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Pro-Palästina-Demonstranten besetzen HU-Gebäude, sozialwissenschaftlichen Institut der Berliner Humboldt-Uni.

© imago/Rolf Zöllner/imago/Rolf Zöllner

Jüdische Studierende in Berlin: Moderne Märchen und die antisemitische Wahrheit

Hochschullehrende geben vor, sich schützend vor und hinter Studierende stellen zu wollen. Doch jüdische Studierende fühlen sich da vielfach nicht mit eingeschlossen.

Eine Kolumne von Debora Antmann

„Es war einmal“ – so fangen bekanntlich Märchen an. Das Märchen, dass sich in Berlin dieser Tage erzählt wird, beginnt mit folgenden Zeilen: „Es waren einmal Berliner Hochschullehrende, die es als Teil ihrer Aufgabe sahen, ihre Studierenden zu schützen“.

Und wie in jedem Märchen steckt auch in diesem ein Körnchen Wahrheit. Denn die Lehrenden, die dieses Märchen schrieben, versuchen durchaus, sich schützend vor und hinter Studierende zu stellen. Aber alle Studierende? Oder zumindest alle, die akut ihren Schutz brauchen? Und das ist der Grund, warum Märchen eben Märchen sind.

Jüdische Studierende sagen seit Monaten, dass sie Angst in der Uni haben und sie im großen Maße Antisemitismus erfahren. Es kommt zu physischer Gewalt gegen sie, sie denken darüber nach, das Studium zu unter- oder sogar abzubrechen. Warum alarmiert dies jene Hochschullehrenden nicht gleichermaßen?

Marginalisierte Studierende halten den Ort, an dem sie lernen, nicht für sicher. Warum werden im gleichen Atemzug hier nicht ganz deutlich auch jüdische Studierende geschützt? Sich vor und hinter sie gestellt? Warum kann man im Kauf nehmen, dass diese eventuell nicht in der Lage sind, ihr Studium zu Ende zu führen – ungesehen zu bleiben?

Wie will man jemandem auf Augenhöhe begegnen, den man gar nicht sieht?

Vor zehn Jahren wäre es noch leicht gewesen, jüdische Studierende zu überhören, aber heute sind sie so laut und so sichtbar, formulieren sehr klar und gut organisiert, wie groß das Leid für sie aktuell an den Hochschulen ist. Was es für Auswirkungen auf sie und ihr Studium hat, wenn Proteste eben nicht friedlich bleiben, sondern ins Antisemitische umschlagen.

„Als Lehrende der Berliner Hochschulen verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen …“ ist eben ein Märchen, weil es unmöglich ist, Studierenden auf Augenhöhe zu begegnen, wenn man sie nicht sieht, nicht sehen will.

Es ist ein Märchen, weil Berliner Lehrende es offenbar nicht als ihre Aufgabe sehen, Studierende zu schützen, sondern nur bestimmte Studierende, die ins eigene Selbstbild oder die eigene politische Dringlichkeit passen. Es ist ein Märchen, und zwar eins von den besonders grausamen – besonders für die Realität jüdischer Studierender.

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