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Sie marschieren Seit’ an Seit’, aber marschieren sie auch der Zukunft entgegen? Franziska Giffey, SPD-Spitzenkandidatin in Berlin, mit Parteichefin Saskia Esken am Montag nach der Wahl.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Berliner Lektionen: Was die Bundes-SPD aus dem Wahldebakel lernen kann

Muss sich die Bundes-SPD nach dem Absturz bei der Wahl in der Hauptstadt überprüfen? Sozialdemokraten und Politikwissenschaftler sehen vergleichbare Schwachstellen.

Von Hans Monath

Es klang, als wollte SPD-Chefin Saskia Esken das politische Desaster von Berlin auf Distanz halten, als sie Franziska Giffey für ihr Engagement „bei dieser besonderen Wahl“ dankte. Prompt wurde im Willy-Brandt-Haus am Wahltag bei der Erklärung des Ergebnisses auf ganz spezifische Berliner Faktoren verwiesen, die sich nicht auf die Bundespolitik übertragen ließen.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Längst diskutieren auch SPD-Politiker aus anderen Teilen der Republik, ob der Wahlsonntag nicht auch für die Bundespartei Lektionen bereithält. Über Fragen wie „Haben wir die richtigen Themen oder gehen unsere Angebote wie in der Hauptstadt an wichtigen Bevölkerungsgruppen vorbei?“ tauschen sich Bundestagsabgeordnete in internen Chatgruppen aus.

Auch Politikwissenschaftler, die der Tagesspiegel befragte, sehen keine völlig getrennten Sphären, sondern beschreiben in Berlin Mechanismen, die bei den Sozialdemokraten im Bund schon längst Wirkung zeigen.

Man kann lernen, dass die Bürger erwarten, dass Politik funktioniert.

Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier

„Man kann lernen, dass die Bürger erwarten, dass Politik funktioniert“, sagt Professor Uwe Jun von der Universität Trier. In Berlin funktioniere Politik aus Sicht vieler Wähler zu wenig. „Wenn dieses Versprechen nicht erfüllt wird, bekommt die Partei der Regierungschefin oder des Regierungschefs die Quittung. Das war das Problem von Franziska Giffey.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Regierung stünden vor dem Problem, dass die Unzufriedenheit groß sei. „Die Noten für die Ampel-Koalition in Umfragen sind alles andere als berauschend, die Mehrheit ist unzufrieden mit den Leistungen der Regierung“, meint Jun.

Geistesverwandte: Kanzler Olaf Scholz, SPD-Chef Lars Klingbeil und Franziska Giffey (von links) am Montag bei der Gremiensitzung der SPD.

© picture alliance/Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Deshalb warnt er: „Auch im Bund läuft die SPD Gefahr, zu wenig Eigenständigkeit zu zeigen, sondern in wichtigen Bereichen die Politik der Grünen zu übernehmen, etwa in der Klima- und Energiepolitik.“ Scholz werde von vielen nicht als starke Führungsfigur wahrgenommen, sondern als Moderator. Daran habe auch sein Machtwort bei den Akw-Laufzeiten nichts geändert. „Die SPD müsste mit erkennbar starken eigenen Akzenten auf den Feldern punkten, die auch für Wechselwähler interessant sind“, empfiehlt der Experte aus Trier.

Im gegenwärtigen Sechsparteiensystem hat die SPD nach Ansicht des Bonner Politikwissenschaftlers Frank Decker mit der Union und den Grünen zwei Hauptkonkurrenten sowie mit der Linkspartei und der AfD zwei Nebenkonkurrenten. Der große Verlust an die CDU in Berlin spreche „für eine Vernachlässigung der Themen ,Recht und Ordnung‘ und ,Migration‘“, argumentiert er. Dort habe die SPD zu große Angriffsflächen geboten.

Das Verhältnis zur Ökopartei beschreibt Decker so: „In der Konkurrenz mit den Grünen können die Sozialdemokraten in den Großstädten nur noch wenig gewinnen.

Auf grüne Themen zu setzen bringt deshalb nicht viel.“ Doch sei das Erstarken der Grünen macht- und koalitionspolitisch für die SPD kein Nachteil. „Auch wenn es zum Teil zu ihren Lasten geht, vergrößert sich dadurch nämlich das rot-grüne Wählerpotenzial insgesamt und damit auch die Möglichkeit, Regierungen gegen die CDU unter eigener Führung zu bilden.“

Die SPD wollte weiterhin Volkspartei bleiben und damit sowohl in den Innenstadtlagen als auch außerhalb des Rings gewählt werden.

Benjamin Höhne, Politikwissenschaftler an der Universität Magdeburg

Auch Benjamin Höhne von der Universität Magdeburg verweist auf unterschiedliche Voraussetzungen zwischen der Metropole Berlin und dem Rest der Republik, empfiehlt den Strategen im Willy-Brandt-Haus aber dennoch einen genauen Blick auf die Dynamik in der Hauptstadt. Vor allem der strukturelle Kontrast zwischen dem „wachsenden grün-libertären Milieu in den inneren Wohngegenden und den schwarz eingefärbten äußeren Wohngegenden mit einer konservativen CDU“ habe Giffeys Partei vor Probleme gestellt.

Für beide Milieus habe sie kein ausreichend überzeugendes programmatisches und personelles Angebot unterbreitet: „Sie wollte weiterhin Volkspartei bleiben und damit sowohl in den Innenstadtlagen als auch außerhalb des Rings gewählt werden. Letztlich ist sie an der Verklammerung von Gegensätzen gescheitert.“

Bleibt die Frage: Wird sich die Bundes-SPD im Licht des Berliner Wahlsonntags noch einmal prüfen? Eines machen die Thesen der drei Wissenschaftler deutlich: Es gibt durchaus Berliner Lektionen. Man muss sie aber auch annehmen wollen.

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