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Europäische Lösung? Frankreich hat 2017 50.000 Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen. Die Kanzlerin tut so, als dürfe Deutschland das nicht.

© Ludovic Marin/AFP

Deutsche Mogeleien in der Migrationsdebatte: Asyl für die Wahrheit

Die Lage ist nicht so kompliziert, wie die Regierung tut. Sie darf an der Grenze zurückweisen. Und die europäische Regelung gibt es längst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Deutschland ereifert sich über Trump, weil er „Fakten“ erfindet. Er behauptet, zum Beispiel, die Demokraten hätten die Regeln aufgestellt, die ihn zwingen, Kinder von ihren illegal eingereisten Eltern zu trennen.

Nur: Geschieht Vergleichbares nicht auch in Deutschland? Im Streit um die Migration operieren Regierung und Opposition ebenfalls mit Behauptungen, die nicht so ganz der reinen Wahrheit entsprechen, natürlich unter umgekehrten ideologischen Vorzeichen.

Die Regierung darf nicht nur zurückweisen - sie muss es

Mitglieder der Bundesregierung und eines Teils der Opposition sagen, es sei eine offene Frage, ob Deutschland Menschen, die in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, an der Grenze zurückweisen dürfe. Sie sagen auch, eine solche Praxis stehe im Widerspruch zu einer europäischen Lösung. Ist das so? Die Debatte um den drohenden Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU und das Ende der gerade mal 100 Tag amtierenden Großen Koalition könnte rasch enden, wenn etwas redlicher über die Rechtslage geredet würde – und darüber, welche europäische Lösung unsere Nachbarn überhaupt mittragen.

Wenn Menschen nach Deutschland wollen, um Asyl oder Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu beantragen, obwohl sie aus einem sicheren Drittstaat kommen, haben die Behörden nicht nur das Recht, sie zurückzuweisen. Sie sollen es sogar tun. Darüber informiert die Regierung auf der Webseite des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Sie hält sich aber nicht an ihre eigene Vorgabe.

Die lautet: „Wenn ein Ausländer bereits einen anderen Staat erreicht hat, in dem er gleichfalls Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten kann, ist ihm die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bereits an der Grenze zu verweigern. Denn wer aus einem ‚sicheren Drittstaat' einreist, kann sich nicht mehr auf das Grundrecht auf Asyl berufen (§26a AsylVfG). Sichere Drittstaaten sind nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sowie weitere europäische Staaten, in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Dies sind: Norwegen und die Schweiz.“

Die meisten EU-Partner sind gegen Merkels Linie

Gemogelt wird auch bei der Darstellung, eine solche Praxis stünde im Widerspruch zu einer europäischen Lösung oder würde sie erschweren. Es gibt diese Regeln bereits, und die große Mehrheit der EU-Partner wünscht die Durchsetzung: Wer verfolgt wird, hat Anspruch auf Schutz. Der beschränkt sich aber auf den ersten sicheren Staat, den diese Person erreicht. Es gibt kein Recht, weiter zu ziehen und sich den Zufluchtsstaat auszusuchen. Wer das dennoch tut, ist nicht mehr Flüchtling, sondern wird zum Migranten.

Viele EU-Partner weisen an der Grenze zurück. Frankreich, Deutschlands Wunschpartner für europäische Lösungen, hat 2017 50 000 Migranten, die illegal von Italien einreisen wollten, aus Zügen und Fahrzeugen geholt und zurück geschickt. Wer in der EU unterstützt überhaupt Merkels weichere Linie? Frankreich nicht, Österreich nicht, die Niederlande nicht, die Nachbarn im Osten nicht …

Die rechtlichen Vorgaben sind eindeutig, der Mehrheitswille in der EU ebenfalls. Deutschland ist der Außenseiter, der das Recht und das Drängen der EU-Partner nicht akzeptieren möchte. Warum behaupten so viele deutsche Politiker das Gegenteil?

Deutschland beharrt auf einem Sonderweg, der in die Isolierung führt

Es geht wohl noch immer um die Rechtfertigung für das Ausnahmejahr 2015. Damals entschied sich Deutschland für einen Sonderweg in der Migrationspolitik: Grenzen könne man nicht schützen; Migration sei wie eine Naturgewalt, man könne sie nicht beeinflussen; wer an die deutsche Grenze komme, sei „Flüchtling“, auch wenn er auf dem Weg in mehreren sicheren Zufluchtsstaaten war. Die meisten EU-Partner sahen es anders, Deutschland isolierte sich.

Ist es wirklich unumgänglich, die Schlachten von 2015 erneut zu schlagen, den Bruch der Regierung zu riskieren und den Weg zu einer gemeinsamen europäischen Politik durch deutsche Sturheit zu verbauen? Egal, ob man die Entscheidungen der Kanzlerin damals für falsch hält oder sie mit der Ausnahmelage rechtfertigt – „Not kennt kein Gebot“: 2018 besteht keine Ausnahmesituation mehr. Die Migrantenzahlen sind gesunken.

Die Ausnahmelage ist vorbei. Man kann das Recht durchsetzen

Man kann das europäische Recht durchsetzen. Man muss es auch tun, um sich für die Zukunft zu wappnen. Nach mehreren Jahren tolerierten Rechtsbruchs wird das einige Zeit dauern. Wenn Deutschland es aber täte, würde es nicht gegen Europa handeln. Es erwiese Europa einen Dienst.

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