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Erst sein Auftritt, dann sein Abtritt: Gregor Gysi nach seiner Abschiedsrede in Bielefeld.

© Oliver Berg/dpa

Die Linke nach Gregor Gysi: Der Übervater auf dem Weg zum Welterklärer

Über zwei Jahrzehnte war Gregor Gysi die Galionsfigur der Linkspartei. Und er wird der Republik fehlen. Doch keine Frage: Der 67-Jährige bereitet seine nächste Rolle vor - die des aller Parteidisziplin enthobenen Erklärers im Stile von Helmut Schmidt.

Am Ende war es noch mal ein persönlicher Triumph für Gregor Gysi, der seine Eitelkeit nie in Abrede gestellt hat. Die Linkspartei beschäftigt einen Parteitag und alle ihn beobachtenden Medien mit nichts anderem als dem Entschluss ihres Fraktionsvorsitzenden, seinen Platz für Jüngere zu räumen.

Gibt es politisch nichts Wichtigeres? Zu einem Zeitpunkt, wo sich die SPD immer spürbarer nach Neuanfang sehnt, weil sie merkt, dass sie neben Mutti Merkel auf keinen grünen Zweig kommt. Wo man mit einem eigenen Ministerpräsidenten endlich zeigen kann, ob man auch zu anderem fähig ist als zum Opponieren. Wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und sich mit frustrierten Sozialverbänden stärker denn je gemeinsame Sache machen ließe. Und wo es auch mal zu klären wäre, wie lange es sich eine angeblich pazifistische Partei leisten kann, für Russlands aggressiven Kurs um Verständnis zu werben.

Den Helmut Schmidt geben

Gysi hat gewollt, dass seine Personalie das alles überlagert. Sonst hätte er nicht bis zuletzt offengelassen, als 67-Jähriger doch noch mal anzutreten. Es ermöglichte ihm, seinen Mahnungen Gewicht zu verleihen. Und das Publikum auf seine nächste Rolle vorzubereiten – die des elder statesman, des aller Parteidisziplin entrückten Welterklärers und Übervorsitzenden. Keine Frage: Gysi wird den Helmut Schmidt geben, auf allen Kanälen.

Und dennoch: Fakt ist, dass ein wirklich Großer seinen Abschied nahm. Einer, der über zwei Jahrzehnte lang die Galionsfigur der Linken im Bundestag war. Der die deutsch-deutsche Vereinigung, mit all ihren Brüchen, Uneben- und Unredlichkeiten personifiziert hat wie kein Zweiter. Der der Republik fehlen wird. Und vielleicht gibt es daher für die Linke und ihre Ausrichtung momentan tatsächlich nichts Wichtigeres als die Frage, wie es ohne ihren Übervater weitergeht.

So gut stand die Linke noch nie da

Wie es eine Partei zerlegen kann, wenn ihr die Führungsfigur abhandenkommt, ließ sich an der FDP besichtigen. Bei der Linken kommt hinzu, dass sie im Grunde aus zwei Parteien besteht und einen braucht, der ihre Flügel zusammenhält. Und anders als die Liberalen in der Westerwelle-Spätphase befindet sich Gysis Truppe nicht im Abwärtsstrudel. Im Gegenteil. So gut wie derzeit stand die Linke noch nie da. Sie ist Oppositionsführerin im Bundestag. Sie stellt in Thüringen den Regierungschef. Sie hat sich auch im Westen stabilisiert. Und in der Gerechtigkeitsdebatte überlassen ihr die vom Kompromisse-Schmieden beanspruchten Sozialdemokraten inzwischen oft schon fast kampflos das Feld.

Debatte um Doppelspitze

All dies gerät ohne Gysi in Gefahr. Eine Person, auf die sich beide Flügel verständigen könnten und die schillernd genug für die Öffentlichkeit wäre, ist nicht in Sicht. Die zu erwartende Doppelspitze Wagenknecht-Bartsch wird die Fraktion nicht beflügeln, sondern sie erst mal lähmen, in Selbstbeschäftigung abtauchen lassen. Wer soll das Bild der Linken prägen, Realo oder Fundi-Frau? Und vor allem: Wer macht sie regierungsfähig? Wenn es einer geschafft hätte, bis 2017 ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden, wäre es Gysi gewesen. Im Wissen, dass die SPD nicht noch mal mit der Union kann, hat er sie ja schon heftig umworben.

Der alte Fahrensmann hat ja recht: Mit verantwortungsscheuen Besserwissern lassen sich Wähler auf Dauer weder überzeugen noch halten. Wenn sich die Linke nun wieder in der Opposition verbunkert, kann es mit ihr nur bergab gehen.

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