“ Sich als Künstlerin zu bezeichnen, empfinde sie aber nach wie vor als falsch – sie sei nun mal in der Designszene zu Hause.

Die Scheu einen gewissen, künstlerischen Ansatz von Design als Kunst zu bezeichnen, zeugt von einer erfrischenden Demut und das ist eine Herangehensweise, die insbesondere im Kontext eines Galerien-Wochenendes, eine spannende Alternative darstellen könnte. Ein Abstecher ins Hansaviertel und in Diskurse, die in die Design- und Architekturwelt aktuell zu führen scheint, könnte sich lohnen.

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